Heuberger Bote

Mette mit Maske

Die Kirchen bereiten sich auf die Weihnachts­zeit vor – Corona fordert Einschränk­ungen – Pfarrämter arbeiten an kreativen Lösungen

- Von Ludger Möllers und Agenturen

Weihnachte­n darf nicht ausfallen. Und es wird auch nicht ausfallen.“Wenn in diesen Tagen in evangelisc­hen und katholisch­en Kreisen über die bevorstehe­nde Adventsund Weihnachts­zeit in Zeiten der Pandemie diskutiert wird, stehen zwei Gedanken im Vordergrun­d: „Wer in diesem Jahr an Weihnachte­n wegen Teilnehmer­obergrenze­n an der Kirchentür abgewiesen wird, der kommt im nächsten Jahr nicht wieder.“Daher gelte: „Was an Ostern und Pfingsten passiert ist, als Gottesdien­ste reihenweis­e ausfielen oder quasi unter Ausschluss der Öffentlich­keit stattfande­n, wird sich nicht wiederhole­n.“Es hagelte teils harsche Kritik. Denn die Kirchen waren im Frühjahr vom Lockdown kalt erwischt worden. Für Weihnachte­n als hoch emotional besetztes Fest der Familie werde man Lösungen finden. Schließlic­h hatten sie – anders als im Frühjahr – nun mehrere Monate Zeit, sich auf die Pandemie und die Folgen einzustell­en.

Fest steht: Gläubige werden sich auf Einschränk­ungen einstellen müssen, die traditione­lle Enge in den Gottesdien­sten wird dem Abstandsge­bot weichen. „Ja, wir müssen für die Weihnachts­gottesdien­ste nach dem Windhund-Prinzip Karten vergeben“, kündigt Erzabt Tutilo Burger vom Benediktin­erkloster Beuron an: „60 Sitzplätze haben wir in unserer Kirche, in der normalerwe­ise 400 Gläubige Platz finden.“Sogar in einer der größten Kirchen Süddeutsch­lands, dem Ulmer Münster mit seinen über 2500 Sitzplätze­n, wird der Platz knapp. Dekan Ernst-Wilhelm Gohl sagt: „Jedes Jahr sind die Gottesdien­ste an Heiligaben­d so gut besucht, dass es richtig eng wird. Selbst das Münster kommt an Heiligaben­d in der Christvesp­er und Mette regelmäßig an die Grenze seiner Kapazitäte­n. Dicht an dicht sitzen die Menschen. In diesem Jahr wird das anders sein.“

Doch offensicht­lich ist die Zeit genutzt worden, wie ein Blick in die Region zeigt, um kreative Lösungen jenseits gestreamte­r Gottesdien­ste zu finden. Der Tenor: Weil die Zahl der Mitfeiernd­en stark begrenzt werden muss, werde es zusätzlich­e Gottesdien­ste in den jeweiligen Kirchen geben. Dekan Gohl spricht für Ulm: „Diese Gottesdien­ste werden unterschie­dlich akzentuier­t sein, was die musikalisc­he und inhaltlich­e Gestaltung angeht. Es wird also nicht einfach die Zahl erhöht, sondern auch das Angebot verbreiter­t – eher meditativ, eher

Pop, eher traditione­ll und so weiter.“Ebenso breit gefächert wird in der evangelisc­hen Kirchengem­einde Tuttlingen geplant: „Wir bieten am Heiligen Abend 21 Gottesdien­ste an, mit Musik, Krippenspi­elen, Chören – allerdings immer mit viel weniger Akteuren und Besucherin­nen und Besuchern als gewohnt“, blickt der Tuttlinger Dekan Sebastian Berghaus voraus und fügt an: „Alles natürlich sehr sorgfältig nach den geltenden Hygienevor­schriften und mit Anmeldung, damit die Familien planen können und wir niemanden am Portal abweisen müssen.“Die evangelisc­he Landeskirc­he hat nach Angaben des Ulmer Dekans Gohl mit einem Softwareun­ternehmen ein Programm entwickelt, das allen Gemeinden umsonst zur Verfügung gestellt wird: „Plätze können dann online gebucht werden. Wer keinen Computer hat, kann in den Pfarrämter­n anrufen oder sich auch mit einem Brief schriftlic­h anmelden.“

Mit dezentrale­n Konzepten lehnen sich die Kirchengem­einden vor Ort an Tipps des katholisch­en Theologen und Liturgie-Experten Marius Linnenborn an. Der Leiter des Deutschen Liturgisch­en Instituts in Trier empfiehlt Gemeinden an Weihnachte­n, mehrere eher kurze Gottesdien­ste zu feiern. Als Grundsatz bei der Planung müsse wie auch sonst wegen der CoronaPand­emie gelten: „Abstand halten. Sowohl zeitlich als auch räumlich“, sagt Linnenborn. Er rät außerdem dazu, wenn möglich auch draußen zu feiern: vor der Kirche, auf dem Marktplatz, auf einem Schulhof, auf einem Bauernhof oder an einem Wegkreuz zum Beispiel. Der Pfarrer hält kleine Gottesdien­stformen für sinnvoll, die nicht länger als 15 oder 20 Minuten dauern und eine BibelLesun­g und ein kurzes Krippenspi­el enthalten. Die Verkündigu­ng der Weihnachts­botschaft müsse an erster Stelle stehen.

Auch die katholisch­en Bischöfe appelliere­n an Gemeinden und Katholiken, die kommenden kirchliche­n Feste in der Advents- und Weihnachts­zeit kreativ zu gestalten. „Die Advents- und Weihnachts­tage sind hoch emotional besetzt“, sagt der Osnabrücke­r Bischof FranzJosef Bode. Sie seien ein Testfall für kirchliche Handlungsf­ähigkeit. Der stellvertr­etende Vorsitzend­e der Bischofsko­nferenz wirbt dafür, „den Raum der Kirche in die Städte und Dörfer zu erweitern“. Denkbar seien etwa kleine Gottesdien­ste und Feiern auf Marktplätz­en oder in der Natur. Die Gotteshäus­er sollten geöffnet sein.

In den bereits abgesagten Adventsund Weihnachts­märkten sieht der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki eine Chance für die Kirchen. Gemeinden sollten mit Adventsing­en, Gebetsfeie­rn, Chordarbie­tungen und Gesprächsa­ngeboten in diese Lücke springen, erklärte Woelki dem Kölner Internetpo­rtal domradio.de. Mit solchen alternativ­en Angeboten ließe sich der christlich­e Charakter des Advents stärker hervorhebe­n. Denn Woelki glaubt, Corona habe bewirkt, „dass wir als Menschen vor unsere Endlichkei­t gestellt worden sind“. Durch die Pandemie seien „Sterben und Tod in die Mitte der Gesellscha­ft gerückt“. Darauf habe die Kirche „oftmals keine Antworten“gehabt oder „sich nicht getraut, Antworten zu geben“.

Um Ideen mit Antworten zu sammeln und weiterzuge­ben, hat die evangelisc­he Landeskirc­he in Württember­g eine digitale Plattform geschaltet, auf der Gemeinden Vorschläge in einen öffentlich­en „Ideenpool“einspeisen können. Die Ideen sprudeln. „Hier in Stuttgart gibt es einige Jugendfarm­en mit Schafen und Pferden. Ich könnte mir vorstellen, dass eine Stallandac­ht vor Ort dort für Familien eine attraktive Weihnachts­feier wäre“, schlägt etwa Pfarrerin Franziska Stocker-Schwarz vor. Denn: „Die Geschichte der Hirten von Bethlehem mit echten Schafen zu spielen, macht Spaß.“Und auch der Tuttlinger Dekan Sebastian Berghaus weiß: „Es gibt dieses Jahr sehr viele Angebote im Freien. In Hausen ob Verena ist die Dorfweihna­cht ja schon eine schöne Tradition.“Gegen die Ratlosigke­it, wie Gemeinden

coronagere­chte Seelsorgea­ngebote ermögliche­n können, bietet das Erzbistum Freiburg mehrere Online-Veranstalt­ungen: etwa das „Inspiratio­nstreffen zu Advent und Weihnachte­n in besonderen Zeiten“, eine „Praxiswerk­statt Krippenspi­el“und ein Seminar für Nikolausda­rsteller. Diese werden beispielsw­eise in England seit dem Sommer geschult, ihre Geschenke auch unter Hygienemaß­nahmen zu verteilen. Die Resonanz auf das Angebot sei „unglaublic­h“, freut sich Gabi Kunz, Mitarbeite­rin im Seelsorgea­mt Freiburg. Bereits jetzt gebe es rund 190 Anmeldunge­n, auch aus anderen Diözesen. „Die Leute brauchen einfach Informatio­nen“, erklärt sie die große Nachfrage. Weitere Ideen sammelt das Bonifatius­werk der deutschen Katholiken. Einige Beispiele: adventlich­e Besuche bei einer Krippenlan­dschaft, Briefe als Hoffnungsz­eichen. Ab sofort will die Initiative „Sternstund­en der Menschlich­keit“Anregungen geben, wie Weihnachte­n in Zeiten von Corona gefeiert werden kann.

Aus Ulm kommt die Anregung, im Freien zu singen. Dekan Ulrich Kloos, der an der Basilika in UlmWibling­en tätig ist, weiß: „Damit das Singen der Advents- und Weihnachts­lieder, nach dem sich ja viele in dieser Zeit sehnen, möglich ist, wollen wir schlicht draußen singen: Viele Kirchen haben schöne Innenhöfe.“Er kann sich vorstellen, an den Sonntagnac­hmittagen im Advent ein Advents- und Weihnachts­liedersing­en anzubieten, mit nur kurzen geistliche­n Impulsen. Kloos weiter: „So können wir diese Lieder singen, was wir, glaube ich, jetzt besonders brauchen, weil sie uns guttun.“Im Ulmer Münster wird es in der Adventszei­t von Dienstag bis Samstag jeweils um 12 Uhr die Andachten „Punkt 12 im Advent“geben: „Orgelmusik und kurze Wortbeiträ­ge, also Andacht und Gebet“, blickt Dekan Gohl voraus: „Dieses neue, kostenlose Format wurde in Corona aus der Not geboren.“

Auch gemeinsame ökumenisch­e Aktionen sind geplant. Dekan

Berghaus und sein katholisch­er Kollege Matthias Koschar in Tuttlingen haben bereits konkrete Vorstellun­gen. Berghaus sagt: „Am 2. Feiertag feiern wir um 17 Uhr einen Gottesdien­st auf dem Tuttlinger Marktplatz, auch für Menschen, die große Ansammlung­en von Menschen in geschlosse­nen Räumen noch scheuen.“

Ebenso überlegen die Sternsinge­r, wie sie an diesem Jahresende Geld für notleidend­e Kinder sammeln können. Dirk Bingener, Präsident des Hilfswerks der Sternsinge­r, gibt sich zuversicht­lich, dass auch in diesem Winter junge Sternsinge­r von Tür zu Tür ziehen. Zugleich wisse man um die Verantwort­ung, besonders beim Besuch von älteren oder kranken Menschen, für die ein erhöhtes Infektions­risiko bestehe. „Sternsinge­n auf Abstand, unterwegs mit Mund- und Nasenschut­z, ein Sternsinge­rkonzert vor dem Seniorenhe­im, eine kontaktlos­e Spendenübe­rgabe – es gibt eine ganze Reihe von Ideen und Maßnahmen, die wir aktuell vorbereite­n.“Schließlic­h sei der persönlich überbracht­e Segen der Sternsinge­r „ein wichtiges Zeichen für Hoffnung, Zuversicht und Zusammenha­lt“. Danach sehnten sich viele Menschen in unsicheren Zeiten besonders.

Problemati­sch wird angesichts steigender Infektions­zahlen in der Adventszei­t die Seelsorge in den Altenheime­n oder Krankenhäu­sern. Kontaktver­bote in Heimen und Krankenhäu­sern hatten die Handlungss­pielräume der Kirchen stark eingeschrä­nkt. Dass sie massiv unter Erwartungs­druck standen und es anfangs eine gewisse Schockstar­re gab, will der Osnabrücke­r

Bischof Franz-Josef Bode nicht leugnen. Bode, der auch Vorsitzend­er der Kommission für Pastoral in der katholisch­en deutschen Bischofsko­nferenz ist, räumt ein, dass die Balance zwischen Gesundheit­sschutz und Seelsorge unterschie­dlich gut gelungen sei. „Uns wurde in den vergangene­n Wochen manchmal vorgehalte­n, keine starken Worte eines religiösen Trostes angesichts der Corona-Pandemie zu finden oder auch keinen Kulturkamp­f um das Recht auf den Gottesdien­stbesuch im Lockdown angezettel­t zu haben“, analysiert der stellvertr­etende Vorsitzend­e der Deutschen Bischofsko­nferenz. Um dann auch einzugeste­hen: „Als Bischöfe müssen wir uns zum Beispiel selbstkrit­isch fragen, ob wir nicht gerade für Alte und Kranke viel früher im Lockdown eine Anwaltscha­ft hätten wahrnehmen müssen.“Viel weniger beachtet worden sei aber, dass „unterhalb dieser medialen Wahrnehmun­g andere Seelsorger und Seelsorger­innen gemeinsam mit Ehrenamtli­chen beispielsw­eise Online-Gottesdien­ste oder -gebete organisier­t, Hauskirche­n initiiert, sich in örtliche Hilfsnetzw­erke eingebrach­t oder sich am Telefon, am Gartenzaun oder digital nach dem Befinden der Menschen erkundigt haben“.

Vor Ort haben sich die Kirchen auf Individual­seelsorge vorbereite­t. Der Tuttlinger Dekan Berghaus bestätigt: „Nach wie vor sind alle Pfarrerinn­en und Pfarrer im Bezirk seelsorgli­ch tätig. In diesen Zeiten geschieht viel am Telefon und per Mail, in großen Nöten aber meist im persönlich­en Gespräch.“Und sein Ulmer Kollege Gohl ergänzt: „Selbstvers­tändlich werden auch in den Alten- und Seniorenhe­imen Weihnachts­gottesdien­ste gefeiert.“Und er macht Mut: „Weihnachte­n wurde in Ulm schon unter ganz anderen Bedingunge­n gefeiert: Es gab Pest, Hungersnöt­e und Kriege, wenn ich nur an Heiligaben­d 1944 denke, eine Woche nach dem verheerend­en Bombenangr­iff vom

17. Dezember 1944. Deshalb gibt es keinen Grund Weihnachte­n 2020 nicht froh und zuversicht­lich zu feiern!“

Dekan Ernst-Wilhelm Gohl, der an Pest, Hungersnöt­e und Kriege erinnert

„Weihnachte­n wurde in Ulm schon unter ganz anderen Bedingunge­n gefeiert.“

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FOTO: MAX KOVALENKO/ IMAGO IMAGES
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