Gestrandet im Paradies
Norman Levine und sein kauziger Künstlerroman „Aus einer Stadt am Meer“
Zugegeben, besonders berühmt für seine Literaten ist Kanada nicht. Da fallen einem Margaret Atwood und Michael Ondaatje ein. Vielleicht noch Leonard Cohen. Es ist also nicht verkehrt, wenn das
Land jetzt Ehrengast der Frankfurter Buchmesse ist.
Der Gastauftritt ist wegen der Corona-Krise zwar auf
2021 verschoben, aber es soll immerhin eine starke virtuelle Präsenz geben. Und das ist gut so. Gibt es doch die ein oder andere Entdeckung zu machen. Norman Levines (19232005) kauzigen Künstlerroman „Aus einer Stadt am Meer“beispielsweise, der zwar schon 1970 erschienen ist, jetzt aber erstmals in einer deutschen Übersetzung vorliegt. Einen Namen machte sich der Sohn polnischer Emigranten, der in Ottawa aufgewachsen ist, durch Kurzgeschichten.
Im autobiografisch motivierten „Aus einer Stadt am Meer“erzählt Levine, der selbst 30 Jahre im malerischen Küstenörtchen St. Ives in Cornwall lebte, von dem erfolglosen Reiseschriftsteller Joseph Grand, der aus Kanada stammend im gottverlassenen Badeort Carnbray an der Südküste Englands lebt. Er ist gestrandet im Paradies. Weil ausgerechnet die Zeitschrift pleitegeht, die sein Hauptabnehmer ist, kann er Strom- und Gasrechnung nicht mehr zahlen und sitzt fest. In die meisten Pubs darf er nicht mehr, da er zu oft hat anschreiben lassen. Und als dann noch Ehefrau Emily eine Halbtagesstelle als Lehrerin annimmt und ihn nicht mehr „ranlässt“, ist das Manko perfekt.
Mit lockerem Zungenschlag erzählt Norman Levine von seinem Alter Ego und nimmt dabei kein Blatt vor den Mund. Sein Text sprüht nur so vor Frivolität und zeichnet mit selbstironischen Strichen die Künstler-Bohème und deren Müßiggang. Die einzige Abwechslung für den armen Joseph sind die Besuche bei seinen Künstlerfreunden in London:
Die Konzeption des Romans ist wild. Dafür aber versöhnt der ganz eigene schrullige Ton dieses Schriftstellers. Endlich ist Norman Levine neu zu entdecken, der seinem Heimatland den Rücken kehren musste, weil er in seinem Buch „Canada Made Me“(1958) so abfällig über sein Land geschrieben hatte, dass er dort keinen Fuß mehr auf den Boden bekam.