Wie Arno Schmidt einmal nach Ulm kam
Über den gescheiterten Versuch, den Schriftsteller an die HfG zu holen
- Es gibt von Loriot eine wunderbare Parodie auf eine Fernsehsendung namens „Das war ihr Leben“. Da wurden allerlei Prominente mit Leuten konfrontiert, die ihnen irgendwann im Leben über den Weg gelaufen waren. Der geniale Loriot freilich drehte diesen Ansatz ins Absurde: Bei ihm trifft die prominente Person (von ihm selbst gespielt) auf Menschen, denen sie nie begegnet ist.
Die Episode, wie der geniale Schriftsteller Arno Schmidt (1914 1979) gerade eben nicht als Dozent an die Hochschule für Gestaltung (HfG) in Ulm berufen wurde, erinnert an diesen Loriot-Sketch. Georg Patzer erzählt in dem Heft 121 der Marbacher Reihe „Spuren“diese Geschichte.
Anfang der 1950er-Jahre lebt Arno Schmidt in prekären Verhältnissen im Saarland. Wegen seiner Erzählung „Seelandschaft mit Pocahontas“droht ein Prozess wegen Gotteslästerung. Da kommt auf Vermittlung Martin Walsers, damals Literaturredakteur beim Süddeutschen Rundfunk in Stuttgart, der Kontakt zu dem Kommunikationstheoretiker und Philosophen Max Bense zustande. Der bietet Schmidt an, Vorträge über Literatur im Studium generale an der Technischen
Universität in Stuttgart zu halten. Schmidt zögert.
Ein paar Jahre später, man schreibt inzwischen das Jahr 1955, vermittelt Bense Schmidt wieder eine Stelle. Diesmal die eines Dozenten für Literatur an der neu gegründeten Hochschule für Gestaltung (HfG) in Ulm. Bense soll dort die Abteilung Information aufbauen. Das Angebot klingt für Arno Schmidt nicht so schlecht: 750 DM, eine Wohnung. Das Ehepaar Schmidt reist nach Stuttgart und mit Max Bense und seiner Assistentin weiter nach Ulm. Inge Scholl führt durch die neuen Räume am Oberen Eselsberg.
Rektor ist Max Bill. Dem muss sich Arno Schmidt vorstellen. Die Sache geht gründlich schief. Alice Schmidt schreibt in einem Brief vom 30. September 1955, dass bei der Besprechung mit Bill herausgekommen sei, „dass die Arbeit meines Mannes darin bestehen sollte, seinen Schülern kristallklare Reklametexte und Schlagworte beizubringen. Es sollen aus der Literaturabteilung keinesfalls Journalisten oder gar Schriftsteller hervorgehen, sondern praktische Leute. Und Gehalt soll es nicht 750, sondern nur 500 Mark geben. Eine Wohnungsmöglichkeit allerdings wäre vorhanden und Essen in der Mensa“.
Bei ihrem ersten und einzigen Treffen sind Bill und Schmidt erst heftig aneinandergeraten, dann schwiegen sie sich solange an, bis Max Bense und Inge Scholl wieder ins Rektoratszimmer zurückkamen.
Arno Schmidt als Lehrer für Werbetexte? Klingt fast schon wieder wie ein Einfall des Meisters selbst.
Die Anekdote ist nicht unbekannt. Schon 1987, als das Buch „ulm – Die Moral der Gegenstände“über die Geschichte der Hochschule für Gestaltung erschien, wurde die Begegnung von Bill und Schmidt in der Lokalpresse erwähnt (Neu-Ulmer Zeitung von 8. September 1987). Aber nun hat sie Georg Patzer in der verdienstvollen Reihe „Spuren“(Band 121), die das Literaturarchiv Marbach herausgibt, fein aufgeschrieben. Eine Bereicherung für alle, die sich für die nicht ganz einfache Geschichte der HfG – ihre Ansprüche und ihre Verwerfungen – interessieren.
Georg Patzer: Arno Schmidt und Ulm. Spuren 121, 16 Seiten, 4,50 Euro.