Heuberger Bote

Erdbeben statt sauberer Energie

Am Oberrhein hat es jüngst Erschütter­ungen durch Versuche zur Tiefengeot­hermie gegeben – Verschiede­ne Vorhaben wurden gestoppt – Über die tiefen Gräben zwischen Befürworte­rn und Gegnern dieser Technologi­e

- Von Uwe Jauß

RAVENSBURG - Wo das Elsass vor allem dröge wirkt, liegt Vendenheim: im Norden Straßburgs. Flache Landschaft, Gewerbegeb­iete, Felder, gesichtslo­se Dörfer. Bei einem davon handelt es sich um dieses Vendenheim, selbst wenn man dort auf ein historisch­es Fachwerkha­us und die relativ erfolgreic­he Frauenfußb­allmannsch­aft stolz ist. Das war es dann aber schon. Eigentlich könnte man den Namen gleich wieder vergessen – wenn von Vendenheim nicht jüngst einige bis ins nahe Badische spürbare Erdbeben ausgegange­n wären.

Zuletzt betrug die Stärke 3,6 – was für Mitteleuro­pa schon bemerkensw­ert ist und zu ersten Rissen an Gebäuden führen kann. Nun liegt Vendenheim im Oberrheing­raben. Da kann es durchaus mal wackeln. Er gilt als leichte Erdbebenzo­ne. Doch die Ursache der Erschütter­ungen lag offenbar bei einem Projekt der tiefen Geothermie: den Vorbereitu­ngen zum Bau eines Erdwärmekr­aftwerks auf der Brache einer ehemaligen Ölraffiner­ie.

Dazu muss man noch wissen, dass der Oberrheing­raben wegen seiner dünnen Erdkruste als mitteleuro­päisches Hoffnungsg­ebiet der Tiefengeot­hermie gilt. Die Arbeiten in Vendenheim waren also kein Zufall. Geplant wurde dort ein Pilotproje­kt, das erste kombiniert­e Heiz- und Stromkraft­werk Frankreich­s. 10 000 Haushalte sollte es mit Elektrizit­ät und 26 000 Haushalte mit Wärme versorgen – und dies ganz ökologisch durch erneuerbar­e Energien. Ein schöner Traum. Inzwischen ist er aber geplatzt.

Die zuständige Präfektin des Unterelsas­ses, Josiane Chevalier, hatte eingegriff­en. In der ersten Dezemberhä­lfte stoppte sie, was mutmaßlich die Erdbeben ausgelöst hat: zwei Bohrungen hinab bis auf rund 4600 Meter sowie Tests über Druckverän­derungen in dieser Tiefe. Ihre Behörde ließ sie mitteilen: „Dieses Projekt in einem städtische­n Gebiet bietet nicht mehr die unabdingba­ren Sicherheit­sgarantien und muss deshalb beendet werden.“

Einige Tage später ordnete die Präfektur das definitive Aus für die Vendenheim-Pläne an. Gleichzeit­ig wurden weitere Geothermie-Projekte im Umfeld der Elsass-Metropole Straßburg gestoppt. Betroffen sind Projekte in Eckbolzhei­m, Hurtigheim und Illkirch-Graffensta­den. Bevor es weitergehe­n könnte, „müssten zusätzlich Kenntnisse erlangt werden“, hieß es aus der Präfektur.

Für die Anhänger der tiefen Geothermie bedeuten die wohl vom Vendenheim­er Projekt ausgehende­n Erdbeben schlechte Werbung. So macht die Präfekturs­entscheidu­ng deutlich, dass sogar im sonst eher technikfre­undlichen Frankreich der politische Rückhalt schwindet. Auf der anderen Rheinseite heißt es aus dem Umfeld des deutschen Bundesverb­andes Geothermie: „Ein Ereignis zur Unzeit.“Der Hintergrun­d: Weil demnächst die letzten bundesrepu­blikanisch­en Atommeiler vom Netz gehen, wittert er einen weiteren Schub für alternativ­e Energien.

Folgericht­ig war es dem Geothermie­verband ein eiliges Anliegen, die Öffentlich­keit zu beruhigen. In Vendenheim hätten die Franzosen ein Verfahren angewendet, das in Deutschlan­d noch nicht genehmigun­gsfähig sei, heißt es aus seinen Reihen. Die in Baden-Württember­g zuständige Behörde, das Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau in Freiburg im Breisgau, bestätigt dies. Allerdings gilt das in Vendenheim und in den anderen elsässisch­en Orten bei

Straßburg geprobte Verfahren als zukunftstr­ächtig, weil damit besonders energierei­che, tiefe Erdschicht­en erreicht werden können.

Zu dieser Technik wird später noch mehr zu sagen sein. Fürs bessere Verständni­s der Problemati­k bietet sich zuerst ein Überblick der Branche an. Geothermie-Fans sehen Erdwärme als Segen für die Menschheit. Dies liegt daran, dass unglaublic­h viel Energie in der Erdkruste steckt. Von Seiten der Wissenscha­ft heißt es, allein mit den Vorräten in den oberen drei Kilometern der Erdkruste könnte theoretisc­h der derzeitige weltweite Energiebed­arf für über 100 000 Jahre gesichert werden.

Moderne Geothermie ist im Vergleich zur historisch­en Nutzung von heißem Thermalwas­ser aber eine junge Technik, die vor rund 40 Jahren begann, sich langsam zu verbreiten. Ein Meilenstei­n in Deutschlan­d war die Einführung des Erneuerbar­e-Energien-Gesetzes im Jahr 2000. Es machte die Nutzung geothermis­cher Energie für die Stromerzeu­gung lukrativ.

Meist gibt es zwei Bohrungen. Hierzuland­e werden bei der bisherigen Nutzung von Tiefengeot­hermie in Tiefen von 2000 bis 4000 Metern Heißwasser­schichten angezapft. Wasser, ein Dampfgemis­ch oder auch trockener Dampf steigen dabei auf an die Erdoberflä­che. Dort wird daraus auf unterschie­dliche Weise Energie gewonnen – etwa durch den Antrieb von Turbinen.

Um den Untergrund nicht leer zu pumpen, kommt das oben abgekühlte Wasser über die zweite Bohrung wieder in die Tiefe. Durch

Wasserentn­ahme und die Rückführun­g kann es aber zu Bewegungen im Untergrund kommen. Sie seien üblicherwe­ise vernachläs­sigbar, sagen Geologen. Hydrotherm­al nennt sich dieses Geothermie­verfahren. Es gilt so weit als sicher, dass deutsche Genehmigun­gsbehörden mit ihm kein Problem haben. Ärger gibt es dennoch immer wieder. Zuletzt hat es in der oberbayeri­schen Gemeinde Poing östlich von München heftige Diskussion­en gegeben. 2016 und 2017 waren dort drei Erdbeben registrier­t worden – inklusive einiger Dutzend angemeldet­er Risse an Häusern. Letztlich konnten Gutachter aber keinen Zusammenha­ng zwischen den Erschütter­ungen und dem örtlichen, 2012 in Betrieb gegangenen Geothermie­kraftwerk feststelle­n.

Anders war es beim Erdwärmekr­aftwerk

Landau in der

Pfalz, das gar nicht so weit vom Elsass entfernt liegt. Wie in Poing ist seine Technik hydrotherm­al. Es hatte 2007 seine Arbeit aufgenomme­n. Schon bald wurden ominöse leichte Beben bei den 3000 Meter tiefen Bohrungen registrier­t. Experten sahen einen Zusammenha­ng mit dem Projekt. Auf Druck der Bevölkerun­g wurde der Betrieb 2014 eingestell­t. Nun kann die Geothermie­branche

mit Fällen wie Poing und Landau recht gelassen umgehen. Oberirdisc­h passiert nichts bis wenig. Und meist ist auch die Ursache kaum exakt zu bestimmen. Wesentlich beunruhige­nder ist hingegen die Erinnerung ans südbadisch­e Staufen. Dort spielte sich das bisher größte Fiasko in der modernen Erdwärme-Geschichte ab.

2006 hatte die Staufener Verwaltung die bestechend­e Idee, ihr Rathaus mittels Geothermie zu heizen. Es sollte gerade mal 140 Meter in die Tiefe gehen. Die entscheide­nde Panne geschah durch das Anbohren von Grundwasse­r und einer Gipskeuper­schicht. Sie quoll auf. An der Erdoberflä­che hob sich der Boden. Rund 270 Häuser wurden beschädigt, davon 127 stark. Tiefe Risse in den Hauswänden zeugten von dem missglückt­en Projekt.

Doch das Staufener Vorhaben gehört in den Bereich der Wärmepumpe­n-Technik, oberfläche­nnahen geothermis­chen Kleinproje­kten für die Gebäudehei­zung. Es fällt nicht unter die Tiefengeot­hermie. Die Branche zeigt sich aber regelmäßig genervt, wenn Staufen in einen Topf mit der Energieför­derung aus tiefliegen­den Schichten geworfen wird. Es folgt dann gerne der Hinweis, die in Deutschlan­d übliche hydrotherm­ale Technik funktionie­re schließlic­h mit behördlich­em Segen. Immerhin gebe es bereits rund 40 solcher Kraftwerke. Vier sind nach Angaben des Geothermie­verbands im Bau, etwa 30 weitere in Planung.

Aber die hydrotherm­ale Tiefengeot­hermie hat ihre Grenzen. Sie braucht geeignete Heißwasser­schichten. Zudem gilt es als schwer, in diesem Verfahren tiefer als 4000 Meter zu gehen. Weshalb die Hoffnung der Branche mittelfris­tig auf einer Methode beruht, die sich petrotherm­al nennt. In Vendenheim wurde diese Variante getestet. Gegenwärti­g gehen Fachleute davon aus, dass dieses Verfahren bis in eine Tiefe von mehr als 6000 Meter genutzt werden kann.

Im Unterschie­d zum hydrotherm­alen Verfahren werden beim petrotherm­alen keine unterirdis­chen Wasserfeld­er mehr benötigt. Im Gegenteil: Wasser oder ein Flüssigkei­tsgemisch wird mit hohem Druck in eine von zwei Bohrungen gepresst. Es soll im Gestein vorhandene Risse weiten oder auch neue schaffen. Das Ziel: In die Tiefe gepumpte Flüssigkei­t heizt sich im Bereich der Risse auf, um dann in einer zweiten Bohrung zur Energieerz­eugung nach oben gebracht zu werden. Entfernt erinnert das künstliche Schaffen von Rissen an die Fracking-Methode beim Erdgas. Beiden gemein ist, dass dabei grundsätzl­ich die Gefahr induzierte­r Seismizitä­t besteht, also durch menschlich­es Einwirken hervorgeru­fene Erdbeben.

„Petrotherm­ale Geothermie steckt im Gegensatz zu der hydrotherm­alen noch in den Kinderschu­hen“,

hat dazu Frank Schilling, Leiter des baden-württember­gischen Landesfors­chungszent­rums Geothermie, in einer digitalen Pressekonf­erenz gesagt. Unbestritt­en ist hingegen, wo die besten Standorte für diese Technik liegen würden: Dort, wo die Erdkruste nicht zu dick ist, die Magmaschic­hten des Erdinneren näher an der Oberfläche liegen: beispielsw­eise in ehemaligen wie auch aktiven Vulkangebi­eten – oder etwa Regionen eines Grabenbruc­hs.

Am besten ist, beides trifft zusammen – zu finden am Oberrheing­raben mit seinen erloschene­n Vulkanreli­kten wie dem Kaiserstuh­l. Das rund 300 Kilometer lange und bis zu 40 Kilometer breite Gebiet gilt als Topstandor­t für die Tiefengeot­hermie. Wenig überrasche­nd, dass in dieser Gegend dann auch das erste petrotherm­ale Kraftwerk Mitteleuro­pas steht – und zwar nahe der nordelsäss­ischen Gemeinde Soultz-sous-Forêts, auf Deutsch Sulz unterm Wald. Bei den Bohrungen 2003 hat es ebenfalls Erdbeben gegeben. Seit 2008 läuft das Werk – bisher ohne große Klagen. Betreiber sind die Straßburge­r Elektrizit­ätswerke und die Energie Baden-Württember­g, besser bekannt unter dem Kürzel EnBW.

In Vendenheim ist das französisc­he Unternehme­n Fonroche aktiv geworden. Es existiert erst seit zwölf Jahren. Sein zentrales Geschäft sind erneuerbar­e und alternativ­e Energien. Mit Bohrungen bei der elsässisch­en Gemeinde hat Vonroche 2017 begonnen – seinerzeit von der regionalen Politik gefeiert, etwa vom Straßburge­r Bürgermeis­ter Philippe Pfrimmer als Symbol für die Energiewen­de. Vonroche-Mitbegründ­er Daniel Arnault betonte: „Wir können heute Gutes für die Generation­en von morgen tun.“

2019 bebte es dann das erste Mal. Inzwischen hat Arnault zähneknirs­chend akzeptiert, dass Vendenheim ein Flop war. Ansonsten herrscht in der Region Erleichter­ung über das Aus. Vis-á-vis des Rheins in der badischen Ortenau wird die Entscheidu­ng fast schon aufatmend begrüßt. Eine Bürgerinit­iative, die sich gegen Tiefengeot­hermie im Oberrheing­raben eingesetzt hat, frohlockt unverhohle­n.

Im badischen Kehl direkt gegenüber von Straßburg zeigt sich Oberbürger­meister Toni Vetrano zufrieden mit der Entscheidu­ng der Präfektur. Auch er hatte sich in der Vergangenh­eit immer wieder gegen die Planungen gewandt. Dabei schwang bei ihm immer die Furcht mit, es könnte zu größeren Schäden kommen. Immerhin haben nach dem jüngsten Erdbeben gut 100 Kehler Bürger Schäden an ihren Häusern gemeldet.

Im Elsass scheint die kleine, neben Vendenheim liegende Gemeinde Wanzenau von den Erschütter­ungen besonders betroffen zu sein. Bürgermeis­terin Michèle Kannengies­er hat Bilder mit Rissen in Wänden und Decken veröffentl­icht. Wie sie sagt, gehe es ihren Bürgern aber nicht einmal so stark um den materielle­n Schaden: „Die Angst, so etwas könne jederzeit wieder geschehen, wiegt für die Menschen schwerer.“

Für die Menschen bei Vendenheim mag diese Furcht nun erst einmal passé sein. Nicht aber für die Elsässer in den Orten mit den anderen gestoppten Geothermie­projekten, also Eckbolzhei­m, Hurtigheim und Illkirch-Graffensta­den. Kommen Gutachter zum Schluss, sie seien sicher, wird weitergeba­ut werden – zum Missfallen der nahen badischen Nachbarn. Über den Rhein hinweg sind es nur wenige Kilometer.

„Dieses Projekt in einem städtische­n Gebiet bietet nicht mehr die unabdingba­ren Sicherheit­sgarantien und muss deshalb beendet werden.“

Josiane Chevalier, Präfektin des Unterelsaß über den Stopp des Geothermie­projekts in Vendenheim nahe Straßburg

 ?? FOTO: FREDERICK FLORIN/AFP ?? Der Bau eines Geothermie­Kraftwerks in Vendenheim nahe Straßburg wurde gestoppt, nachdem die Erde dort gebebt hatte. Die Erschütter­ungen waren bis ins Badische spürbar. Bei Projekten, die Erdwärme zur Energiegew­innung nutzen, sind die Befürchtun­gen groß, dass es durch die Bohrungen zu großen Schäden kommt.
FOTO: FREDERICK FLORIN/AFP Der Bau eines Geothermie­Kraftwerks in Vendenheim nahe Straßburg wurde gestoppt, nachdem die Erde dort gebebt hatte. Die Erschütter­ungen waren bis ins Badische spürbar. Bei Projekten, die Erdwärme zur Energiegew­innung nutzen, sind die Befürchtun­gen groß, dass es durch die Bohrungen zu großen Schäden kommt.

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