„Abstiegskandidat würde ich uns nicht nennen“
Simon Henzler, in Ravensburg geborener Torwarttrainer des FC Schalke 04, hält an seinem Optimismus fest
- Simon Henzler hat sicher schon bessere Zeiten in seiner Fußballkarriere erlebt. Mit dem FC St. Pauli war der gebürtige Ravensburger „Weltpokalsiegerbesieger“, mit dem FC Schalke 04 Vizemeister. Doch an der aktuellen Negativserie der Schalker mit mittlerweile 24 Bundesligaspielen ohne Sieg hat auch der Torwarttrainer der Knappen zu knabbern. Im Gespräch mit Martin Deck spricht Simon Henzler über die Gründe für die Krise, seine Enttäuschung über den Weggang von Alexander Nübel und seine Sehnsucht nach Oberschwaben.
Herr Henzler, als St. Pauli im Februar 2002 die Bayern schlug, die als amtierender ChampionsLeague-Sieger gerade erst den Weltpokal in Tokio gewonnen hatten, standen Sie im Tor und dürfen sich seitdem „Weltpokalsiegerbesieger“nennen. Ihr größter Erfolg?
Das war natürlich ein tolles Erlebnis. Von St. Pauli war das ein großartiger Marketing-Gag. Dieser imaginäre Titel haftet mir bis heute an – und es gibt definitiv Schlimmeres.
Die aktuelle Krise auf Schalke zum Beispiel. Ist das die schwerste Zeit Ihrer Karriere?
Ich hatte als Spieler natürlich auch einige unschönere Situationen, aber als Torwarttrainer ist das aktuell meine schwierigste Phase bislang.
Wie erklären Sie sich, dass sich die Mannschaft, die vor gut zwei Jahren noch Vizemeister wurde, in so kurzer Zeit zu einem Abstiegskandidaten entwickelt hat?
Abstiegskandidat würde ich uns nicht nennen. Es gibt sicherlich einige Gründe, weshalb wir in diese Situation gekommen sind. Klar ist, dass auch Corona eine Rolle spielt. Es ist Fakt, dass wir bis zur Unterbrechung der Bundesliga eindeutig besser waren. Dieser Bruch, gepaart mit vielen Verletzungen, ist sicher mit einer der Gründe, weshalb wir nun in dieser Negativphase sind.
Leidet der FC Schalke, der bekanntlich sehr von Emotionen lebt, besonders unter dem Ausschluss der Zuschauer?
Auf jeden Fall. Der ganze Verein ist geprägt von Emotionalität. Wenn man sonst bei jedem Heimspiel vor 62 000 Zuschauern spielt und auf einmal sind es null, dann ist das natürlich ein großes Handicap.
Welche Rolle spielt die Inkonstanz auf der Torhüterposition in den vergangenen zwei Jahren für die Entwicklung?
Die vertragliche Situation von Alexander Nübel in der letzten Saison war sehr schwierig, und er hat sich dann entschieden, den Verein zu verlassen. Dann auch noch zu Bayern München, das war natürlich für viele Fans ein großer Aufreger. Viele konnten nicht nachvollziehen, weshalb er dorthin geht – als Nummer 2 hinter dem weltbesten Torwart.
Sie gelten als Entdecker von Alexander Nübel. Wie sehr hat Sie per
sönlich sein Wechsel nach München geschmerzt – vor allem, wenn Sie nun sehen, dass er dort nur auf der Bank sitzt?
Das tut natürlich weh. Ich kenne Alex, seit er 17 ist, damals noch in Paderborn, und habe ihn seitdem auf seinem Weg begleitet. Ich hätte mir gewünscht, dass er hierbleibt und seinen auslaufenden Vertrag verlängert. Er hat sich letztlich aber anders entschieden und hatte dafür seine Gründe. Das muss man akzeptieren.
Auch in dieser Saison gab es lange keine klare Nummer 1 auf Schalke. Wieso?
Generell sind wir auf der Torhüterposition gut aufgestellt. Ralf (Fährmann, d. Red.) hat bis zu seiner Verletzung gut gespielt, Freddy (Rönnow, d. Red.) ist dann reingekommen und hat seine Sache ebenfalls gut gemacht. Letztendlich entscheidet jetzt der Cheftrainer, wer die kommenden Spiele bestreitet.
Sie haben selbst in Ihrer aktiven Karriere viel Zeit auf der Ersatzbank verbracht. Was bedeutet das für einen Torhüter?
Es ist natürlich unbefriedigend, wenn man nicht spielt. Aber das ist ein Stück weit das Los der Torhüter und den allermeisten bekannt. Klar hätte auch ich mir gewünscht, dass ich mehr als 19 Bundesligaspiele gemacht hätte. Aber letztlich gibt es immer Gründe dafür, warum es so kommt. Bei mir war es einfach so, dass meine Laufbahn von vielen Verletzungen geprägt war und ich auch durch mein Naturell immer sehr kollegial war. Vielleicht hätte ich manchmal mehr Drecksau sein müssen, dann hätte ich vielleicht auch ein paar mehr Bundesligaspiele gemacht.
Liegt das auch an Ihrer Jugend in Oberschwaben?
Ja, das kann man nicht leugnen. Diese schwäbische Mentalität habe ich einfach. Und die Zeit hat sich natürlich auch verändert. Die Spieler heute sind viel selbstbewusster, als wir es damals waren.
Sie haben Ihre Heimat mit 16 Jahren verlassen, als es ins Jugendinternat nach Stuttgart ging. Vermissen Sie Ravensburg noch manchmal?
Ich bin immer noch liebend gerne in meiner Heimat und komme so häufig ich kann zurück. Meine Eltern leben noch dort, genauso wie viele Freunde. Außerdem liebe ich die schwäbische Küche. Wenn ich mir aussuchen könnte, an welchem Ort ich leben könnte, würde ich noch immer Ravensburg oder den Bodensee wählen. Leider ist der Fußball dort aber nicht so gut aufgestellt.
Bundesligafußball ist in Gelsenkirchen hingegen nicht wegzudenken. Wie optimistisch sind Sie, dass Schalke die Wende noch gelingt?
Ich bin von Grund auf optimistisch.