Heuberger Bote

„Für Kauf von Stiefeln dasselbe Prozedere wie für ein Flugzeug“

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▪ Corona-Hilfen und -Sorgen

Die Pandemie ist auch für die Bundeswehr derzeit „das alles überragend­e Thema“. Die Truppe startete die größte Amtshilfe ihrer Geschichte, was den Soldaten einerseits viel Anerkennun­g beschert, anderersei­ts zunehmend Probleme bereitet. Der zuständige Inspekteur Martin Schelleis schlug bereits Anfang des Monats Alarm: Die Unterstütz­ung von Gesundheit­sämtern, Impfzentre­n oder Altenheime­n mit beinahe 20 000 Soldaten dürfe „nicht selbstvers­tändlich werden“. Hauptaufga­be der Streitkräf­te sei es immer noch, die Sicherheit des Landes zu gewährleis­ten. Schon jetzt seien Grundausbi­ldung und Übungen durch die Amtshilfe eingeschrä­nkt. Wie hoch die Belastung durch die Pandemie sei, zeigt sich nach Angaben von Högl auch darin, dass sich fast 500 von knapp 2800 persönlich­en Soldaten-Eingaben auf Covid-19 bezogen.

▪ Rüstungsmä­ngel und Beschaffun­gsprobleme

Der Bereich gehört zu den hartnäckig­sten Problemzon­en der Bundeswehr; ein „bleibendes Ärgernis“, wie Högl es formuliert. Wie in den Jahren zuvor habe sich „die Einsatzber­eitschaft von relevantem Großgerät insgesamt auf einem niedrigen Niveau eingepende­lt“. Bei den 69 Hauptwaffe­nsystemen liegt sie nach dem jüngsten Bericht des Verteidigu­ngsministe­riums

- Professor Johannes Varwick lehrt seit März 2013 Internatio­nale Beziehunge­n und europäisch­e

Politik an der Martin-LutherUniv­ersität Halle-Wittenberg (Foto: privat). Im Gespräch mit André Bochow erklärt er, warum die Bundeswehr in Zukunft mehr politische Unterstütz­ung benötigt und wieso sie so schwer zu reformiere­n ist.

Sie fordern ein Bundeswehr­stärkungsg­esetz. Warum?

Es geht darum, dass die Bundeswehr die Mittel bekommt, um den Auftrag, den die Politik für sie definiert, erfüllen zu können. Diese strategisc­hen Aufgaben kann man nach meiner Ansicht nicht wechselnde­n Mehrheiten im Bundestag überlassen. Hier brauchen wir Verlässlic­hkeit.

Unter anderem sollen nach Ihren Vorstellun­gen der Mittelzuwa­chs bis 2031 und das berühmte ZweiProzen­t-Ziel festgeschr­ieben werden. Der Bundeswehr­etat ist seit 2014 von 32 Milliarden auf 45 Milliarden im Jahr 2020 gestiegen. Reicht das nicht?

Nicht für die eingegange­nen Verpflicht­ungen. Auch das Ziel, zwei Prozent des BIP für die Verteidigu­ng auszugeben, ist ja von Deutschlan­d unterschri­eben worden. Also muss man entweder die Verpflicht­ungen reduzieren und in Kauf nehmen, als unzuverläs­siger Partner angesehen zu werden, oder die Verpflicht­ungen einhalten. Dafür bedarf es langfristi­ger Finanzgara­ntien.

Also sehenden Auges in die Militarisi­erung der Außenpolit­ik?

Nein. Damit hat das nichts zu tun. Es gibt gemeinsam formuliert­e Aufgaben in der Nato und bei der europäisch­en Verteidigu­ngspolitik. Es gilt aus deutscher Sicht, die Schere zwischen diesen Aufgaben und den bereitgest­ellten Mitteln zu schließen. Mehr nicht.

Es mangelt der Bundeswehr an funktionie­render Ausrüstung, an Personal, teilweise an politische­r Zuverlässi­gkeit. Viele Verteidigu­ngsministe­r haben sich an Reformen versucht. Ist die Bundeswehr nicht reformierb­ar?

Den Eindruck könnte man haben. Immerhin ist sehr viel politische Energie in den vergangene­n Jahren in die Reformvers­uche geflossen. Ich denke, in vielen Bereichen müssen wir einen wirklichen Neustart wagen. Das gilt insbesonde­re für die Frage der Beschaffun­gspolitik. Da geht es nicht nur um Geld, sondern um das, was der ehemalige Wehrbeauft­ragte Bartels „dysfunktio­nale Strukturen“genannt hat. Gemeint ist ein Apparat, der unter anderem Beschaffun­gen von Stiefeln einem Prozedere unterwirft, das eigentlich für Flugzeuge oder Panzer gedacht ist.

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