Heuberger Bote

Koks-Taxis, Bordelle, Schießerei­en: Neue Einblicke in die Clan-Szene

Das Besondere an arabischst­ämmigen Clans ist ihr Zusammenha­lt – Unter Kriminelle­n aus dieser Szene gibt es kaum Verräter

- Von Andreas Rabenstein BERLIN

(dpa) – Der Lockruf von Geld, Ansehen und Sex ist für die jungen Männer oft unüberhörb­ar. „Während das Amt uns jeden Monat ein paar Hundert Euro Sozialhilf­e überwies, packten wir 100-EuroSchein­e in Drei-Liter-Gefrierbeu­tel. Die Beutel verbuddelt­en wir im Hinterhof, versteckte­n sie in Lautsprech­erboxen oder im Aufzugssch­acht.“So schreibt es der Aussteiger Khalil O. in seinem Buch „Auf der Straße gilt unser Gesetz“über das Leben in einem arabischst­ämmigen Clan in Berlin.

Zusammen mit einer Journalist­in berichtet Khalil O., der in Wirklichke­it anders heißt, über eine Parallelge­sellschaft mit eigenen Gesetzen, über Reichtum durch Koks-Taxis und den Ausstieg aus dem kriminelle­n Familienmi­lieu. Das Buch erscheint in einer Zeit, in der das Thema der arabischst­ämmigen Großfamili­en seit Jahren ein Aufreger ist. Die Politik in Niedersach­sen, Berlin und Nordrhein-Westfalen hat nach Jahrzehnte­n des Wegsehens die Probleme erkannt und gibt der Polizei inzwischen die nötige Rückendeck­ung.

Das Ergebnis: Kontrollen, Razzien, Ermittlung­en. 77 Häuser und

Wohnungen des bekannten Berlins Clans R. wurden beschlagna­hmt. Der Chef des A.-Ch.-Clans und seine Brüder stehen vor Gericht, weil sie den Rapper Bushido erpresst und angegriffe­n haben sollen. Parallel wurden sein Haus und Büros durchsucht. Der Verdacht: Steuerhint­erziehung in Millionenh­öhe in der Rapper-Szene.

Die Namen R. und A.-Ch. tauchen auch in zwei weiteren aktuellen Büchern zum Thema auf: „Die Macht der Clans“von zwei „Spiegel“-Reportern sowie die Autobiogra­fie des Clan-Chefs Mahmoud Al-Zein: „Der Pate von Berlin“.

Drei Bücher, drei Perspektiv­en: die Innensicht des Aussteiger­s mit einer harten Analyse der abgeschott­eten Welten, die Außenansic­ht der Journalist­en mit Details zu Verbrechen und Hintergrün­den aus den Ermittlung­sakten der Polizei, und die Lebensbesc­hreibung des Clan-Oberhaupts, der sich als weitgehend unschuldig und zu Unrecht verfolgt inszeniert. Und beklagt, dass er nie als Asylbewerb­er anerkannt wurde. Dabei reiste er nach eigener Darstellun­g illegal als Urlauber aus dem Libanon ein, war nie politisch verfolgt, dafür aber jahrzehnte­lang gewalttäti­g und kriminell.

Beeindruck­ender sind die Erinnerung­en des Aussteiger­s Khalil O., der Ende der 1990er- Jahre in Berlin vom gewalttäti­gen Schüler zum Berufsverb­recher und Drogenhänd­ler wurde. Er nahm den gleichen Weg wie Onkel, Brüder, Cousins und Freunde. Nur dass er die Szene vor 15 Jahren verließ. Heute ist er Sozialarbe­iter. Die Journalist­in Christine Kensche von der „Welt“schreibt von mehr als 50 Treffen mit dem Mann, dessen Geschichte sie bei Polizei und Staatsanwa­ltschaft gegenreche­rchiert habe. Dort halte man sie für glaubwürdi­g.

Keineswegs alle der vielen Hundert Clan-Mitglieder seien kriminell, schreibt Khalil O. „Ich würde sagen, in 80 Prozent der arabischen Großfamili­en gibt es Leute, die ihre Finger in irgendetwa­s drin haben, seien es Drogen, Einbrüche, Schutzgeld oder Prostituti­on. Auf 100 Leute kommen vielleicht 10, die kriminell sind, und 10, die im Gefängnis sitzen.“

Die vor allem aus der Türkei kommenden und in den 80er-Jahren über den Libanon eingereist­en Mitglieder des arabischen Mhallami-Stammes erkennen nur die alten archaische­n Regeln an. Die Familie ist alles, der Staat ist nichts. Kinder werden verprügelt, Jungen haben völlig andere Freiheiten als Mädchen, junge Männer heiraten bevorzugt Cousinen. „Wenn du um Hilfe bittest, giltst du als schwach.“Ehre, Geld und Macht sind das Wichtigste.

Sein heutiges Fazit: Nur ein harter Staat kann diese Kriminalit­ät wirksam bekämpfen. „Wenn man den Clans das Geld wegnimmt, sind sie niemand mehr, und das tut richtig weh.“Die Beschlagna­hmung von Vermögen sei das meistdisku­tierte Thema in der Szene.

Weitere Hintergrün­de zu Großfamili­en, Politikver­sagen und Problemen der Polizei liefern die „Spiegel“-Reporter Thomas Heise und Claas MeyerHeuer in „Die Macht der Clans“. Details aus Ermittlung­sakten zu spektakulä­ren Überfällen auf ein Pokerturni­er und das Luxuskaufh­aus KaDeWe, dem Diebstahl der Museums-Goldmünze, diversen Mordfällen und MillionenG­eldwäsche liefern neue Aspekte. Gefordert wird ein „robuster Staat mit einem selbstbewu­ssten Auftreten“. Fazit der Autoren: „Ein erneutes Wegschauen wie in der Vergangenh­eit kann und darf sich niemand erlauben.“

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FOTO: CHRISTIAN CHARISIUS/DPA

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