Gefangen zwischen Recht und Gerechtigkeit
Ferdinand von Schirach auf allen Kanälen der ARD: Ist die „Rettungsfolter“legitim?
Recht und Gerechtigkeit werden immer dann als gegensätzlich wahrgenommen, wenn sich Emotionen an der gesetzlichen Ordnung reiben. In dem groß angelegten ARD-Fernsehabend am Sonntag, 3. Januar, über ein Geständnis unter Folter steht dieser Konflikt im Mittelpunkt. Der Jurist und Bestsellerautor Ferdinand von Schirach, der erst kürzlich mit seinem interaktiven Film „Gott“die Gesetzesproblematik um den selbstbestimmten Tod in die Wohnzimmer transportiert hatte, setzt mit den „Feinde“Filmen wieder auf ein ungewöhnliches Format und die Breitenwirkung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens.
Erstmals werden zeitgleich im Ersten und in den dritten Programmen zwei Filme zum gleichen Thema aus unterschiedlichen Perspektiven gezeigt. Außerdem gibt es im Ersten eine Doku, und für das Mediatheken-Publikum wurde noch die verkürzte 45-Minuten-Filmversion „Feinde – Der Prozess“gedreht. Anlass für dieses mediale Großaufgebot ist der angestrebte Diskurs um Recht und Gerechtigkeit, festgemacht an der Frage: Darf ein mutmaßlicher Täter durch Androhung oder Ausübung von Gewalt zu einem Geständnis gezwungen werden?
Mit Gewalt ein Geständnis erzwingen? Nein, das geht ja gar nicht. Schnell dürfte man hier ein übereinstimmendes Meinungsbild bekommen. Heikler wird es allerdings, wenn feststeht, dass durch die Aussageverweigerung eines mutmaßlichen Täters ein Menschenleben bedroht ist. Schließlich gibt es den Begriff der sogenannten Rettungsfolter. Man erinnert sich an den Fall des 11jährigen Bankierssohn Jakob von Metzler, der 2002 entführt und getötet worden war. Der Täter gab das Versteck seines Opfers erst preis, nachdem man ihm Folter angedroht hatte. Der stellvertretende Polizeipräsident und ein weiterer Polizist wurden später zu einer Geldstrafe verurteilt.
Wie bei jenem realen Fall, der nun die Hintergrundfolie liefert, steht Kommissar Peter Nadler (Bjarne Mädel) in dem Krimi „Feinde – Gegen die Zeit“unter Druck: Die zwölfjährige Lisa von Bode (Alix Heyblom) wird an einem kalten Wintermorgen in Berlin entführt. Kurze Zeit später erhalten ihre Eltern eine Lösegeldforderung in Höhe von fünf Millionen Euro in Bitcoins. Der erfahrene Polizist weiß, dass das Mädchen wegen der Kälte rasch gefunden werden muss und vermutet den Täter im Umfeld der Familie. Als er deren jungen Sicherheitsmann Georg Kelz (Franz Hartwig) vernimmt, steht für Nadler fest, den Täter gefunden zu haben. Allerdings ist die Beweislage dürftig, und Kelz schweigt.
Wer sonntagabends gewohnheitsmäßig „Tatort“oder „Polizeiruf“schaut, wird im Ersten von diesem Ermittler-Krimi nicht enttäuscht werden. Als Zuschauer fiebert man zwangsläufig mit Eltern und Ermittlern und hofft, dass der Täter geschnappt und das Opfer rechtzeitig gefunden wird. Nils Willbrandt (Regie und Drehbuch mit Jan Ehlert nach einer Vorlage von Ferdinand von Schirach) empfiehlt sich hier als Meister der Spannung: Zunächst fängt er die liebevolle, vornehme Atmosphäre im Hause Bode ein, um den Zuschauer dann in eine eiskalte Welt des Verbrechens zu katapultieren.
Der Kommissar und seine Kollegin Judith Lansky (Katharina Schlothauer) wiederum versuchen zunächst, kühlen Kopf zu bewahren, was Nadler dann aber mehr und mehr misslingt. Zu oft schon hat er gegen das Verbrechen verloren. Er ist davon überzeugt, dass es das Böse in der Welt gibt. Mädel zeigt das Dilemma, in dem sich dieser Polizist befindet, sehr überzeugend auf. Er ist keineswegs der geborene Folterknecht. Nachdem Nadler das Geständnis erzwungen hat, ist er selbst dem Zusammenbruch nahe. Für Lisa kommen die Retter allerdings zu spät.
Doch wie viel ist ein Geständnis unter Folter wert? Um diese Frage dreht sich der zweite Krimi unter dem Titel „Feinde – Das Geständnis“. Der renommierte Schauspieler und Regisseur Klaus Maria Brandauer ist in die Rolle des Anwalts Konrad Biegler geschlüpft. Wie nicht anders zu erwarten, gibt er ihn so gesetzt wie überlegen. Die Verteidigung dieses Georg Kelz, der im Grunde als Täter überführt ist, bringt Biegler wahrlich keine Sympathien ein. Weder bei den Polizisten noch im Privatleben. Doch er übernimmt den Fall, weil er an der Rechtmäßigkeit des Geständnisses zweifelt. Außerdem prägt ihn als Anwalt mit langjähriger Praxis die Erfahrung, nie einen nur guten oder nur bösen Menschen getroffen zu haben.
Regisseur Willbrandt filmte diese zweite Version in gedämpften Tönen – passend zu den dichten Rauchwolken, die immer wieder durch die Kanzlei ziehen, da Biegler nicht ohne seine Zigarette auskommt. Symptomatisch für seinen Charakter: Alle Ratschläge zu einem gesünderen Leben inklusive Radfahren prallen an ihm ab. Doch wenn er auch mit dem Treppensteigen Mühe hat, sein Gehirn funktioniert einwandfrei – und so gerät der Prozess zu einer Lehrstunde in Sachen Recht. Wie er den Kommissar mit seinen Fragen verunsichert und in die Enge treibt, geht unter die Haut. Am Ende verliert Nadler alles und der Angeklagte wird freigesprochen. Gewinner aber ist der Rechtsstaat – so Biegler.
Warum nun aber dieser Aufwand mit zwei verschiedenen Filmversionen – die Gerichtsszene kommt schließlich auch im Krimi „Feinde – Gegen die Zeit“vor? „Die Zuschauer sollen ihr Meinungsbild hinterfragen und sich mit dem Thema Recht aus verschiedenen Perspektiven auseinandersetzen“, so argumentiert Produzent Oliver Berben. Hilfreich kann dabei auch die Dokumentation „Recht oder Gerechtigkeit“von Susanne Laermann und Jan Vogelgesang sein. Darin werden Eltern, Polizisten und Juristen beide Filmversionen gezeigt. Danach sollen sie über die Frage abstimmen, ob der Freispruch gerecht war.
In der Dokumentation kommen auch direkt Betroffene zu Wort. Etwa Richard Oetker, der einst von seinen Entführern in eine Kiste gezwängt und mit Elektroschocks so misshandelt wurde, dass er zeitlebens behindert ist. Oder die Familie Riße, deren 17-jährige Tochter 2015 entführt und getötet wurde. Wie viel Leid und Trauer die Opfer und Angehörige aushalten müssen, kann kein fiktiver Film vermitteln. Diese Dokumentation zeigt deshalb, wie sehr Betroffene unter diesen Schicksalen leiden, aber auch, wie im Fall Oetker, damit positiv umzugehen gelernt haben. Von Schirach wiederum macht in einem Statement noch einmal deutlich, weshalb es in einem Rechtsstaat keine Folter, auch keine Rettungsfolter geben kann. So stehe die Würde eines jeden Menschen unter dem Schutz der Verfassung. Auch die Würde eines Straftäters.
Der Freispruch für den Angeklagten Kelz wurde übrigens von den Eltern in der Dokumentation zu 84 Prozent als ungerecht empfunden. Bei den Polizisten waren es 59 Prozent und bei den Juristen – nicht überraschend – nur 23 Prozent. Als Ziel der aufwendigen Produktion galt es, besser zu verstehen, wie unser Staat funktioniert. Da scheint noch Luft nach oben zu sein.
Sendezeiten am Sonntag, 3.
Januar: ARD: 20.15 Uhr, Ferdinand von Schirach: Feinde – Gegen die Zeit, 21.45 Uhr, Dokumentation, Ferdinand von Schirach: Feinde – Recht oder Gerechtigkeit?, 22.30 Uhr, Ferdinand von Schirach: Feinde – Das Geständnis.
BR- und SWR-Fernsehen: 20.15 Uhr, Ferdinand von Schirach: Feinde – das Geständnis. 22.30 Uhr, Ferdinand von Schirach: Feinde – Gegen die Zeit.