Mette mit Maske
Die Kirchen bereiten sich auf die Weihnachtszeit vor – Corona fordert Einschränkungen – Pfarrämter arbeiten an kreativen Lösungen
Weihnachten darf nicht ausfallen. Und es wird auch nicht ausfallen.“Wenn in diesen Tagen in evangelischen und katholischen Kreisen über die bevorstehende Adventsund Weihnachtszeit in Zeiten der Pandemie diskutiert wird, stehen zwei Gedanken im Vordergrund: „Wer in diesem Jahr an Weihnachten wegen Teilnehmerobergrenzen an der Kirchentür abgewiesen wird, der kommt im nächsten Jahr nicht wieder.“Daher gelte: „Was an Ostern und Pfingsten passiert ist, als Gottesdienste reihenweise ausfielen oder quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfanden, wird sich nicht wiederholen.“Es hagelte teils harsche Kritik. Denn die Kirchen waren im Frühjahr vom Lockdown kalt erwischt worden. Für Weihnachten als hoch emotional besetztes Fest der Familie werde man Lösungen finden. Schließlich hatten sie – anders als im Frühjahr – nun mehrere Monate Zeit, sich auf die Pandemie und die Folgen einzustellen.
Fest steht: Gläubige werden sich auf Einschränkungen einstellen müssen, die traditionelle Enge in den Gottesdiensten wird dem Abstandsgebot weichen. „Ja, wir müssen für die Weihnachtsgottesdienste nach dem Windhund-Prinzip Karten vergeben“, kündigt Erzabt Tutilo Burger vom Benediktinerkloster Beuron an: „60 Sitzplätze haben wir in unserer Kirche, in der normalerweise 400 Gläubige Platz finden.“Sogar in einer der größten Kirchen Süddeutschlands, dem Ulmer Münster mit seinen über 2500 Sitzplätzen, wird der Platz knapp. Dekan Ernst-Wilhelm Gohl sagt: „Jedes Jahr sind die Gottesdienste an Heiligabend so gut besucht, dass es richtig eng wird. Selbst das Münster kommt an Heiligabend in der Christvesper und Mette regelmäßig an die Grenze seiner Kapazitäten. Dicht an dicht sitzen die Menschen. In diesem Jahr wird das anders sein.“
Doch offensichtlich ist die Zeit genutzt worden, wie ein Blick in die Region zeigt, um kreative Lösungen jenseits gestreamter Gottesdienste zu finden. Der Tenor: Weil die Zahl der Mitfeiernden stark begrenzt werden muss, werde es zusätzliche Gottesdienste in den jeweiligen Kirchen geben. Dekan Gohl spricht für Ulm: „Diese Gottesdienste werden unterschiedlich akzentuiert sein, was die musikalische und inhaltliche Gestaltung angeht. Es wird also nicht einfach die Zahl erhöht, sondern auch das Angebot verbreitert – eher meditativ, eher
Pop, eher traditionell und so weiter.“Ebenso breit gefächert wird in der evangelischen Kirchengemeinde Tuttlingen geplant: „Wir bieten am Heiligen Abend 21 Gottesdienste an, mit Musik, Krippenspielen, Chören – allerdings immer mit viel weniger Akteuren und Besucherinnen und Besuchern als gewohnt“, blickt der Tuttlinger Dekan Sebastian Berghaus voraus und fügt an: „Alles natürlich sehr sorgfältig nach den geltenden Hygienevorschriften und mit Anmeldung, damit die Familien planen können und wir niemanden am Portal abweisen müssen.“Die evangelische Landeskirche hat nach Angaben des Ulmer Dekans Gohl mit einem Softwareunternehmen ein Programm entwickelt, das allen Gemeinden umsonst zur Verfügung gestellt wird: „Plätze können dann online gebucht werden. Wer keinen Computer hat, kann in den Pfarrämtern anrufen oder sich auch mit einem Brief schriftlich anmelden.“
Mit dezentralen Konzepten lehnen sich die Kirchengemeinden vor Ort an Tipps des katholischen Theologen und Liturgie-Experten Marius Linnenborn an. Der Leiter des Deutschen Liturgischen Instituts in Trier empfiehlt Gemeinden an Weihnachten, mehrere eher kurze Gottesdienste zu feiern. Als Grundsatz bei der Planung müsse wie auch sonst wegen der CoronaPandemie gelten: „Abstand halten. Sowohl zeitlich als auch räumlich“, sagt Linnenborn. Er rät außerdem dazu, wenn möglich auch draußen zu feiern: vor der Kirche, auf dem Marktplatz, auf einem Schulhof, auf einem Bauernhof oder an einem Wegkreuz zum Beispiel. Der Pfarrer hält kleine Gottesdienstformen für sinnvoll, die nicht länger als 15 oder 20 Minuten dauern und eine BibelLesung und ein kurzes Krippenspiel enthalten. Die Verkündigung der Weihnachtsbotschaft müsse an erster Stelle stehen.
Auch die katholischen Bischöfe appellieren an Gemeinden und Katholiken, die kommenden kirchlichen Feste in der Advents- und Weihnachtszeit kreativ zu gestalten. „Die Advents- und Weihnachtstage sind hoch emotional besetzt“, sagt der Osnabrücker Bischof FranzJosef Bode. Sie seien ein Testfall für kirchliche Handlungsfähigkeit. Der stellvertretende Vorsitzende der Bischofskonferenz wirbt dafür, „den Raum der Kirche in die Städte und Dörfer zu erweitern“. Denkbar seien etwa kleine Gottesdienste und Feiern auf Marktplätzen oder in der Natur. Die Gotteshäuser sollten geöffnet sein.
In den bereits abgesagten Adventsund Weihnachtsmärkten sieht der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki eine Chance für die Kirchen. Gemeinden sollten mit Adventsingen, Gebetsfeiern, Chordarbietungen und Gesprächsangeboten in diese Lücke springen, erklärte Woelki dem Kölner Internetportal domradio.de. Mit solchen alternativen Angeboten ließe sich der christliche Charakter des Advents stärker hervorheben. Denn Woelki glaubt, Corona habe bewirkt, „dass wir als Menschen vor unsere Endlichkeit gestellt worden sind“. Durch die Pandemie seien „Sterben und Tod in die Mitte der Gesellschaft gerückt“. Darauf habe die Kirche „oftmals keine Antworten“gehabt oder „sich nicht getraut, Antworten zu geben“.
Um Ideen mit Antworten zu sammeln und weiterzugeben, hat die evangelische Landeskirche in Württemberg eine digitale Plattform geschaltet, auf der Gemeinden Vorschläge in einen öffentlichen „Ideenpool“einspeisen können. Die Ideen sprudeln. „Hier in Stuttgart gibt es einige Jugendfarmen mit Schafen und Pferden. Ich könnte mir vorstellen, dass eine Stallandacht vor Ort dort für Familien eine attraktive Weihnachtsfeier wäre“, schlägt etwa Pfarrerin Franziska Stocker-Schwarz vor. Denn: „Die Geschichte der Hirten von Bethlehem mit echten Schafen zu spielen, macht Spaß.“Und auch der Tuttlinger Dekan Sebastian Berghaus weiß: „Es gibt dieses Jahr sehr viele Angebote im Freien. In Hausen ob Verena ist die Dorfweihnacht ja schon eine schöne Tradition.“Gegen die Ratlosigkeit, wie Gemeinden
coronagerechte Seelsorgeangebote ermöglichen können, bietet das Erzbistum Freiburg mehrere Online-Veranstaltungen: etwa das „Inspirationstreffen zu Advent und Weihnachten in besonderen Zeiten“, eine „Praxiswerkstatt Krippenspiel“und ein Seminar für Nikolausdarsteller. Diese werden beispielsweise in England seit dem Sommer geschult, ihre Geschenke auch unter Hygienemaßnahmen zu verteilen. Die Resonanz auf das Angebot sei „unglaublich“, freut sich Gabi Kunz, Mitarbeiterin im Seelsorgeamt Freiburg. Bereits jetzt gebe es rund 190 Anmeldungen, auch aus anderen Diözesen. „Die Leute brauchen einfach Informationen“, erklärt sie die große Nachfrage. Weitere Ideen sammelt das Bonifatiuswerk der deutschen Katholiken. Einige Beispiele: adventliche Besuche bei einer Krippenlandschaft, Briefe als Hoffnungszeichen. Ab sofort will die Initiative „Sternstunden der Menschlichkeit“Anregungen geben, wie Weihnachten in Zeiten von Corona gefeiert werden kann.
Aus Ulm kommt die Anregung, im Freien zu singen. Dekan Ulrich Kloos, der an der Basilika in UlmWiblingen tätig ist, weiß: „Damit das Singen der Advents- und Weihnachtslieder, nach dem sich ja viele in dieser Zeit sehnen, möglich ist, wollen wir schlicht draußen singen: Viele Kirchen haben schöne Innenhöfe.“Er kann sich vorstellen, an den Sonntagnachmittagen im Advent ein Advents- und Weihnachtsliedersingen anzubieten, mit nur kurzen geistlichen Impulsen. Kloos weiter: „So können wir diese Lieder singen, was wir, glaube ich, jetzt besonders brauchen, weil sie uns guttun.“Im Ulmer Münster wird es in der Adventszeit von Dienstag bis Samstag jeweils um 12 Uhr die Andachten „Punkt 12 im Advent“geben: „Orgelmusik und kurze Wortbeiträge, also Andacht und Gebet“, blickt Dekan Gohl voraus: „Dieses neue, kostenlose Format wurde in Corona aus der Not geboren.“
Auch gemeinsame ökumenische Aktionen sind geplant. Dekan
Berghaus und sein katholischer Kollege Matthias Koschar in Tuttlingen haben bereits konkrete Vorstellungen. Berghaus sagt: „Am 2. Feiertag feiern wir um 17 Uhr einen Gottesdienst auf dem Tuttlinger Marktplatz, auch für Menschen, die große Ansammlungen von Menschen in geschlossenen Räumen noch scheuen.“
Ebenso überlegen die Sternsinger, wie sie an diesem Jahresende Geld für notleidende Kinder sammeln können. Dirk Bingener, Präsident des Hilfswerks der Sternsinger, gibt sich zuversichtlich, dass auch in diesem Winter junge Sternsinger von Tür zu Tür ziehen. Zugleich wisse man um die Verantwortung, besonders beim Besuch von älteren oder kranken Menschen, für die ein erhöhtes Infektionsrisiko bestehe. „Sternsingen auf Abstand, unterwegs mit Mund- und Nasenschutz, ein Sternsingerkonzert vor dem Seniorenheim, eine kontaktlose Spendenübergabe – es gibt eine ganze Reihe von Ideen und Maßnahmen, die wir aktuell vorbereiten.“Schließlich sei der persönlich überbrachte Segen der Sternsinger „ein wichtiges Zeichen für Hoffnung, Zuversicht und Zusammenhalt“. Danach sehnten sich viele Menschen in unsicheren Zeiten besonders.
Problematisch wird angesichts steigender Infektionszahlen in der Adventszeit die Seelsorge in den Altenheimen oder Krankenhäusern. Kontaktverbote in Heimen und Krankenhäusern hatten die Handlungsspielräume der Kirchen stark eingeschränkt. Dass sie massiv unter Erwartungsdruck standen und es anfangs eine gewisse Schockstarre gab, will der Osnabrücker
Bischof Franz-Josef Bode nicht leugnen. Bode, der auch Vorsitzender der Kommission für Pastoral in der katholischen deutschen Bischofskonferenz ist, räumt ein, dass die Balance zwischen Gesundheitsschutz und Seelsorge unterschiedlich gut gelungen sei. „Uns wurde in den vergangenen Wochen manchmal vorgehalten, keine starken Worte eines religiösen Trostes angesichts der Corona-Pandemie zu finden oder auch keinen Kulturkampf um das Recht auf den Gottesdienstbesuch im Lockdown angezettelt zu haben“, analysiert der stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz. Um dann auch einzugestehen: „Als Bischöfe müssen wir uns zum Beispiel selbstkritisch fragen, ob wir nicht gerade für Alte und Kranke viel früher im Lockdown eine Anwaltschaft hätten wahrnehmen müssen.“Viel weniger beachtet worden sei aber, dass „unterhalb dieser medialen Wahrnehmung andere Seelsorger und Seelsorgerinnen gemeinsam mit Ehrenamtlichen beispielsweise Online-Gottesdienste oder -gebete organisiert, Hauskirchen initiiert, sich in örtliche Hilfsnetzwerke eingebracht oder sich am Telefon, am Gartenzaun oder digital nach dem Befinden der Menschen erkundigt haben“.
Vor Ort haben sich die Kirchen auf Individualseelsorge vorbereitet. Der Tuttlinger Dekan Berghaus bestätigt: „Nach wie vor sind alle Pfarrerinnen und Pfarrer im Bezirk seelsorglich tätig. In diesen Zeiten geschieht viel am Telefon und per Mail, in großen Nöten aber meist im persönlichen Gespräch.“Und sein Ulmer Kollege Gohl ergänzt: „Selbstverständlich werden auch in den Alten- und Seniorenheimen Weihnachtsgottesdienste gefeiert.“Und er macht Mut: „Weihnachten wurde in Ulm schon unter ganz anderen Bedingungen gefeiert: Es gab Pest, Hungersnöte und Kriege, wenn ich nur an Heiligabend 1944 denke, eine Woche nach dem verheerenden Bombenangriff vom
17. Dezember 1944. Deshalb gibt es keinen Grund Weihnachten 2020 nicht froh und zuversichtlich zu feiern!“
Dekan Ernst-Wilhelm Gohl, der an Pest, Hungersnöte und Kriege erinnert
„Weihnachten wurde in Ulm schon unter ganz anderen Bedingungen gefeiert.“