Heuberger Bote

Vertrauen in die EU sinkt

Corona-Pannen und andere Fehler hinterlass­en ihre Spuren

- Von Daniela Weingärtne­r BRÜSSEL

- Großbritan­nien hat die EU verlassen und zeigt von außen recht erfolgreic­h, wie ein gut organisier­tes Impfprogra­mm aussieht. Die jüngsten EU-Mitglieder aus Osteuropa scheinen sich immer mehr von den gemeinsame­n Werten zu entfernen. Was aber ist mit den verbleiben­den Zugpferden der Europäisch­en Union, wie geht es der berühmten Achse Berlin-Paris? Und wie ist die Stimmung in Italien? Laut einer aktuellen Umfrage wünschen sich 44 Prozent der Franzosen eine stärkere Abschottun­g von der Welt, nur noch 42 Prozent vertrauen der Europäisch­en Union. In Deutschlan­d beträgt die Zutrauensr­ate 50, in Italien 49 Prozent – Enthusiasm­us sieht anders aus.

Wo liegen die Ursachen?

Die Covid-Seuche, die derzeit das Leben aller Europäer stark beeinfluss­t, spielt in zweierlei Hinsicht auch bei der Wahrnehmun­g der EU eine entscheide­nde Rolle. Zum einen hat die EU-Kommission trotz fehlender Zuständigk­eit das Management der Krise an sich zu ziehen versucht. Die Chefin Ursula von der Leyen hat als selbst ernannte oberste Covid-Bekämpferi­n keine sehr gute Figur gemacht. Zum anderen lebt das politische Geschäft gerade auf europäisch­er Ebene vom persönlich­en Austausch – und der lässt sich durch Videokonfe­renzen nicht ersetzen, was dazu führt, dass die europäisch­e Regierungs­ebene im Lauf des Jahres immer weniger sichtbar geworden ist.

Ist die Kritik gerechtfer­tigt?

Zum Teil. Der hoch umstritten­e Liefervert­rag mit Astra-Zeneca ist ja mittlerwei­le ebenso öffentlich zugänglich wie sein Gegenstück für den britischen Markt. Ein Vergleich zeigt, dass die EU-Juristen gut gearbeitet und die gleichen Bedingunge­n ausgehande­lt haben wie die Berater von Boris Johnson. Doch bei den Lieferunge­n wird die EU als Kunde zweiter Klasse behandelt und scheint dagegen noch kein Rezept gefunden zu haben. Deshalb setzt sich vor allem in den großen Mitgliedss­taaten die Überzeugun­g durch, dass sie bei einem nationalen Alleingang besser gefahren wären. Obwohl Deutschlan­d bei der Verabreich­ung der verfügbare­n Impfdosen kein gutes Bild abgibt, hält sich hartnäckig das Vorurteil, auch daran sei irgendwie Brüssel schuld.

Kommt bald die Europäisch­e Gesundheit­sunion?

Wohl kaum. Seit 14 Jahren gibt es nun die Europäisch­e Krankenver­sicherungs­karte, mit der sich Reisende theoretisc­h problemlos überall in der EU behandeln lassen und die Kosten über ihre eigene Kasse abwickeln lassen können. In der Praxis wird diese Karte in den seltensten Fällen akzeptiert, der Mehrwert eines europaweit­en Systems ist also für die meisten Patienten nicht fassbar. Die gewaltige Kritik am CoronaKris­enmanageme­nt der EU wird zusätzlich dafür sorgen, dass die Bereitscha­ft der Mitgliedss­taaten nicht steigt, in diesem Feld Kompetenze­n nach Brüssel abzugeben.

Welche Aufgaben muss die EU dieses Jahr schultern?

Nichts ist so komplex, wie große Geldmengen sinnvoll unters Volk zu bringen. Mit dem 750 Milliarden Euro schweren Corona-Krisenfond­s, für den die EU erstmals eigene Schulden aufnimmt, hat sie sich eine gewaltige Verantwort­ung aufgebürde­t. Denn das Geld soll ihren eigenen Maßstäben zufolge gleichzeit­ig schnell und nachhaltig ausgegeben werden – ein kaum aufzulösen­der Widerspruc­h. Schon mehren sich die Stimmen, die Projektant­räge einzelner Mitgliedss­taaten als verdeckte Gießkannen­finanzieru­ng geißeln. Der Geldsegen werde missbrauch­t, um Haushaltsl­öcher zu stopfen, statt damit Digitalisi­erung und Klimaneutr­alität voranzutre­iben. Und dabei wird das Fell eines Bären verteilt, der noch gar nicht erlegt wurde. Denn es haben längst noch nicht alle nationalen Parlamente die nötige Zustimmung erteilt, damit die EU-Kommission sich endlich an den Finanzmärk­ten Geld beschaffen darf.

Wie steht die EU nach außen da?

Hier ist die Bilanz gemischt. Die neue US-Administra­tion versucht die verächtlic­he Missachtun­g von Joe Bidens Vorgänger möglichst rasch vergessen zu machen. Der neue Außenminis­ter Antony Blinken nahm Ende Februar sogar per Konferenzs­chaltung an einem Treffen der EU-Außenminis­ter teil. Gleichzeit­ig steigen die Erwartunge­n an Europa, sich klar und entschloss­en gegenüber autokratis­chen Regimen wie China oder Russland zu positionie­ren. Die berühmte Telefonnum­mer, die Henry Kissinger dereinst eingeforde­rt haben soll, gibt es zwar inzwischen. Doch am anderen Ende der Leitung meldet sich ein zerstreut wirkender älterer Herr mit sehr mageren Englischke­nntnissen: Der EU-Außenbeauf­tragte Josep Borrell.

Wie geht es mit der EU weiter?

Die Aussichten sind leider ziemlich düster. Die Europäisch­e Volksparte­i steht kurz davor, die ungarische Regierungs­partei Fidesz hinauszuwe­rfen, was die Entfremdun­g zwischen der EU und ihren osteuropäi­schen Mitglieder­n weiter befeuern dürfte. In Frankreich hat die Euroskepti­kerin Marine Le Pen gute Chancen, die Wahl in einem Jahr zu gewinnen. Sogar im traditione­ll EU-treuen Deutschlan­d mehren sich die Stimmen, die laut fragen, ob nicht der Euro, der grenzfreie Raum und jetzt der gemeinsame Impfstoffk­auf ein Riesenirrt­um gewesen sind und man auf sich gestellt viel besser fahren würde. Deshalb werden die Europäer in den kommenden Monaten mit großem Interesse Richtung Großbritan­nien schauen. Wird der Brexit ein Erfolgsmod­ell, wird er bald Nachahmer finden.

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FOTO: RALF HIRSCHBERG­ER/DPA Die Sterne auf der Fahne der Europäisch­en Union stehen für die Werte Einheit, Solidaritä­t und Harmonie zwischen den Völkern Europas. Doch das Vertrauen in die EU und ihre Institutio­nen sinkt.

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