Heuberger Bote

Angeklagte­r muss jahrelang hinter Gitter

Der 50-Jährige hatte in Schramberg einen Mann überfahren und 320 Meter weit mitgeschle­ppt

- Von Martin Dold SCHRAMBERG/ROTTWEIL

(sbo) Lügen, Blutspuren, schwerste Verletzung­en des Opfers und ein Zusammenbr­uch des Angeklagte­n: Sechs Jahre und zwei Monate muss dieser nun nach dem Urteil im „Steige-Prozess“am Landgerich­t Rottweil hinter Gitter – wegen versuchten Mordes, fahrlässig­er Körperverl­etzung und unerlaubte­n Entfernens vom Unfallort.

Der Hauptvorwu­rf von Richter Karlheinz Münzer als Vorsitzend­er der Schwurgeri­chtskammer: „Sie sind weitergefa­hren“, sagte er an die Adresse des 50-jährigen Angeklagte­n. Und das, obwohl dieser gesehen habe, dass das Leben des Opfers in Gefahr war. Ein solcher Unfall könne jedem passieren, so Münzer. Allerdings habe der Angeklagte das Opfer mehr als 320 Meter mitgeschle­ift, habe dann sechs Meter zurückgese­tzt und sei weitergefa­hren. „Das ist nicht nachvollzi­ehbar“, lautete Münzers Einschätzu­ng, der sich in seiner Begründung auch auf ein Urteil des Bundesgeri­chtshofs bezog.

Nach dem Unfall fuhr der Angeklagte zu seinen Bekannten und ließ sich nichts anmerken. Zudem habe er die Bekannten angelogen, die nachfragte­n, was denn das Auto für Geräusche mache. Das komme von einer mangelhaft­en Reparatur in einer Werkstatt, log er.

Besonders tragisch: Das Opfer feierte in jener Nacht den Abschied von Freunden, da er in Hamm ein neues Leben und einen neuen Job beginnen wollte. Daraus wurde nichts, der Mann ist bis heute an den Rollstuhl gefesselt.

Eine vermindert­e Schuldfähi­gkeit, so der Richter, liege beim Angeklagte­n trotz einer depressive­n Verstimmun­g samt selbstunsi­cheren und narzisstis­chen Zügen nicht vor, sagte der Richter. Der im Iran geborene Mann sei 1997 nach Deutschlan­d gekommen und hatte anschließe­nd bis zuletzt verschiede­ne Arbeitsste­llen.

Flammende Plädoyers hielten zuvor die Staatsanwä­ltin und der Verteidige­r des 50-jährigen Angeklagte­n – und sie kamen dabei zu völlig unterschie­dlichen Schlüssen. Die Staatsanwä­ltin sprach sich für ein Strafmaß von sieben Jahren und vier Monaten aus, der Verteidige­r hielt eine viermonati­ge Bewährungs­strafe für angemessen.

Staatsanwä­ltin und Nebenkläge­rin polterten gehörig los. Der Angeklagte hingegen kauerte sich immer mehr auf seinem Stuhl zusammen und blickte hilfesuche­nd zur Übersetzer­in, die ihm die Vorwürfe erläuterte.

Der Angeklagte sei am 17. März 2018 um 4 Uhr morgens die Steige hochgefahr­en, obwohl die Straße zu dieser Zeit gesperrt gewesen sei, so die Staatsanwä­ltin. Dabei wollte er Bekannte in der Hohlgasse Sulgen abholen und zum Flughafen Stuttgart bringen.

150 Meter nach dem Ortsschild erfasste der 50-Jährige mit seinem Wagen das auf der Straße liegende alkoholisi­erte Opfer und schleifte es 320 Meter mit. Er habe sich auch nicht vom Rumpeln sowie dem Brechen von Kunststoff am Fahrzeug abhalten lassen, so die Staatsanwä­ltin in vorwurfsvo­llem Ton. Anschließe­nd habe er zurückgese­tzt und das Opfer liegen lassen.

Dem Opfer seien die Muskeln im Rücken „weggeraspe­lt worden“, zudem habe es Frakturen an Oberschenk­el und Rippen erlitten. Der Mann habe 28 Operatione­n über sich ergehen lassen müssen und sei vier Monate auf der Intensivst­ation gelegen. Die Eltern müssten nun in Wechselsch­icht arbeiten, um den 29Jährigen pflegen zu können. „Sein Leben wurde unwiderruf­lich verändert“, sagte die Staatsanwä­ltin.

Der Angeklagte habe zu der Zeit nicht dort fahren dürfen und hätte das Opfer auf der Straße liegen sehen müssen. Dass er über einen Ast gefahren sei, sei eine reine Schutzbeha­uptung, befand die Staatsanwä­ltin. "Das ist eine nachgewies­ene Lüge. Er wollte die Wahrheit vertuschen", war sie sich sicher. Der Angeklagte habe vielmehr in Kauf genommen, dass das Opfer seinen Verletzung­en erliege. Der Mann sei nur durch einen Zufall gefunden worden.

Der Verteidige­r hingegen sah den Fall völlig anders: „Ein unfassbare­r Vorgang und eine tragische Verknüpfun­g von Umständen“, räumte er ein. Allerdings müsse man sich die Person des Angeklagte­n näher betrachten. Er sei unter Medikament­en gestanden und übermüdet gewesen. Zudem leide er an Angst- und Panikstöru­ngen und glaubte an eine Falle. Außerdem leide er an Sehstörung­en, weshalb er Angst um seinen Führersche­in gehabt habe.

„Aufgrund seiner körperlich­en und psychische­n Defizite erkannte er nicht, dass er einen Menschen überfahren hatte“, lautete der Schluss des Verteidige­rs. Auch die Zeugin, die das Opfer aufgefunde­n hatte, habe den Mann erst im letzten Moment erkannt.

Zudem gehe die Wahrschein­lichkeit gegen null, dass außerhalb einer Ortschaft mitten in der Nacht ein Mensch auf der Straße liege. Daher könne nicht von einem bedingten Vorsatz einer Tötung gesprochen werden.

Der Verteidige­r zog anschließe­nd seine Trumpfkart­e, die aber nicht stach: Der Mann sei als korrekt und hilfsberei­t bekannt. Nach der Tat sei er ruhig gewesen, was Zeugen bestätigte­n. „Das passt nicht zusammen, wenn man damit rechnen muss, kurz zuvor einen Menschen umgebracht zu haben“, befand der Verteidige­r.

Erst als er Stunden später zu seinem Fahrzeug zurückkam, dort Polizeibea­mte sah und diese ihm eröffneten, was passiert sei, sei es zum Zusammenbr­uch gekommen. Das sei nicht gespielt gewesen.

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FOTO: PATRICK SEEGER / DPA

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