„Es braucht eine breite Mehrheit“
CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhart plädiert für erneute Koalition mit den Grünen
- Acht Wochen vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg plädiert der Chef der CDULandtagsfraktion Wolfgang Reinhart für eine Neuauflage der Koalition mit den Grünen. Im Interview mit Kara Ballarin und Theresa Gnann erklärt der 64-Jährige zudem, warum es für die CDU-Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann nicht nur Fluch, sondern auch Segen sein kann, als Kultusministerin in Corona-Zeiten für die Schulen zuständig zu sein.
Herr Reinhart, am Wochenende entscheidet die CDU, wer ihr neuer Bundesvorsitzender werden soll. Alle drei Bewerber werden sich zuvor zu Ihrer Fraktionsklausur digital zuschalten, die am Mittwoch beginnt. Ist Friedrich Merz noch immer Ihr Wunschkandidat?
Mein Eindruck ist, dass Friedrich Merz in Baden-Württemberg weiterhin vorne liegt – nicht nur bei mir. Er hat in den vergangenen Monaten eine starke Vorstellung abgegeben. Das Ganze ist aber ein gesunder Wettbewerb. Gerade auf der Zielgeraden kann sich noch viel tun. Es könnte auch zu einem zweiten Wahlgang kommen, wenn kein Kandidat die absolute Mehrheit im ersten holt.
Sie hatten 2019 in einem Debattenbeitrag eine grundlegende Erneuerung der CDU gefordert. „Die CDU ist inhaltlich insolvent“, sie sei durch ihren „radikalen Pragmatismus der letzten Jahre“erschöpft, hatten Sie kritisiert – ähnlich wie damals Friedrich Merz. Ist die CDU inzwischen nicht mehr inhaltlich insolvent?
Es war damals ein Weckruf, den ich nachher als erfolgreich empfunden habe. Wir müssen das Land entfesseln und auch Deutschland entfesseln. Alle Lebensbereiche sind von Corona betroffen – das Tempo an Veränderungen ist enorm. Die Digitalisierung ist kein Zukunftsthema mehr, sie ist da. Dabei müssen wir als Wirtschaftsstandort wettbewerbsfähig bleiben. Selbst in unseren ländlichen Räumen, wo etwa ihre Leser leben, gibt es viele Weltmarktführer.
Egal, wer CDU-Bundeschef wird: Soll Bayerns Ministerpräsident Markus Söder Kanzlerkandidat der Union werden? Ihn haben Sie ja auch zur Klausur eingeladen.
Wir schätzen die Zusammenarbeit in der Südschiene mit Bayern sehr. Markus Söder hat zudem eine bundesweite Reputation. Die KanzlerFrage muss nach unserer Landtagswahl, frühestens nach Ostern besprochen werden. Die Frage muss dabei sein: Wer hat die größten Erfolgschancen. Ich bin davon überzeugt, dass die Klugheit von CSUDas
Chef Söder und dann unserem CDUBundesvorsitzenden so groß ist, dass sie eine Entscheidung in konstruktiver Harmonie treffen werden.
Hat Ihre Spitzenkandidatin zur Landtagswahl im März, Kultusministerin Susanne Eisenmann, ein Problem, weil sie für die Schulen während der Corona-Zeit verantwortlich ist? Es heißt ja: Mit Bildung gewinnt man keine Wahlen, aber man kann sie verlieren?
Bildung ist weiterhin unser wichtigster Rohstoff und das wichtigste Zukunftsthema in Landeshoheit. Beim Thema Bildung haben wir elf Millionen Sachverständige im Land – allen kann man es da nie recht machen. Klar ist: Bildung muss Vorfahrt haben, auch in solch einer Ausnahmesituation. Deshalb hat Susanne Eisenmann genau das richtige Ressort. Es ist auch eine Chance, denn für eine Landtagswahl ist die Bekanntheit wichtig ...
... zuletzt gaben fast die Hälfte der Bürger bei Umfragen an, Ministerin Eisenmann nicht zu kennen.
ändert sich. Und sehr viele Eltern sind ihr auch sehr dankbar für ihren Einsatz für die Bildung in dieser schwierigen Zeit.
Was, wenn das nicht reicht? 2011 war es die Atom-Katastrophe von Fukushima, die nach CDU-Vorstellung die Grünen an die Macht gespült hat. 2016 war es die Flüchtlingskrise. Wird die CDU 2021 die Corona-Krise dafür verantwortlich machen, wenn sie die Landtagswahl verliert?
Die CDU besitzt im Bund und im Land hohe Vertrauenswerte. Auch unsere Bilanz in der Landesregierung ist sehr gut, wir arbeiten mit den Grünen entgegen aller Mutmaßungen sehr vertrauensvoll zusammen. Unsere Stärke in den vergangenen fünf Jahren war unsere breite Verankerung in der Gesellschaft und die stabile Mandatsmehrheit von Grün-Schwarz im Parlament. Die Herausforderungen nach Corona werden gewaltig sein. Da braucht es eine breite Parlamentsmehrheit. Nach Lage der Dinge haben nur CDU und Grüne diese Perspektive.
Wie viel Prozent holt die CDU am 14. März? Bislang liegen Sie in Umfragen meist hinter den Grünen.
Unser Ziel ist deutlich über 30 Prozent und zudem Nummer 1 zu sein.
Wie geht das eigentlich: Krisenbewältigung – gemeinsam mit den Grünen – und Wahlkampf gleichzeitig? Es gibt ja die Vereinbarung, keinen Corona-Wahlkampf zu machen.
Wir wollen den Wahlkampf so kurz wie möglich halten, darin sind wir uns alle einig. Wir müssen in dieser schwierigen Zeit das Vertrauen erhalten, bis wir mit dem Impfen vorankommen. Wir müssen Unternehmen helfen und den Fokus auf den Mittelstand legen. Da gibt das Wahlprogramm der Grünen wenig her. Das Thema Wasserstoff ist für uns zentral, dazu wollen wir in der Fraktion am Donnerstag ein Konzept verabschieden. Wir wollen auch weiterhin intakte ländliche Räume.
Wie genau wollen Sie den ländlichen Raum denn stärken?
Wir müssen etwa eine Arztversorgung im ländlichen Raum auch in Krisenzeiten sicherstellen. Darauf legen wir zunehmend unseren Fokus. 75 der 150 neuen Medizinstudienplätze, die wir geschaffen haben, sind für künftige Landärzte reserviert. Wir von der CDU wollten alle neuen 150 Plätze dafür reservieren – und da wollen wir auch hin.
Ist das Wort Landarztquote nicht eine Mogelpackung? Wenn die Ärzte ihr Studium beendet haben, sind sie ja nur verpflichtet, in einem unterversorgten Gebiet zu arbeiten – das kann auch in einer Stadt sein.
Das stimmt, das ist vielleicht etwas ungenau. Wir benutzen den Begriff, weil andere Länder wie Bayern und Nordrhein-Westfalen hier vorangeschritten sind.
Der CDU-Landesvorstand will Familien stärken mit Steuererleichterungen und Zuschüssen. Passt das in eine Zeit, in der die Politik ohnehin Milliarden neuer Schulden aufnimmt, um Corona-Härten abzufedern?
Zum Haushalt haben wir eine klare Haltung: Im Moment wollen wir stimulieren, damit auch Wachstum entsteht. Mit Wachstum werden wir wettbewerbsfähiger, schaffen wir mehr Steuereinnahmen. Das ist die Grundlage für alle sozialen Leistungen. Starke Familien sind für uns immer das Fundament einer starken Gesellschaft. Und gerade Corona zeigt, wie sehr es auf starke Familien ankommt.