Von menschlichen Verfehlungen und Abgründen
Ein Prozesstag im Berufungsgericht gibt Einblicke in Formen der Alltagskriminalität
ROTTWEIL/TUTTLINGEN – Bespucken von Polizeibeamten, Beleidigung einer Nachbarin, Exhibitionismus, Selbstbereicherung – die Kleine Strafkammer des Landgerichts Rottweil, die für Berufungsfälle zuständig ist, hatte es jüngst einen Prozesstag lang mit einem breiten Register menschlicher Verfehlungen und Abgründe zu tun. Die Erfolgsquote der Berufungen fiel eher bescheiden aus.
Es begann mit Warten auf einen Angeklagten. Der 46-Jährige war am Nachmittag des 6. Juli 2018 derart betrunken auf einem Bahnsteig des Tuttlinger Bahnhofs herumgetorkelt, dass er zur Gefahr für sich selbst und andere wurde und von der Polizei in Gewahrsam genommen werden sollte. Dem widersetzte er sich mit Händen und Füßen. Er spuckte, schlug um sich, bedrohte und beschimpfte die Polizisten.
Das Amtsgericht Tuttlingen verurteilte den Mann am 27. Mai 2019 wegen Angriffs, Bedrohung und Beleidigung gegen Vollstreckungsbeamte zu einer siebenmonatigen Haftstrafe. Sie fiel deshalb so hoch aus, weil der Mann zuvor schon Straftaten begangen hatte. Der 46-Jährige legte daraufhin Berufung ein, die jetzt in Rottweil verhandelt werden sollte.
Doch schon am Tag zuvor meldete sich der Verteidiger beim Gericht und erklärte, er lege sein Mandat nieder. Die vier geladenen Zeugen erschienen zwar, wer aber unentschuldigt fehlte, war der Angeklagte. Die Folgen: Das Gericht wies die Berufung zurück, das Tuttlinger Urteil ist rechtskräftig und der Täter muss jetzt auch noch die Kosten dieses Verfahrens
tragen.
Ungewöhnlich war der nächste Fall: Ein Asylbewerber sah sich mit dem Vorwurf „exhibitionistischer Handlungen“konfrontiert. Er soll am 4. September 2019 in einem Asylheim in Dornstetten, das ebenfalls zum Landgerichtsbezirk Rottweil gehört, vor einer Sozialbetreuerin die Hose heruntergelassen und onaniert haben. Die Frau zeigte ihn daraufhin an. Das Amtsgericht verurteilte den damals 24-Jährigen am 21. Januar dieses Jahres zu einer zweimonatigen Haftstrafe. Das wollte der junge Mann nicht hinnehmen und ging in die Berufung. Vor der Kleinen Strafkammer, die mit Richter Thomas Geiger und zwei Schöffen besetzt ist, bestritt der Angeklagte die Tat. Die Sozialbetreuerin schilderte dagegen den Tatablauf so konkret, dass das Gericht ihr glaubte und somit diese Berufung zurückwies. Der Asylbewerber muss ins Gefängnis.
Weiter ging’s mit einem Nachbarschaftsstreit, ein Fall von Beleidigung. Ein 34-jähriger Mann soll seine Nachbarin, ebenfalls in Dornstetten, von seinem Küchenfenster aus wüst beschimpft und unter anderem als „dumme Sau“bezeichnet haben. Deswegen war er vom Amtsgericht zu einer Geldstrafe von 3350 Euro verurteilt worden. Er wollte das nicht bezahlen und legte Berufung ein. Doch dann sagte er sein Erscheinen vor der Kleinen Strafkammer kurzfristig ab, „wegen eines Corona-Falls“. Jetzt will das Gericht einen schriftlichen Beweis anfordern und dann entscheiden, ob der Termin verschoben wird oder ob es bei der Geldstrafe bleibt.
Am Ende des Tages ging es dann noch um richtig viel Geld: Eine 36jährige Angestellte einer Apotheke in der Rottweiler Innenstadt soll zwischen Januar 2017 und Mai 2018 Kosmetik-Produkte im Wert von mehr als 21 000 Euro entwendet und dann bei Ebay angeboten und knapp 15 000 Euro verdient haben. Deshalb wurde sie im Juli dieses Jahres vom Amtsgericht Rottweil zu einer Geldstrafe von 4000 Euro verurteilt, zudem wurde der mutmaßliche Gewinn eingezogen.
Da die Frau den Diebstahl bestritt und der Apotheker als einziger Zeuge bei seiner Aussage blieb, stand Aussage gegen Aussage. Die Strafkammer mühte sich über längere Zeit auf der Suche nach der Wahrheit und entschied schließlich, es bei einem weiteren Termin weiter zu versuchen. Fortsetzung folgt.