Heuberger Bote

„Wir sind da, solange es finanziell möglich ist“

Hans-Peter Seute vom Tuttlinger Kinderschu­tzbund will benachteil­igten Kindern und Familien helfen

- TUTTLINGEN

- Elterncafé, Beratung, Minitreff: Der Tuttlinger Kinderschu­tzbund bietet Treffen und Hilfe für Kinder und Familien in vielen Lebenssitu­ationen an. 2020 war das wie bei vielen alles ein wenig anders. Wie die Mitarbeite­r Probleme gelöst und neue Wege gefunden haben, erzählt der Hans-Peter Seute, Vorsitzend­er des Kinderschu­tzbundes Tuttlingen, im Interview mit Dorothea Hecht.

Herr Seute, Sie sind, gemeinsam mit Irmgard Rieger, seit fünf Jahren Vorsitzend­er des Kinderschu­tzbunds. War das Ihr bisher schwerstes Jahr?

Das möchte ich so nicht sagen, aber es war sicherlich aufregende­r als die anderen. Wir mussten uns um Vieles kümmern, was im Regelbetri­eb kein Thema ist. So konnten wir nicht auf lange Sicht planen, weil Vieles kurzfristi­g wieder geändert warden musste. Uns hat die Pandemie im Frühjahr kalt erwischt, wir konnten von heute auf morgen keine Besucher mehr empfangen und das hat bei uns vor allem die Kinder getroffen, die ohnehin schon die schwächste­n unserer Gesellscha­ft sind.

Was war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich?

Vor allem die persönlich­en Kontakte, die bei uns unter anderem im beGroße gleiteten Umgang stattfinde­n. Das betrifft Kinder aus Trennungs- oder Scheidungs­familien, die in der Geschäftss­telle Kontakt mit dem Elternteil haben dürfen und wollen, bei dem sie nicht leben. Diese engen und intensiven Kontakte sind eigentlich nicht vereinbar mit der jeweils geltenden Corona-Verordnung. Unsere Sozialpäda­gogen begleiten diese Treffen und setzen sich ebenfalls der Infektions­gefahr aus. Das sind schwierige Entscheidu­ngen, weil gerade für Kinder diese enge Kontakt wichtig ist und der Umgang als hohes Rechtsgut gilt. Da konnten wir nicht sagen: Wir sind jetzt viele Monate gar nicht für euch da.

Wie haben Sie den Konflikt gelöst?

Wir haben die Umgänge in der Anzahl reduziert und auch Kinder nicht mehr nebeneinan­der, also gleichzeit­ig, begleitet, sondern nacheinand­er. Wir mussten uns eng abstimmen, damit jeder sein Zeitfenste­r bekommen konnte, was natürlich auch ein hoher zeitlicher und organisato­rischer Aufwand war. Der Abstand konnte zwangsläuf­ig nicht immer eingehalte­n werden, wir haben dann aber verstärkt auf Hygienemaß­nahmen und Mundschutz gesetzt. Das war wiederum schwierig, besonders für Kleinkinde­r, denn sie brauchen das offene Gesicht ihres Gegenübers, weil Mimik für Kinder einfach sehr wichtig ist, um Gefühle zu vermitteln. Die Mitarbeite­rinnen, die den Umgang begleiten, haben das aber einfühlsam und gut gelöst.

Hatten Sie beim Kinderschu­tzbund mit Corona-Fällen zu kämpfen?

Ausbrüche hatten wir Gott sei Dank nicht, nur einen Fall, in dem eine Mitarbeite­rin Kontaktper­son war. Als Vorstand sind wir natürlich nicht direkt in die Arbeit involviert, aber die Sozialpäda­gogen und Erzieher sind dicht dran am Geschehen. Wir sind froh, dass das bisher gut gegangen ist.

Sie mussten neben dem begleitete­n Umgang auch viele andere Angebote absagen. Wie haben Sie den Kontakt zu den Kindern und Familien gehalten?

Uns war schnell klar, dass wir den Kontakt halten müssen. Wenn die Kinder nicht zu uns kommen können, müssen wir zu den Kindern. Wirklich nach dem Motto: Jetzt erst recht. Die Erzieher aus dem Minitreff sind in der Schließzei­t zu den Kindern nach Hause gefahren und haben vor dem Haus Riesen-Seifenblas­en gemacht. Sie haben auch Videos gedreht für die Kinder, damit sie nicht entfremden. Später hat der Minitreff dann auf Kleingrupp­en umgestellt. Statt dem Elterncafé haben wir Eltern, die Rat suchen, Kontakt per Mail oder Telefon angeboten. Es gab Videochats und später den „Walk and Talk“. Dabei hat ein Elternteil mit einer Pädagogin einen Spaziergan­g gemacht und dabei Probleme besprochen. Später gab es das Elterncafé im Tuttilla-Abenteuerl­and – allgemein haben wir soviel wie möglich von den Angeboten nach draußen gelegt. Im Tuttilla gab es Zaungesprä­che zwischen Erziehern und Kindern oder Fahrradtou­ren. Die Erzieher der Spielnachm­ittage haben persönlich­e Briefe geschickt mit Bastelaufg­aben usw., da gab es zum Beispiel Armbänder mit dem Titel „Mit Abstand die Besten“. Und im Kleiderlad­en, in dem Familien gebrauchte Kleidung für Kinder bekommen, haben die Kunden feste Zeitfenste­r zugewiesen bekommen. Insgesamt war das unser CoronaHilf­spaket.

Konnten all diese Maßnahmen den Angeboten denn gerecht werden? Es ist doch etwas anderes, wenn man Hilfe am Telefon bekommt, als wenn das im persönlich­en Gespräch geschieht, oder?

Natürlich. Der persönlich­e Kontakt, die Gefühle, die da mitspielen, die Nähe, das kann man so nicht ersetzen. Aber die Rückmeldun­gen, die wir bekommen haben, waren positiv. Es gab auch Vorteile, weil man sich intensiver um den einen oder anderen kümmern konnte, wenn die Gruppe nicht so groß war. Aber der Kontakt untereinan­der hat gefehlt. Die Kinder, um die wir uns kümmern, kommen größtentei­ls aus sozial benachteil­igten Familien. Wenn andere Kinder aufs Kino oder die Eisdiele verzichten müssen, ist das für Kinder, die zu uns kommen, der Alltag, auch ohne Corona. Sie hatten eher das Problem, in kleinen Wohnungen zu sein, mit Eltern im Homeoffice oder ohne Arbeit. Diese Kinder und Jugendlich­en hatten plötzlich keine Begegnungs­stätte und keinen Rückzugsra­um mehr. Deshalb sind sie besonders stark betroffen gewesen.

Werden die Kinder auch noch länger mit den Problemen zu kämpfen haben?

Ich glaube schon, dass es Spätfolgen gibt, die wir heute noch nicht erkennen. Ich denke, dass da was hängen bleibt nach den langen Kita- und Schulschli­eßungen. Wenn ich zum Beispiel von Abitur- oder Abschlussk­lassen höre, wir waren der CoronaJahr­gang – dann ist das schade, weil da noch viel anderes war in dieser Zeit, ich erinnere mich selber noch gut. Und das wird nun durch Corona überschatt­et.

Es hieß oft, man befürchte, dass die häusliche Gewalt durch die Einschränk­ungen im Zuge der Corona-Pandemie

zunehmen werde. Haben Sie das wahrgenomm­en?

Unsere Sozialpäda­gogen befürchten und spüren das auch, die Kinder, um die wir uns kümmern, kommen oft ohnehin schon aus einem Spannungsv­erhältnis, da müssen wir schon genau hinschauen. Generell weiß man ja, dass häusliche Gewalt um die Feiertage herum immer wieder ein Thema ist. Da kommen die Probleme durch Corona noch dazu. Genau deshalb müssen wir ja auch da sein, genau dafür bieten wir unsere Hilfe und Unterstütz­ung an. (Kostenlose­s Hilfstel. des Deutschen Kinderschu­tzbundes :116111)

Wie geht es für Sie im kommenden Jahr weiter?

Wie die Politik fahren auch wir auf Sicht. Wir müssen immer schauen, was für einen rechtliche­n Rahmen wir ha- ben und darin können wir agieren. Wir wollen weiter da sein und sind das auch, solange es finanziell möglich ist. Wir haben einen Jahresplan und hoffen, dass wir den auch umsetzen können. Wenn nicht, haben wir unser Corona-Hilfspaket, auf das wir zurückgrei­fen können. Insofern ist die Ausgangspo­sition besser als 2020. Ich denke auch, dass wir noch mindestens ein halbes Jahr durchhalte­n müssen. Solange nicht alle durchgeimp­ft sind, werden wir nicht zum Regelbetri­eb übergehen können.

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FOTO: PATRICK PLEUL/DPA Auch in Zeiten der Corona-Pandemie ist der Tuttlinger Kinderschu­tzbund eine wichtige Anlaufstel­le für benachteil­igte Kinder und deren Familien.
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FOTO: SCHÜTZ Hans-Peter Seute

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