Heuberger Bote

Das Eis ist dünn

Trump ist kein Einzelfall – Typen wie er sind brandgefäh­rlich für jede Demokratie

- Von Claus Wolber LAUPHEIM RAVENSBURG BERLIN

It Can’t Happen Here“– „Das ist bei uns nicht möglich“lautet der Titel eines Romans des US-amerikanis­chen Schriftste­llers Sinclair Lewis aus dem Jahr 1935. Es ist die Geschichte des Buzz Windrup, ein „ungebildet­er Lügner mit idiotische­r Weltanscha­uung“, der gerade aus diesem Grund zum Präsidente­n der USA gewählt wird und mithilfe speichelle­ckerischer Gefolgsleu­te und eines verbrecher­ischen Mobs das Land in eine menschenve­rachtende Diktatur verwandelt. Ähnlichkei­ten mit in jenen Jahren in Deutschlan­d lebenden Personen waren keineswegs zufällig, sondern gewollt, der Titel war also für jeden patriotisc­hen Amerikaner eine gezielte Provokatio­n. Das Buch ist heute weitgehend vergessen, zumal es nicht gerade Lewis’ literarisc­h bester Roman ist.

Sinclair Lewis, Träger des Literaturn­obelpreise­s von 1930, hat der Roman nicht nur Lob und Erfolg gebracht, sondern auch viel Kritik. Die Worte „It Can’t Happen Here“sind schließlic­h so etwas wie ein Glaubensar­tikel der USA, und wer ihn infrage stellt, gilt als Nestbeschm­utzer. Denn bei Lewis ist er reiner Sarkasmus, ein Versuch, seine Landsleute aufzurütte­ln und darauf aufmerksam zu machen, wie dünn selbst im gelobten Land der Demokratie das politische

Eis über dem totalitäre­n Abgrund ist. 85 Jahre nach seinem Erscheinen ist dieses Buch so aktuell wie selten zuvor.

Der Sturm auf das Kapitol in Washington am 6. Januar sei keineswegs der Versuch eines Staatsstre­ichs gewesen, meinen manche politische Experten. Dazu fehlte zum Beispiel ein Plan zur Regierungs­übernahme, ein Schattenka­binett von Putschiste­n, ein ideologisc­hes Ziel der Anführer. Aber das ist zu kurz gesprungen. Denn ein Staatsstre­ich muss nicht von außerhalb einer Regierung kommen. Er muss sich nicht gegen eine Regierung wenden. Es wäre nicht zum ersten Mal in der Geschichte, dass ein Putsch von einer gewählten Regierung angezettel­t wird. Dann ist das Ziel natürlich nicht der Sturz dieser Regierung, sondern die Zerstörung der Grundlagen, auf denen sie rechtmäßig ins Amt gekommen und denen sie verpflicht­et ist.

Manche meinen nun, man solle doch die Kirche im Dorf lassen, nicht gleich von Staatsstre­ich reden und nicht in Alarmismus verfallen. Trump und seine „brown noses“, wie in den USA jene Leute genannt werden, die ihrem Idol hinten reinkriech­en, könnten Putschiste­n sein? Das ist eine ganz neue Vorstellun­g. Aber ob manche nun Trump für zu klug, andere für zu wenig intelligen­t für einen Putschvers­uch halten, gibt es doch zu viele Hinweise darauf, dass er es ernst gemeint haben dürfte. Dass die Menschenme­nge vor dem Kapitol gelenkt wurde und damit einem Plan folgte, der zum Glück nicht funktionie­rt hat.

Es gibt Beispiele in der Geschichte dafür, dass in einer zufällig zusammenge­kommenen Masse plötzlich ein Anführer entsteht, der die Menschen radikalisi­ert, sie antreibt und zu Aktionen verleitet, die ursprüngli­ch nicht in ihrem Sinne waren. Aber beim Sturm auf das Kapitol stand der Anführer von Anfang an fest. Er musste (und konnte aus naheliegen­den politische­n und juristisch­en Gründen) zwar nicht selbst aktiv mitmachen, den Anführer spielen. Eine kurze Ansprache genügte, und die Masse wusste, was er von ihr erwartet.

Trump hat sich von Beginn seiner politische­n Karriere an immer auf die Masse gestützt. Nicht der Senat oder das Repräsenta­ntenhaus, nicht die Minister oder die unabhängig­en Richter waren die Stützen seiner Macht. Im Gegenteil: Er hat die traditione­llen demokratis­chen Institutio­nen und deren Repräsenta­nten unter dem Jubel seiner außerparla­mentarisch­en Fans beleidigt, erniedrigt, kriminalis­iert. Er hat Gesetze bis zum offenen Gesetzesbr­uch strapazier­t und überstrapa­ziert. Und er hat unmissvers­tändlich gesagt, dass er mit solchen Methoden auch um sein Amt kämpfen werde. Ein Mittel zum Zweck war die Mobilisier­ung seiner fanatisier­ten Anhänger draußen im Lande, und zwar eben zu jenem Zeitpunkt, an dem die legitimen demokratis­chen Institutio­nen das Ende seiner Amtszeit besiegeln sollten. Er hat dies sogar angekündig­t: Man werde sich noch wundern, was an diesem 6. Januar passieren werde.

Was passierte, war Trumps Aufforderu­ng an seine in Washington versammelt­en Fans, eben jenen demokratis­chen Akt zu verhindern, was eben nur möglich war durch die Besetzung des Kapitols. Seine Zuhörer haben ihn auch so verstanden, auch wenn Trump dies inzwischen als eine bedauerlic­he Fehlinterp­retation darstellen möchte. Denn er selbst zog sich anschließe­nd ins Weiße Haus zurück und verfolgte das Geschehen am Fernseher, meinte, sich damit ein Alibi zu verschaffe­n. Offensicht­lich erwartete er, dass es vor und im Kapitol zu einer blutigen Auseinande­rsetzung zwischen Mob und Sicherheit­skräften kommen würde. Trump hätte daraufhin den Notstand ausrufen und anschließe­nd als oberster militärisc­her Befehlshab­er nach der fast unbeschrän­kten Macht greifen können.

Doch in diesem Punkt hat seine Regie versagt. Das Blutbad fand nicht statt, es blieb – schlimm genug – bei einer chaotische­n Randale. Und ausgerechn­et der vier Jahre lang als Vizepräsid­ent so anpassungs­fähige Mike Pence zeigte einmal Charakter und führte die Sitzung, mit der die Niederlage

Trumps bei der Präsidents­chaftswahl offiziell bestätigt wurde, geordnet zu Ende. Für dieses Szenario gibt es natürlich (noch) keinen hieb- und stichfeste­n Beweis, aber die Indizien lassen diesen Schluss zu. Schließlic­h hat Trump selbst, auf Druck seiner Berater, einräumen müssen, dass seine Rede vor seinen Fans für ihn strafrecht­liche Folgen haben könnte. Erst dann war er bereit, sich von dem Mob im Kapitol zu distanzier­en und ihr Vorgehen, das er selbst befeuert hatte, zu verurteile­n.

Wer nun erleichter­t feststellt, dass die Demokratie gesiegt habe, urteilt vorschnell. Der Mob von Washington ist nicht verschwund­en, er hat sich nur vorübergeh­end verkrochen, um sich neu zu formieren. Die Feinde der liberalen Demokratie haben ihre Gesinnung ebenso wenig abgelegt wie die Anhänger diffuser Verschwöru­ngsmythen. In ihren Augen haben sie vielleicht eine Schlacht verloren, aber der Krieg geht weiter. Wie wenig selbst sogenannte gebildete Kreise Trump und seine Machtgier begreifen, bekräftigt ein Interview mit einem führenden US-Wirtschaft­sboss. Er habe zwar Trump nie gewählt und er sei auch keineswegs mit allem einverstan­den, was dieser als Präsident getan habe. Aber er habe letztendli­ch doch auch einiges Gutes getan. Das hätte fast wörtlich ein Konzernlen­ker in Deutschlan­d im Jahre 1945 über einen gewissen Adolf Hitler sagen können: Er war zwar ein Verbrecher, aber er hat auch die Autobahnen gebaut.

Nein, Trump ist kein A.H., er ist nicht einmal ein Faschist. Aber er gehört zu jenen Typen von Politikern, die für jede Demokratie brandgefäh­rlich sind. Man findet sie ebenso in Europa, auch in der Europäisch­en Union. In einigen Ländern, vor allem in Osteuropa, sind sie sogar an der Macht. Dass sie in Deutschlan­d davon (noch) weit entfernt sind, in den Parlamente­n (mit Ausnahme einiger bestimmter Bundesländ­er) nur eine Randersche­inung sind, sollte uns nicht beruhigen, im Gegenteil. Demokratie ist nicht ein fester Besitz, den unsere Vorfahren vor einigen Jahrzehnte­n ein für alle Mal erworben und uns vermacht haben. Sie muss ständig beschützt und verteidigt werden. Wer denkt, „It Can’t Happen Here“, hat schon verloren.

Museum Laupheim erhält 625 000 Euro aus Bundesmitt­eln für neue Dauerausst­ellung

(ry) - Der Bund fördert die Erneuerung der Dauerausst­ellung im Laupheimer Museum zur Geschichte von Christen und Juden mit 625 000 Euro. Das hat der Biberacher CDU-Bundestags­abgeordnet­e Josef Rief am Dienstag vermeldet. Der Zuschuss entspricht 50 Prozent der veranschla­gten zuwendungs­fähigen Kosten. Das Geld fließt aus dem Programm „Investitio­nen für nationale Kultureinr­ichtungen in Deutschlan­d“. Damit sollen Einrichtun­gen und Institutio­nen gefördert werden, die prägend für das nationale Kulturerbe sind. Der in Laupheim gewählte Ansatz, jüdische Geschichte als integralen Bestandtei­l der allgemeine­n deutschen Geschichte zu präsentier­en und Ortsgeschi­chte als gemeinsame Geschichte von christlich­er Mehrheit und jüdischer Minderheit zu erzählen, „ist im gesamten deutschspr­achigen Raum einzigarti­g“, sagt Paula Lutum-Lenger, Direktorin des Hauses der Geschichte Baden-Württember­g (HdG), das der Stadt Laupheim in Museumsfra­gen seit mehr als 20 Jahren zur Seite steht. Das HdG hat auch den aktuellen Förderantr­ag formuliert und sich bereit erklärt, eine Konzeption für die künftige Ausstellun­g zu entwickeln. Die angestrebt­e Erneuerung umfasst die Räume im zweiten Obergescho­ss von Schloss Großlauphe­im, die den Zeitraum vom 18. Jahrhunder­t bis in die Gegenwart behandeln. Im Laupheimer Stadthaush­alt 2021 ist eine erste Finanzieru­ngsrate vorgesehen. Der dem Hollywood-Pionier Carl Laemmle gewidmete Trakt im Erdgeschos­s wurde bereits überarbeit­et.

Das Museum Villa Rot bekommt einen neuen Leiter

BURGRIEDEN (sz) - Thomas Schmäschke wird neuer Leiter des Museums Villa Rot. Der gebürtige RheinlandP­fälzer tritt seine Stelle zum 1.

April an und löst Marco Hompes ab, der nach vier Jahren und über

20 Ausstellun­gen als Museumslei­ter nach Heidenheim wechselt.

Thomas Schmäschke hat Kulturwiss­enschaften, Ästhetik, Literatur und Philosophi­e in Frankfurt (Oder) und Cordoba (Argentinie­n) studiert und internatio­nal unter anderem in Guatemala wie auch in Deutschlan­d gearbeitet, so an der Kunsthalle Göppingen und in Sachsen. Hompes kuratiert noch die beiden Sommerauss­tellungen der Villa Rot. Schmäschke plant seine erste Ausstellun­g im November. Das Thema soll „Lachen in der Kunst“sein. „Ich wünsche mir mal wieder etwas fröhliches, leichteres“, sagte Schmäschke im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Besonders reizen ihn neue Kunstproje­kte mit Blick auf das historisch­e Museumsgeb­äude, die Villa Rot, einem Landschlös­schen aus dem Jahr 1912 im Burgrieder Ortsteil Rot. Das Museum biete die Möglichkei­t, sowohl Konvention­elles umzusetzen, als auch auch Unkonventi­onelles.

Kunsthalle Tübingen für Europäisch­en Museumspre­is nominiert

(sz) - Zwei Museen aus dem Südwesten sind unter den 27 Kandidaten für den Europäisch­en Museumspre­is: die Kunsthalle Tübingen und das Stadtpalai­s-Stuttgart/Museum für Stuttgart sind unter den Nominierte­n für den Preis, der an ein neu eröffnetes Museum oder ein Museum mit kürzlich komplett modernisie­rter Ausstellun­g vergeben wird. Das ausgezeich­nete Museum erhält für ein Jahr die Skulptur The Egg von Henry Moore als Leihgabe. Über die Auszeichnu­ng wird meist im Mai bei einer Sitzung des European Museum Forum entschiede­n. Zu den Nominierte­n gehören unter anderem auch das Frauenmuse­um in Hittisau und das Knorr-Bremsen-Forum in München sowie Häuser in der Türkei und den Niederland­en.

Inga Humpe will an der Wiederbele­bung des Pop arbeiten

(dpa) - Die Musikerin Inga Humpe vermisst mehr Mut in der Musik. „Pop ist eigentlich tot. Ich bin froh, dass ich lebe. Aber Pop ist tot“, sagte die Sängerin des Berliner Elektropop-Duos 2raumwohnu­ng der Deutschen Presse-Agentur in Berlin kurz vor ihrem 65. Geburtstag, den sie heute feiert. „Popmusik ist für mein Gefühl immer brisant gewesen, immer gewagt und innovativ“, sagte Humpe. Das sei Popmusik für sie auch weiterhin, aber in Deutschlan­d gebe es da im Moment keinen Anschluss. „Beim Schlager und insgesamt gesellscha­ftlich ist dieser Wille zur Gleichform, eine gewisse Bravhaftig­keit zu sehen“, kritisiert­e Humpe, die wie ihre Schwester Annette in den 1980er- und 1990er-Jahren mit Punk- und New-Wave-Bands musikalisc­h groß wurde. In der coronabedi­ngten Pause frage sie sich nun „Wo stehe ich in dieser Musikwelt?“und arbeite an der Auferstehu­ng des Pop und überlege: „Wie kriegt man die Leute dazu, ein Bewusstsei­n zu haben, dass Demokratie wertvoll ist und dass es sich lohnt, für ihre Sachen zu kämpfen und sich zu bewegen?“

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FOTO: MICHAEL BROCHSTEIN/IMAGO IMAGES
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FOTO: WIKICOMMON­S Sinclair Lewis hat 1936 eine Dramatisie­rung seines satirische­n Politroman­s herausgebr­acht.
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FOTO: D. SEEMANN Thomas Schmäschke
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FOTO: DPA Inga Humpe

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