Abgang eines Charakterkopfs
Joe Kaeser legt bei Siemens seine letzte Bilanz vor – Als Vorstandschef gehörte der Niederbayer zu den politischsten Managern überhaupt
(dpa) - Joe Kaeser ist fertig. Der scheidende Siemens-Chef hat den Konzern umgebaut wie kaum einer seiner Vorgänger. Statt dem einen großen Tanker Siemens gibt es jetzt mindestens drei Konzerne dieses Namens: Siemens, Siemens Healthineers (Medizintechnik) und Siemens Energy. Gerade hat das Unternehmen zudem noch seine Tochter Flender verkauft. Der Laden ist aufgeräumt und Kaeser tritt ab.
Mit der Hauptversammlung im Februar soll der Wechsel vom Niederbayern auf seinen Nachfolger Roland Busch vollzogen werden. Eigentlich wäre es jetzt Zeit für die Abschiedstour. Seit Oktober hält Busch die operativen Zügel schon weitgehend in der Hand. Die Jahresbilanz am Donnerstag war Kaesers letzte in dem Unternehmen, das sein Leben über Jahrzehnte geprägt und dem er seinen Stempel aufgedrückt hat.
Und er konnte zufrieden sein: Trotz Corona legte der scheidende Chef bei der Jahresbilanz einen Milliardengewinn vor. Zwar sank das Ergebnis im abgelaufenen Geschäftsjahr um ein Viertel, doch unter dem Strich stehen immer noch 4,2 Milliarden Euro. Dabei half ein Schlussspurt im vierten Geschäftsquartal: Alleine von Juli bis September verdiente Siemens 1,9 Milliarden Euro.
Siemens habe „ein bemerkenswertes Geschäftsjahr mit einem starken vierten Quartal abgeschlossen“, sagte Kaeser. Das Unternehmen sei „hervorragend aufgestellt“, nachdem es in den vergangenen Monaten sein Energiegeschäft als Siemens Energy an die Börse gebracht und die Antriebstochter Flender für rund zwei Milliarden Euro verkauft hat.
Die Abspaltung von Siemens Energy sorgte für eine massive Veränderung beim Umsatz: Vor einem Jahr war er noch mit 86,8 Milliarden Euro ausgewiesen worden, jetzt waren es 57,1 Milliarden Euro. Auf vergleichbarer Basis – also ohne Siemens Energy – ergab sich ein leichter Rückgang um zwei Prozent.
Kaeser kann sich damit zugute halten, Siemens bisher solide durch die Krise geführt zu haben. Keine roten Zahlen – auch weil er das Unternehmen in seinen Jahren an der Spitze auf Marge getrimmt hat. Einen Jobabbau wegen Corona schließt Kaeser aus, zuletzt gab es sogar eine Prämie für die Mitarbeiter.
Verkündet wurde die Zahlung von Kaeser selbst. Per Twitter spurtete er seinem Kommunikationsteam voraus. Den Kurznachrichtendienst hat er immer wieder genutzt – oft auch für Themen jenseits von Siemens. Kaum ein Chef eines DaxKonzerns twittert so politisch. Er nimmt die Bundeskanzlerin gegen Kritik in Schutz, positioniert sich deutlich gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus. Dieses Engagement hat Kaeser auch Ärger eingebracht. 2019 erhielt er eine Morddrohung, die der streitbare Manager auf Twitter mit den Worten „der Teufel hat jetzt auch E-Mail“öffentlich machte. Die allermeisten seiner Tweets bereue er nicht, sagte Kaeser jüngst den „Nürnberger Nachrichten“. „Ich halte es für wichtig, dass man sich bei bestimmten Themen positioniert. Da muss man dann aber auch mit den Konsequenzen leben.“
Auch auf Kritik an Siemens reagierte er immer wieder über den Kurznachrichtendienst – mit geteiltem Erfolg. So rückte die Kritik an der Siemens-Beteiligung am umstrittenen Adani-Kohleabbau in Australien erst so richtig ins Licht, nachdem Kaeser auf Twitter versprochen hatte, sich die Sache genauer anzusehen. Nach ausführlicher Bedenkzeit und einem Gespräch mit Klimaaktivistin Luisa Neubauer entschied er am Ende,
dass der Vertrag erfüllt werden müsse – und fing sich einen Shitstorm der enttäuschten Adani-Gegner ein.
Kaeser wolle gemocht werden, heißt es von Menschen, die lange mit ihm zu tun haben. Die Kritik der Klimaaktivisten dürfte ihn aber nicht nur deswegen geschmerzt haben, sondern auch, weil er selbst Siemens immer wieder als großen Klimaschützer darstellt, der bei seinen Kunden helfe, riesige Mengen CO2 einzusparen.
40 Jahre ist Kaeser inzwischen bei Siemens. 1980 war er noch unter dem Namen Josef Käser in den Konzern eingetreten. Sein Werdegang führte ihn auch in die USA, wo sein Vorname kürzer wurde und der Umlaut im Nachnamen weichen musste. 2006 wurde er Finanzvorstand, 2013 Vorstandsvorsitzender. Kaeser hat bewegte Zeiten bei Siemens erlebt: Seine beiden Vorgänger Klaus Kleinfeld und Peter Löscher mussten den Siemens-Chefsessel vorzeitig räumen. Kaeser betont gerne, dass es mit ihm nun wieder einen geregelten Wechsel gebe.
Kaeser kann auch hart sein. Immer wieder gab es in seiner Zeit Stellenabbau-Programme. „In seiner Zeit als Vorstandsvorsitzender standen oft Margenorientierung, Um- und Abbau sowie die Zergliederung des Unternehmens im Mittelpunkt“, sagt die Gesamtbetriebsratsvorsitzende Birgit Steinborn. „Damit hatten wir einige Interessenkonflikte, besonders im Energiebereich kam es zu massiven Auseinandersetzungen um Arbeitsplätze und Standorte.“Insgesamt habe man mit ihm aber „sachlich und auf Augenhöhe verhandelt“.
Auch für die IG Metall war Kaeser „ein harter, aber immer ein fairer und berechenbarer Verhandlungspartner“, wie Jürgen Kerner sagt, der für die Gewerkschaft im Aufsichtsrat sitzt. „Was uns am Ende über alle Differenzen hinweg selbst in großen Konflikten an einen Tisch brachte, war das Bestreben, das Beste für das Unternehmen und seine Beschäftigten zu finden – auch, wenn wir über den Weg zu diesem Ziel noch so unterschiedlicher Meinung waren.“
Und auch Steinborn sieht eine „klare Übereinstimmung“mit Kaeser: „Sein Engagement gegen jegliche Form von Diskriminierung, Ausgrenzung, Hass und Nationalismus bei Siemens und in der Gesellschaft unterstützen und teilen wir.“
Kaeser selbst blickte am Donnerstag auf seine Zeit an der SiemensSpitze so zurück: „Insgesamt gesehen haben wir im Laufe der Jahre eine wirklich gute und besonders zuverlässige Erfolgsserie geliefert.“Er sei stolz darauf, was Siemens erreicht habe. „Es hätte mehr sein können, vielleicht sogar sollen, aber vielleicht nicht unbedingt müssen.“
Der Frage, ob er sich vorstellen könne, in zwei Jahren als Aufsichtsrat zu Siemens zurückzukehren, ließ Kaeser unbeantwortet.