„Je schneller Geld kommt, desto besser“
Philipp Hilsenbek von der IHK fordert mehr Hilfen für den Einzelhandel, um Existenzen zu sichern
- Seit Mitte Dezember sind die Läden zu, das Weihnachtsgeschäft ist vielen Geschäften flöten gegangen, erste Ketten melden Insolvenz an. Im lokalen Einzelhandel haben in der Corona-Pandemie nur die Schwarzmaler Konjunktur. Tatsächlich hat der Einzelhandel einige Wünsche an die Politik, die dringend erfüllt werden müssten, meint Philipp Hilsenbek, Geschäftsbereichsleiter für Standortpolitik bei der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg. Aber er sieht im Interview mit Redakteurin Dorothea Hecht auch Lichtblicke.
Herr Hilsenbek, seien Sie ganz ehrlich: Wie steht es um den lokalen Einzelhandel?
Ganz aktuell wurde seit Montag ja das Abholen von Waren wieder erlaubt. Das freut uns, darf aber nicht dazu verleiten, zu glauben, es wäre alles wieder in Ordnung. Das ist nur ein Tropfen auf einen sehr heißen Stein, ein Schritt in die richtige Richtung. Wir hoffen, dass er dazu führt, dass die Händler in größerem Maße wieder handeln können. Aber wir wünschen uns definitiv noch mehr.
Was wünschen Sie sich?
Zum einen mehr zielgerichtete und effektive Sofortprogramme vom Bund. Der Einzelhandel muss das bekommen, was auch die Gastronomie bekommt, er soll den Umsatz vergütet bekommen. Es ist nicht ersichtlich, warum das durch den Lockdown verlorene Weihnachtsgeschäft nicht über die Dezemberhilfe erstattet wird. Zum anderen muss sich auch die Landespolitik öffnen. Die Händler brauchen eine Perspektive. Diese Nicht-Perspektive schafft
Unsicherheit, es gibt keine Planungssicherheit und dadurch auch nichts, was man an die Kunden kommunizieren kann.
Sie denken an eine Ampel, wie es auch beim Schulbetrieb gefordert ist? Dass ab einer bestimmten Inzidenzzahl die Läden wieder öffnen können?
Ob das nun eine Ampel oder etwas anderes ist, uns geht es um ein grundlegendes Regelwerk, um atmende Betriebsöffnungen. Als Händler ist man in diesem Zwei-Wochen-Rhythmus der neuen Beschlüsse gefangen, man kann nicht kommunizieren und Ware auch nicht disponieren. Zum Teil haben die Modehändler noch vom Frühjahr den Keller voll, müssten jetzt die Kollektionen für den Herbst ordern, aber das ist nicht möglich. Aktuell gibt es drei Handlungsfelder, die alle mit Fragezeichen versehen sind: das Personal – die Mitarbeiter und Azubis –, die Kommunikation mit den Kunden und die Ware. Deshalb brauchen wir dringend Planungssicherheit und Liquidität.
Es gab aber doch auch für Einzelhändler staatliche Hilfen. Sind die noch nicht angekommen?
Es gab einmal die Abschlagszahlungen für die Novemberhilfe über 5000 Euro, die sind bereits gelaufen. Davon haben aber nur die November geschlossenen Betriebe profitieren können. Zum anderen gibt es die Überbrückungshilfen, der Antrag dafür ist aber äußerst komplex und ohne Steuerberater nicht zu machen. Sie können nur von Betrieben beantragt werden, die zwei Monate in Folge deutliche Umsatzeinbußen hatten und ungedeckte Fixkosten vorweisen können. Für einige Einzelhändler, für die der Januar ohnehin oft ein schwacher Monat ist, kommt das vielleicht gar nicht in Frage. Diese Zahlungen stehen aber auch für die Gastronomie noch aus. Diese Zahlungen ersetzen natürlich nicht das normale Geschäft und sind kaum existenzsichernd.
Haben die Einzelhändler selbst es verpasst, sich für einen möglichen zweiten Lockdown fit zu machen, sich zum Beispiel online besser aufzustellen?
Jeder Betrieb arbeitet selbstverantwortlich. Was nahezu alle Betriebe inzwischen aufgebaut haben, sind Kundendatenbanken, mithilfe derer sie Kunden kontaktieren können. Intersport Butsch aus Tuttlingen ist da ein gutes Beispiel, da wird sehr viel gemacht. Klar, die Manpower hat nicht jeder, aber auch kleine Buchhändler wie Christof Manz sind präsent. Es geht jetzt darum, die Kunden zu informieren, dass ich weiter da bin, dass ich geschäftstätig bin und Abholung anbiete. In Schramberg zum Beispiel kümmern sich die Händler jetzt wieder mehr um die Schaufenster für die Bürger, weil sie festgestellt haben, dass die Leute, die am Wochenende ins Städtle gehen, das interessiert. Man muss sich also sowohl um ein stationäres Schaufenster als auch um ein OnlineSchaufenster kümmern. Aber generell hat wohl kaum ein Einzelhändler damit gerechnet, dass es nochmal zu so einer langen Schließung kommt. Für Investitionen wie in Websites war oft auch wenig Geld da. Deshalb ist es für uns auch enorm wichtig, dass die Impfungen zügig vorangehen. Mit dem Impfgrad hängt in einem hohen Maße auch der Öffnungsgrad für den Einzelhandel zusammen.
Gibt es Branchen, die besonders betroffen sind?
Der Handel hat 2020 beim Umsatz in der Summe über alle Branchen hinweg eine schwarze Null gemacht. Das größte Minus hatten dabei die Textileinheiten und die Spielzeugläden zu verzeichnen. Dabei gab es auch eine Ungleichbehandlung zwischen Groß und Klein, die setzt sich jetzt fort. Das muss ein Störgefühl hinterlassen, wenn in der Weihnachtswoche nicht alle Handelsunternehmen im selben Maße öffnen können oder für ihre Kundschaft da sein dürfen.
Einige Kunden, die vorher eher lokal gekauft haben, entdecken jetzt die Vorzüge des Online-Kaufens. Es gibt persönliche Shoppingberater und per Klick kommt alles geliefert. Wie können die Einzelhändler die Kunden wieder zurückholen?
Die Frage ist tatsächlich, wie stark
TRAUERANZEIGEN sich dieses Einkaufsverhalten geändert hat. Aber als Stadt habe ich die Möglichkeiten, für meine Betriebe zu wirken, über alle Branchen hinweg. Früher haben der Handel und die Gastronomie für Frequenz in der Gastronomie Innenstadt gesorgt, jetzt müssen eine attraktive Innenstadt, gezielte Veranstaltungen und Perspektiven dafür sorgen, dass die Frequenz zum Händler und zum Gastronomen kommt. Da gibt es Möglichkeiten, aber man braucht engagierte Leute.
Sehen Sie Existenzen von Einzelhändlern bedroht?
Leerstand ist nichts Neues. Jedes zehnte Innenstadtgebäude steht in Baden-Württemberg leer. Aber damit das nicht mehr wird, müssen die Überbrückungshilfen ankommen. Je schneller Geld kommt, desto besser. Auch die Vermieter haben Möglichkeiten zur Unterstützung ihrer Pächter oder Mieter in der Hand. Generell sind Einzelhändler und Gastronomen aber Unternehmer, und Unternehmer sind Macher. Am Ende vom Tag werden Unternehmen profitieren, die jetzt nach vorne gehen.
Gibt es Initiativen in der Region, die in der Pandemie als Leuchttürme herausstechen?
In fast jeder Gemeinde sind Lieferungen und Abholdienste organisiert worden, das ist wirklich super, da haben sich alle gegenseitig unter die Arme gegriffen. Positive Beispiele, die mir darüber hinaus einfallen, sind zum einen die EhrengasthausInitiative vom Landkreis Tuttlingen und der Donaubergland GmbH, da kam viel bei den Gastronomen an. In Rottweil gab es etwas Vergleichbares. Und dann gibt es noch die Schramberger Jobkarte, die auch in der Pandemie bestehen geblieben ist. Dabei zahlen Arbeitgeber monatlich um die 40 Euro an ihre Arbeitnehmer aus, in Form eines Guthabens auf der Jobkarte. Mit der Karte kann man in Schramberg einkaufen. Das haben die Arbeitgeber trotz Kurzarbeit und anderen Widrigkeiten nicht gestrichen – das ist wirklich bemerkenswert. Gleiches gilt für das Verhältnis von Vermietern und ihren Pächtern oder Mietern. An vielen Stellen wurden hier Zahlungen gestundet, Mieten verschoben oder ausgesetzt. So etwas hilft ganz konkret sehr schnell und stärkt auch noch das Miteinander.