Der Arzt an Trumps Seite
Sean Conley, der Leibarzt des US-Präsidenten, rückt mit der Wahrheit nur scheibchenweise heraus
Sean Conley hat ein Glaubwürdigkeitsproblem. Seit Donald Trump am Freitag in ein Militärkrankenhaus am Rande Washingtons eingeliefert wurde, muss er, der Leibarzt des Präsidenten, einmal am Tag vor laufenden Kameras über den Gesundheitszustand seines Patienten informieren. Am Montagabend verkündete er vor der Entlassung Trumps aus dem Krankenhaus: „Wir sind vorsichtig optimistisch.“Dabei macht er, so aufgeräumt er zu wirken versucht, keine gute Figur. Beim breiten Publikum hat sich inzwischen der Eindruck verfestigt, als erzähle er nur die halbe Wahrheit. Als lasse er weg, was nicht ins optimistische Bild passt, das er im Auftrag seines Vorgesetzen zeichnen soll.
Seit Mai 2018 leitet Conley (Foto: imago images) das Ärzteteam des Weißen Hauses, das sowohl den Staatschef als auch dessen Stellvertreter und beide Familien betreut. Als er zum ersten Mal auf dem weiten Platz vor dem Walter Reed Medical Center stand, um Journalisten zu unterrichten, wich er der Frage aus, ob Trump infolge niedriger Sauerstoffwerte im Blut mit Sauerstoff versorgt werden musste. Beim zweiten Mal, 24 Stunden später, beantwortete er sie mit einem Ja. Erst seit Sonntag weiß die Öffentlichkeit, dass der Präsident bereits am Freitagvormittag zusätzlichen Sauerstoff bekam – und zu dem Zeitpunkt hohes Fieber hatte. Während er zumindest in dem Punkt nachträglich für Klarheit sorgte, gab
Conley der Gerüchteküche in einem anderen Fall nur neue Nahrung. Ob Trumps Lunge Schaden nahm? Dazu gebe es Erkenntnisse, mit denen man gerechnet habe, wiegelte er ab. Nichts, was Anlass zu großer klinischer Sorge gebe. Seither wird auf allen amerikanischen Nachrichtensendern gerätselt, was die kryptischen Sätze wohl zu bedeuten haben. Klar scheint, dass der Mediziner in einer Zwickmühle steckt. Einerseits soll er wahrheitsgemäß berichten, andererseits darf er offenbar nur sagen, was sein Patient für richtig hält. Ein Patient, der das Recht hat, ihm Befehle zu geben: Trump ist Commanderin-Chief, Conley Offizier der Kriegsmarine. Ein Patient, der offenbar unter allen Umständen den Eindruck vermeiden will, er könnte physisch zu schwach sein, um die letzten vier Wochen des Wahlkampfs durchzustehen.
Als Trump sich am frühen Sonntagabend in einen Geländewagen setzte, um seinen am Tor des Klinikareals versammelten Fans zuzuwinken, hieß es hinterher in lakonischer Kürze, seine Ärzte hätten grünes Licht für den Ausflug gegeben. Ein Chirurg namens James Phillips, selbst im WalterReed-Spital beschäftigt, sprach dagegen von hellem Wahnsinn. Das Risiko für die Leibwächter, die im selben Fahrzeug wie Trump saßen, sei unvertretbar hoch gewesen, wetterte Phillips in einem Tweet. „Die Leute könnten krank werden. Sie könnten sterben. Für politisches Theater.“Dass er beschwichtigt, hat Conley im Grunde selbst eingeräumt. Er habe nichts verbreiten wollen, was den positiven Verlauf der Krankheit womöglich „in eine andere Richtung gelenkt“hätte, begründete er das Weglassen medizinischer Fakten. „Und dabei kam heraus, dass wir versuchen würden, etwas zu verbergen, was nicht notwendigerweise der Fall ist.“Wohlwollende halten ihm zugute, dass er nur dem hippokratischen Eid folgt, der ärztlichen Schweigepflicht. Kritiker entgegnen, dass es nicht angeht, eine selektive Skizze zu entwerfen, wenn es sich bei dem Kranken um den Mann im noch immer wichtigsten Staatsamt der Welt handelt.