Probelauf mit Piks
In Ulm startet das landesweit erste Impfzentrum in den Probebetrieb – Für Ministerpräsident Kretschmann ist das Ende der Pandemie in Sicht
In der Messe Ulm hat das Deutsche Rote Kreuz (DRK) den Betrieb des dort geplanten Zentrums für Massenimpfungen gegen das Coronavirus geprobt. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne, rechts), Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) und Innenminister Thomas Strobl (CDU) ließen sich bei einem Besuch den geplanten Ablauf zeigen. Bei Lucha wurde dabei schon eine Spritze angesetzt (Foto: dpa), allerdings zur Simulation und ohne Impfstoff. Der echte Impfstoff könnte Mitte Dezember verfügbar sein, hieß es.
ULM - Winfried Kretschmann (72) verkündet die Frohe Botschaft zwischen Gitterzäunen und Pylonen. „Wir sehen Licht am Ende des Tunnels“, das Ende der Pandemie sei greifbar, sagt der Ministerpräsident. Am Samstag hat er in Ulm das erste Impfzentrum in Baden-Württemberg besucht. Es steht Pate für weitere im Land.
Politik lebt manchmal auch von nackten Tatsachen. Winfried Kretschmann lässt seinem Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) den Vortritt, als am Samstagvormittag unter dem Dach der Ulmer Messe ein Freiwilliger gesucht wird, auf dessen Arm Notfallsanitäterin Dorothea Gansloser die Spritze publikumswirksam aufsetzen kann. Der Piks ist fake, ein Impfstoff ebenfalls noch nicht enthalten in der Spritze. Doch bald soll es soweit sein.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) macht bereits Hoffnung auf einen verfügbaren Corona-Impfstoff innerhalb der nächsten Wochen. „Man muss ja sagen, dass die Nachrichten der letzten Tage bezüglich der Entwicklung eines Impfstoffes sehr zuversichtlich stimmen”, sagte Merkel Ende vergangener Woche nach der Videokonferenz des Europäischen Rates. „Wir rechnen auch in Europa mit Zulassungen, die im Dezember oder sehr bald nach der Jahreswende erfolgen könnten”, sagte die Kanzlerin. „Dann wird das Impfen natürlich beginnen.”
Millionen Menschen, auch in Baden-Württemberg, fiebern diesem Tag X entgegen. Doch: Der beste Impfstoff entfaltet keine Wirkung, wenn er nicht zu den Menschen, beziehungsweise in die Menschen hinein gelangt. Herausforderung Massenimpfung.
Um diese zu bewältigen, bedarf es einer logistischen Großanstrengung. Eine weitere Botschaft, die Kretschmann gleich mehrere Male platziert an diesem Tag: Baden-Württemberg wird vorbereitet sein. Sobald der Impfstoff verfügbar ist, wird er eingesetzt. Und ganz Landesvater versichert er: „Wir leben in einem wohlgeordneten Gemeinwesen.“Genauso wohlgeordnet würden dann auch die Impfungen über die Bühne gehen. Der Impfakt selbst ist kaum der Rede wert. Auch Manfred Lucha kann seinen nackten Arm nach wenigen Augenblicken wieder in den Mantel stecken. Sein Kabinettskollege Thomas Strobl (CDU) hatte noch die Befürchtung geäußert, dass eine herkömmliche Kanüle womöglich zu dünn sei, um „die Lederhaut vom Manne Lucha“zu überwinden. Doch nur Frotzelei des Innenministers.
Die Spitzenpolitiker demonstrieren Einigkeit bei ihrem Besuch in der Ulmer Messe, in der, fast über Nacht, das erste Zentrale Impfzentrum (ZIZ) in Baden-Württemberg aufgebaut worden ist. Vor-Wahlkampf – im März wird der Landtag neu gewählt – verbietet sich angesichts der noch immer sehr ernsten Lage. Der Kampf gegen das Virus ist eine überparteiliche Aufgabe, er könne nur gewonnen werden, so Kretschmann & Co., wenn alle an einem Strang ziehen.
In Ulm tun sie das. Aufgebaut wurde die Versuchsanordnung federführend vom Deutschen Roten Kreuz: vom hiesigen DRK-Kreisverband und dem DRK-Rettungsdienst. Den Auftrag dazu erteilte das Sozialministerium. Doch im Boot sind noch viel mehr Akteure, ohne die es kaum möglich sein dürfte, Tag für Tag Hunderte Menschen durch das Impfzentrum zu schleusen. Das ist der Plan.
Das Startsignal zur Massenimpfung wird die Bundesregierung geben, flankiert von einer bundeseinheitlichen Infokampagne. Die breite gesunde Bevölkerung wird sich aber noch ein Weilchen gedulden müssen. Entsprechend der Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (Stiko) sollen zunächst Menschen mit Vorerkrankungen geimpft werden, ältere Menschen, Menschen in der Pflege, der Medizin und jene, die dafür Sorge tragen, dass der Staat weiterhin gut funktioniert. Feuerwehrleute und Polizisten zum Beispiel. Von den Zentralen Impfzentren aus sollen auch mobile Impfteams entsandt werden. Sie besuchen Pflegeeinrichtungen und Seniorenheime.
Das Ulmer Impfzentrum fungiert als Blaupause für sieben bis acht weitere Zentrale Impfzentren, die bis Mitte Dezember in Baden-Württemberg eingerichtet sein sollen, um sodann – sofern der Impfstoff tatsächlich vorhanden ist – mit der „Verimpfung“der Bevölkerung zu beginnen. Kapazität pro ZIZ: bis zu 1500 Menschen täglich, 120 pro Stunde. Abermals jedoch betont Kretschmann: Wer Vorbehalte habe, der müsse sich nicht impfen lassen. Es werde keine Impfpflicht geben.
Der Aufbau des „Impfparcours“in Ulm, den die Gäste aus Stuttgart am Samstag durchlaufen, erinnert an große Blutspenden-Aktionen. Mit diesem Unterschied: Statt dem Körper etwas zu entnehmen (Blut), wird etwas hinzugegeben (Impfstoff). Einer ersten Registrierung folgt die ausführliche Information der zu Impfenden sowie schließlich die eigentliche Impfung. Nur etwa 15 Minuten soll der Impfprozess selbst dauern.
Kretschmann und sein Gefolge sind Zeuge sowie Teil einer Inszenierung: Viele Dutzende Freiwillige spielen Abläufe nach. Wie sind die Laufwege, ist genügend Platz vorhanden, kann der Datenschutz ausreichend berücksichtigt werden?
Kretschmann zeigt sich beeindruckt. An jedes noch so kleine Detail sei gedacht worden, von der Beseitigung möglicher Stolperfallen bis hin zum obligatorischen Hygienekonzept. Doch Scheitern ist ausdrücklich gestattet in den kommenden Wochen. „Es darf auch was schiefgehen“, sagt Sozialminister Lucha. Einer misslungenen Generalprobe folge in der Regel schließlich eine gelungene Premiere.
Die eingerichteten und durch Gitterzäune und Flatterband voneinander getrennten Bereiche sind Module. Sie sollen flexibel und verschiebbar sein. Das sei von Vorteil, wenn man sich schnell neuen äußeren Umständen
anpassen müsse. Von einer starren „Impfstraße“zu sprechen, sei deshalb irreführend, erklärt der ärztliche Berater des Sozialministeriums, Professor Bernd Kühlmuß.
Innenminister Strobl, den Lucha bei der Begrüßung als „Blaulicht“Minister vorstellt, erklärt, dass es nun auf die „hohe Schule der Ablauforganisation“ankomme. In diese eingebunden sind in Ulm auch die
Stadt, der das Messegelände gehört, die Bundeswehr, die Feuerwehr, aber auch der Bevölkerungsschutz, die Uniklinik, das Bundeswehrkrankenhaus und nicht zu vergessen die Polizei. Sie soll auch Sorge dafür tragen, dass Impfstoff nicht abhanden kommt auf dem Weg zu den Patienten.
„Geöffnet“haben sollen die Zentralen Impfzentren in ihrer heißen Phase täglich zwischen 7 und 21 Uhr. Zugang haben zunächst jedoch eben nur die „geladenen Gäste“, die als vulnerable Personen ausgemacht worden sind. Denn der Impfstoff wird, vor allem in diesem Jahr, noch knapp sein. Geplant sind über die großen Impfzentren hinaus aber noch weitere Impfanlaufstellen, nämlich ein bis zwei kleinere Impfzentren pro Landkreis mit jeweils rund der Hälfte der Kapazität der großen. Sie sollen ihre Betriebsbereitschaft einen Monat später erlangen, am 15. Januar.
Von den rund fünf Millionen Impfdosen, mit denen der Bund noch in diesem Jahr rechnet – es soll sich um Impfstoff aus dem Hause Biontech/Pfizer handeln –, sollen 600 000 nach Baden-Württemberg gehen. Herunterebrochen könnte dies pro Impfzentrum im Land rund 60 000 zugeteilte Einheiten bedeuten. Bei rund 1500 Impfungen pro Tag und einem Impfbeginn Mitte Dezember, wäre diese erste Tranche des Impfstoffs noch Ende Januar vollständig unters Volk gebracht, auch in Ulm. Und dann?
Dann hofft die Politik auf weiteren „Stoff “. Auch das in Baden-Württemberg
ansässige Pharmaunternehmen Curevac (Tübingen) soll Nachschub liefern. Es mache ihn stolz, sagt Kretschmann, dass dessen Impfstoff „kurz vor der Zulassung“stehe.
Wie eine biblische Plage ist das Virus über die Welt gekommen. Es hat jedoch auch Unheil angerichtet jenseits der Symptome, die ein Körper zeigt, sobald er befallen ist. Kretschmann kommt auf die „Querdenker“zu sprechen, „Ver-Querdenker“, nennt er sie. Auch in Ulm versammeln sie sich, marschieren und demonstrieren regelmäßig auf gegen eine „Corona-Diktatur“, die die Politik, behaupten sie, errichten wolle. Für Kretschmann „VollQuatsch“. Für diesen Montag haben die renitenten „Corona-Leugner“in Ulm ihre nächste Demonstration angekündigt.
„Wir sehen Licht am Ende des Tunnels.“
Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne)
Der Regierungschef findet: Es ist großes Glück, sich mit Auslastungen und Betriebsplänen von Impfzentren überhaupt beschäftigen zu dürfen. Es sei für ihn ein „Tag der Vorfreude“, sagt er in Ulm. Innenminister Strobl sieht ebenfalls „Licht am Ende des Tunnels“. Es ist die mit Abstand meist gehörte Metapher an diesem Vormittag.
Wer geimpft wird, soll zunächst von seinem Arzt informiert werden. Sonst laufe man Gefahr, dass plötzlich „Menschen mit Vorerkrankungen“auf der Matte stehen, die eigentlich kerngesund sind, erklärt der grüne Ulmer Landtagsabgeordnete Jürgen Filius.
All jenen, die eine Impf-Einladung bekommen, rät Filius, der Anwalt ist, ihren Impfausweis mitzubringen. Damit sie später nachweisen können, dass sie ziemlich sicher immun gegen das Virus sind. Filius braucht nicht allzu viel Fantasie, um sich auszumalen: Das Virus wird zwar irgendwann weitestgehend verschwunden sein und eine „neue alte“Normalität Einzug gehalten haben. An der dann womöglich aber nicht alle teilhaben dürfen. Sondern nur jene, die auch belegen können, dass sie zu Gast waren in einem der neuen Impfzentren.