Ein Gewinn für die Menschheit – und viele Firmen
Bei der Verteilung des Corona-Impfstoffs profitieren Chemie- und Glashersteller, Logistikkonzerne und ein Tuttlinger Kühlschrankspezialist
- Der Kampf gegen die weltumspannende Corona-Pandemie wird im Reagenzglas geführt – beim Finden und Testen mikroskopischer Substanzen für einen Impfstoff. Ihn zu verteilen aber wird „die größte und komplexeste globale Logistikoperation, die jemals unternommen wurde“, wie es der internationale Fluglinien-Verband IATA auf den Punkt bringt.
Bevor die Logistik beginnt, muss der Impfstoff allerdings fertig sein. Er könnte aus Mainz kommen von der Firma Biontech. Das vergleichsweise kleine Unternehmen meldete gemeinsam mit dem US-amerikanischen Pharmagiganten Pfizer einen Erfolg: Beide Partner haben in den USA den Antrag auf Notfall-Zulassung ihres Impfstoffes eingereicht. Noch in diesem Jahr wird die Freigabe erwartet. Biontech mischt damit ganz vorne mit im Kampf gegen Corona, ist bei Weitem aber nicht allein. Auch Forscher in Tübingen bei Curevac arbeiten an einem Impfstoff – mit finanzieller Unterstützung des Investors und SAP-Gründers Dietmar Hopp und der Bundesregierung. Curevac ist vom Antrag auf eine Zulassung noch etwas weiter entfernt. Wie die Konkurrenten aber befasst sich das Biotech-Unternehmen bereits jetzt mit der massenhaften Produktion des Vakzins.
Die Massenproduktion des Curevac-Impfstoffes übernimmt das Münchner Unternehmen Wacker Chemie. Der Spezialchemiekonzern werde im ersten Halbjahr 2021 mit der Produktion der mRNA-Wirkstoffsubstanz für den Impfstoffkandidaten beginnen. Am Wacker-Standort Amsterdam sollen pro Jahr mehr als 100 Millionen Dosen des Impfstoffes von Curevac hergestellt werden.
Für die Produktion gebraucht werden über kurz oder lang Milliarden kleiner Ampullen aus Spezialglas. Der Düsseldorfer Börsenkonzern
Gerresheimer gehört hier zu den Weltmarktführern. Ebenso die Spezialglasexperten von Schott aus Mainz. Drei Viertel aller Impfstoffhersteller mit Produkten in der ersten und zweiten klinischen Phase hätten bei Schott bestellt, heißt es in dem Unternehmen. Auch aufgrund dieser frühzeitigen Bestellungen seitens der Impfstoffproduzenten werde es Lieferengpässe nicht geben. Das Hochfahren der Produktion jedenfalls lässt die Kassen klingeln – die Mainzer rechnen mit einem zusätzlichen Umsatz im kleinen zweistelligen Millionenbereich.
Weil die Produktion von Impfstoffen bereits auf Hochtouren läuft, geben Biontech und Pfizer an, dass sie im Fall einer Zulassung in den USA innerhalb weniger Stunden mit der
Auslieferung beginnen könnten. Auch in Europa, Kanada, Australien, Japan und Großbritannien befinden sich beide Unternehmen in Kontakt mit den zuständigen Behörden und auf dem Weg möglicher Zulassungen.
Wie in Europa sind das auch in diesen Ländern sogenannte „rollierende“Verfahren: Dabei übermitteln die Unternehmen fortlaufend die Ergebnisse ihrer klinischen Tests. So kann die Prüfung der Behörden bereits stattfinden, noch während die Studien laufen. Gewöhnlich sammeln Pharmafirmen über Monate und Jahre alle Daten und Unterlagen, um sie nach Abschluss aller Prüfungen gebündelt den Behörden zu übergeben.
Sollten die Zulassungen dann kommen, sind Spediteure gefragt, um die „größte und komplexeste globale Logistikoperation“der Welt zu bewältigen und den Impfstoff möglichst rasch und reibungslos milliardenfach an Menschen in aller Welt zu bringen. Deswegen stellt sich auch die Cargo-Sparte der Lufthansa in Frankfurt mit Hochdruck auf die massenweise Verfrachtung von Impfstoffen ein. Dabei bereite man sich auf mögliche Exporte ebenso vor wie Importe, weil noch nicht abzuschätzen ist, von wo der erste Impfstoff letztlich kommen wird.
Auch die Deutsche Post/DHL sieht sich in einer starken Position. Aktuell befindet sich der Logistikkonzern im Gespräch mit Regierungen und Behörden und wappnet sich für die Mammutaufgabe. Eine von der Post in Auftrag gegebene Studie hat ergeben, dass die weltweite und milliardenfache Versorgung mit Impfstoffen in der Tat einer Herkulesaufgabe gleichkommt. Rund 200 000 Paletten-Transporte und 15 000 Flüge seien nötig, um die auf Dauer erforderlichen rund zehn Milliarden Impfstoffdosen auszuliefern. „An der Logistik jedenfalls wird es nicht scheitern“, zeigte Post-Chef Frank Appel sich vor wenigen Tagen zuversichtlich. Denn seit 20 Jahren habe man mit Pharmafirmen Erfahrungen gesammelt, um deren sensible Produkte zuzustellen – die Infrastruktur bestehe also bereits.
Eine der Schwierigkeiten dabei: Corona-Impfstoffe wie der von Biontech und Pfizer müssen bei Temperaturen von minus 70 bis minus 80 Grad gelagert und transportiert werden. Dass dies nicht zum Problem wird – auch hieran arbeiten deutsche Unternehmen mit. So ist etwa das in Würzburg ansässige Unternehmen Va-Q-tec auf Ultratiefkühlgeräte spezialisiert und meldete vor wenigen Tagen den Abschluss einer Vereinbarung: Vom ersten Quartal des kommenden Jahres an liefert das Unternehmen 1000 der HochleistungsTransportcontainer an einen der größten Pharmakonzerne. Mit weiteren Herstellern befinde man sich in fortgeschrittenen Verhandlungen. „Die vorliegende Vereinbarung ist die umfangreichste unserer 20-jährigen Unternehmensgeschichte und wohl eine der umfangreichsten der Branche überhaupt“, sagte Chef und Va-Q-tec-Gründer Joachim Kuhn.
Auch beim Unternehmen Binder hat die Pandemie das Geschäft kräftig angekurbelt. Das Tuttlinger Unternehmen ist auf Kühlschränke für Impfstoffforschung und -lagerung spezialisiert. Am meisten gefragt sind aktuell die sogenannten Freezer: Dabei handelt es sich um Ultratiefkühlschränke, die Temperaturen bis zu minus 90 Grad erreichen. Bei dieser Eiseskälte müssen sogenannte mRNA-Impfstoffe eingelagert werden. Sonst verlieren sie ihre Wirksamkeit.
Das mittelständische Unternehmen mit einem Jahresumsatz von 74 Millionen Euro 2019 rückt mit den Freezern international in den Fokus. Denn es gibt nur eine Handvoll Unternehmen weltweit, die so leistungsstarke Kühlschränke produzieren. Im Zuge der Krise seien schon Aufträge im hohen vierstelligen Bereich eingegangen, der Anstieg bei der Nachfrage sei „gigantisch“, heißt es aus der Unternehmensspitze.
Zu den Kunden von Binder gehören unter anderem Impfstoffentwickler wie Biontec oder Curevac, aber auch das Land Baden-Württemberg. Um die Kühlkette aufrechtzuerhalten, dürfen die Kühlschränke weder in Produktionshallen noch in Verteilund Impfzentren fehlen. Ein wenig verrückt sei das alles, erklärt Geschäftsführer Peter Binder: „Jahrelang hatten wir Probleme mit dem Gerät. Die Entwicklung war sehr komplex.“Ein paar Monate vor Ausbruch der Pandemie sei man fertig geworden. Abgesehen von den Geschäftszahlen freue er sich vor allem darüber, in der Krise Hilfe leisten zu können.
Schließlich werden auch medizinische Utensilien gebraucht, wenn es daran geht, Menschen tatsächlich zu impfen. B. Braun aus Hessen spielt hier eine entscheidende Rolle. „Viele Impfstoffhersteller und Landesregierungen fragen derzeit nach Spritzen und Kanülen sowie weiteren Produkten für eine Verimpfung an und lassen sich Kapazitäten zusichern“, sagte Frank Kirchner der Deutschen Welle. Kirchner ist Geschäftsführer von B. Braun Deutschland. Neben den kleinvolumigen Einmalspritzen und Kanülen produziert das Unternehmen auch Produkte zur allgemeinen Pandemiebekämpfung, wie Desinfektionsmittel, Untersuchungshandschuhe oder andere Schutzausrüstung für die medizinischen Helfer im Gesundheitswesen. Aktuell erarbeitet B. Braun Pläne, nach denen eine Verimpfung bereits am 15. Dezember starten könnte.