Ärztemangel: Es droht die Unterversorgung
Innerhalb von sieben Jahren ist der Versorgungsgrad durch Hausärzte um 20 Prozent gesunken
- Von Yusif Rustamov und Fuad Orujev haben wahrscheinlich noch nicht viele Tuttlinger gehört. Dabei sind die jungen Männer etwas Besonderes. Die Mediziner haben sich an der Donau niedergelassen und werden ab Oktober in der Praxis von Viola Biller-Metzger und Bernd-Joachim Metzger mitarbeiten. Dies ist ein Hoffnungsschimmer für die Tuttlinger Patienten. Das Kernproblem bleibt aber bestehen.
In Rustamov und Orujev habe man „zwei engagierte und in ihrem Leistungsspektrum“in die Praxis passende Ärzte gefunden, die durch gegenseitige Sympathie an Tuttlingen gebunden werden konnten, schreibt das Arztehepaar an die Redaktion. Nach sechsmonatiger Zusammenarbeit sei die Übernahme der Praxis für den 1. April 2021 vereinbart worden. „Damit ist die kontinuierliche Versorgung unserer Patienten gewährleistet“, erklären die Tuttlinger Mediziner.
Dass dies gelingen konnte, beruhe neben der Hilfestellungen der Stadt Tuttlingen auch auf dem eigenen Engagement und einem Entgegenkommen, verdeutlichen Viola BillerMetzger und Bernd-Joachim Metzger.
Die Übergabe der Praxis darf getrost als Erfolg gewertet werden. Seit Jahren gibt es im Landkreis Tuttlingen eher den Trend, dass die Wiederbesetzung von vakanten Praxissitzen eher schwierig ist. Innerhalb von sieben Jahren sank der Versorgungsgrad durch Hausärzte um fast 20 Prozent von 99,5 Prozent (2013) auf 79,8 Prozent. Eine Unterversorgung ist dies nach der Definition der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) aber noch nicht. Dies wäre erst bei einer Quote von weniger als 75 Prozent der Fall.
Sollte es in den nächsten Jahren nicht zu einem weiteren Zuzug in die Region kommen – im hausärztlichen Bereich bestehen 24,5 Niederlassungsmöglichkeiten – wäre die Bevölkerung der Region nicht mehr ausreichend versorgt. Schließlich beträgt der Anteil der über 60-Jährigen bei den Hausärzten schon 42 Prozent. 14 der niedergelassenen Hausärzte sind 60 bis 64 Jahre alt, 15 weitere noch praktizierende Hausärzte sind 65 Jahre und älter. Im Jahr 2019 kamen statistisch 1974 Einwohner auf einen Hausarzt. Im Juli 2020 waren es im Verhältnis schon 2042 Personen.
Auch bei den Kinderärzten sieht es nicht besser aus. Von neun Kinderärzten sind vier älter als 60 Jahre alt. Das Durchschnittsalter der Kinderund Jugendärzte im Kreis liegt bei 58,07 Jahren. Landesweit sind es im Durchschnitt 52,84 Jahre. Der Handlungsbedarf ist erkannt, erklärt die Landkreisverwaltung. Weil auch die KV, die den gesetzlichen Sicherstellungsauftrag hat, bei der Versorgung an die „Grenzen stößt“, haben sich die Stadt und das Landratsamt
Tuttlingen, Vertreter des Klinikums, Bürgermeister und Ärzte zusammengetan, um die wohnortnahe Versorgung sicherzustellen.
Trotz einiger Erfolge und Maßnahmen (s. Infokasten) wird die seit Jahren bestehende Struktur, nach Ansicht der Landkreisverwaltung nicht zu halten sein. „Absehbar wird nicht mehr in jeder Gemeinde ein Hausarzt tätig sein können und es wird in manchen Räumen zu einer Unterversorgung mit längeren Fahrtzeiten zum Arzt kommen“, heißt es in einer Ausschussvorlage des Kreistages. „Wir werden nicht nachlassen dürfen“, sagte Bernd Mager, Dezernent für Soziales und Arbeit – auch wenn dies nicht die Aufgabe der kommunalen Verwaltung sei.
Landrat Stefan Bär betonte dann auch, dass die Suche nach einem Nachfolger zunächst einmal Aufgabe des Arztes sei. „Ich kenne das aus sonst keinem Wirtschaftsbereich“, meinte er. Oft würde im Übergang von Arzt zu Arzt nicht alles passen, manch eine Übergabe an den Forderungen scheitern. Sollte die Nachfolgesuche aber komplett in öffentlicher Hand liegen müssen, werde man scheitern. „Es muss mehr aus den Arztpraxen kommen“, fordert er. So haben sich bisher nur sieben Ärzte bereit erklärt, bei der Weiterbildung von Medizinern mitzumachen. Der Landkreis will in diesem Punkt noch einmal nachfragen. Bär ist aber sicher, dass „viele Ärzte einen Weiterbildungsnachweis haben.“
Ralf Fahrländer (Freie Wähler) und Markus Kiekbusch (SPD) betonten, dass der Landkreis sich noch mehr zu einer attraktiven Adresse für Fachkräfte wie Ärzte entwickeln müsste. „Entscheidend wird die Infrastruktur sein. Das ist ein großer Wettbewerb.“Da müssten sich notfalls auch Gemeinden zusammentun. „Wenn jeder nur an seine Gemeinde denkt, wird es schwierig“, sagte Bär. Die Frage nach dem Standort eines Arztes müsse man gemeindeübergreifend und mit dem Ziel der besten Abdeckung angehen. „Das Problem müssen wir kommunal lösen.“
Der Landrat bat aber darum, die Situation nicht zu negativ zu bewerten. „Wir werden es nicht lösen können, wenn wir immer sagen, wie schlecht es bei uns ist. Wir müssen nichts schönreden, aber woanders ist es auch nicht besser“, erklärte Bär.