Pop, Rock, Blues
Chris Rea feiert 70. Geburtstag – Der Musiker hat auch düstere und bluesige Seiten
Ausnahmegitarrist Chris Rea feiert 70. Geburtstag
- Die Nachricht von meinem Tod ist stark übertrieben“, schrieb dereinst Mark Twain in einem Telegramm an eine Zeitung, die vorschnell sein Ableben verkündet hatte. Chris Rea hätte fast ähnliches vermelden können, denn vor gut drei Jahren hatte schon so manch besorgter Journalist zum Nachruf angesetzt, als der Brite bei einem Konzert seiner Tournee auf der Bühne kollabiert war. Das blieb dann aber doch nur ein weiteres Kapitel in einer mehr als 20-jährigen Krankengeschichte und heute kann der Brite seinen 70. Geburtstag feiern und auf eine vor allem in Deutschland höchst erfolgreiche Karriere zurückblicken.
Es lässt sich nicht mehr mit Sicherheit feststellen, ob das Etikett eigens für ihn geschaffen wurde – angeheftet wurde es ihm auf alle Fälle so häufig und hartnäckig wie kaum einem anderen Musiker: Chris Rea galt als der „Schmuserocker“schlechthin. Insbesondere hierzulande schien der Ruf wie in Stein gemeißelt, seine erste Hitsammlung erschien 1986 sogar unter dem deutschen Titel „Herzklopfen“. Für solche Einschätzungen lieferte der Brite durchaus musikalische Belege, wobei es ihm meist gelang, den Genretypischen Kitsch zu umschiffen. Seine Erfolge der 1980er-Jahre kamen eher zärtlich-verträumt daher – vorneweg „Josephine“, eine Liebeserklärung an seine gleichnamige Tochter. Auf Alben wie „On the Beach“gelang es ihm zudem, mit seiner angerauten Stimme und zurückhaltenden Arrangements eine maximal entspannte Atmosphäre zu erzeugen.
Dies war aber nur die eine Seite im musikalischen Schaffen von Chris Rea. Dass der 1951 in Middlesbrough im Nordosten Englands geborene Sohn eines italienischen Vaters und einer irischen Mutter von Plattenfirmen und Fans vor allem in der soften Ecke gesehen wurde, war wohl auch seinem frühen Hit „Fool (If You Think It’s Over)“geschuldet, einem 1978 erschienenen Song, bei dem Rea höchst untypisch Keyboard statt Gitarre spielt. Alle Jahre wieder läuft zudem „Driving Home for Christmas“in den Radios. Im hochgradig polarisierenden WeihnachtsrockGenre ist dies sicher einer der schöneren Songs, dessen geradliniger
Text offenkundig viele Menschen anspricht.
Aber Rea konnte auch anders, wie das 1989 erschienene Album „Road to Hell“mit seinen düsteren Texten und der Nachfolger „Auberge“mit seinem tanzbaren Titelsong bewiesen. In Songs wie „Daytona“wurde zudem eine weitere große Liebe des Musikers deutlich: Historische Rennwagen und der Rennzirkus. Durch seinen Erfolg konnte er sich selber mehrere Wagen zulegen und an Rennen teilnehmen – mal als Fahrer, mal als Mechaniker. Dieser Leidenschaft widmete er sich auch mit Ausflügen ins Filmgeschäft: das passend betitelte „La Passione“, geschrieben und produziert von Rea, erzählt die Geschichte eines Jungen, der von frühen Jahren an eine Faszination für den Rennsport empfindet. Die biographischen Parallelen sind offenkundig, zumal die Hauptfigur wie Rea aus einer italienischen Einwandererfamilie stammt, die ihr Geld mit Eiscreme verdient. Dieser bodenständige Hintergrund dürfte auch dazu beigetragen haben, dass sich der Musiker selbst auf dem Zenit seines kommerziellen Erfolgs nie als Rockstar sah und die damit verbundenen Allüren klar ablehnte: „Die sorgen sich um ihre Frisur. Die lassen ständig etwas mit ihrem Gesicht machen. Wie du aussiehst und wie du klingst, ist alles. Es ist narzisstisch. Das bin ich nicht.“
Seit den 1990er-Jahren plagten Rea gesundheitliche Probleme, er musste mehrfach wegen Bauchspeicheldrüsenkrebs operiert werden, 2016 folgte ein Schlaganfall. Rückhalt fand der Musiker in der Familie, die er mit seiner Jugendliebe Joan gegründet hatte – und im Blues.
Beginnend mit dem 2002 erschienenen Album „Dancing Down the Stony Road“begann er sich ganz dem Genre zu widmen, wegen dem er ursprünglich ins Musikgeschäft gegangen war. Mit mehr als 30 Millionen verkauften Platten im Rücken musste Rea auf kommerzielle Aspekte keine Rücksicht mehr nehmen und veröffentlichte mit „Blue Guitars“ein voluminöses Boxset samt Buch, in dem er mit 137 Songs die Geschichte des Blues von seinen Wurzeln an erzählte. Wer aufgrund der Radiohits übersehen hatte, was für ein herausragender und vielseitiger Gitarrist Rea war, wurde spätestens hier eines Besseren belehrt.
Trotz seiner schweren Erkrankungen kehrte der leidenschaftliche Musiker immer wieder auf die Bühne zurück, so auch zur Veröffentlichung seines 24. Studioalbums „Road Songs for Lovers“im Herbst 2017. Nach 34 erfolgreich absolvierten Auftritten kollabierte er dann auf der Bühne des New Theatre Oxford. Auch wenn er das Krankenhaus wieder verlassen konnte, beendete der Vorfall weitere Tourpläne des Musikers, der sich seitdem der Pflege seines Musikkatalogs widmet – zuletzt mit der Veröffentlichung von „ERA 1“, einer hörenswerten Sammlung früher Singles und Raritäten. Dass er nie wieder auf einer Bühne stehen wird, ist damit aber nicht gesagt – schließlich nannte ihn ein britisches Musikmagazin schon 2017 „Rock’s Ultimate Survivor“, den ultimativen Überlebenden der Rockmusik.