Bundeskabinett beschließt umstrittenes Lieferkettengesetz
Deutsche Unternehmen sollen Menschenrechte und Umweltstandards bei Zulieferern im Blick behalten – Kritik der Wirtschaftsverbände
- Lebensgefährliche Rohstoffminen in Afrika, zwielichtige Arbeitsbedingungen für Näherinnen in Asien oder Kinderarbeit auf Baumwollplantagen in Indien: Große deutsche Unternehmen sollen künftig verpflichtet werden, für die Einhaltung der Menschenrechte und Umweltstandards bei ihren Zulieferern zu sorgen. Verbraucher sollen darauf vertrauen können, dass keine mit Kinder- oder Zwangsarbeit produzierten Produkte angeboten werden.
Das Kabinett beschloss am Mittwoch einen Entwurf für ein Lieferkettengesetz, auf den sich Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD), Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) nach monatelangem Streit geeinigt hatten. Zu weiteren Beratungen geht das Gesetz nun in den Bundestag. Aus der Wirtschaft kommt Kritik, Verbände fordern bereits Nachbesserungen.
„Heute ist ein wichtiger Tag für Menschenrechte, im Kampf gegen Sklavenarbeit und Kinderarbeit“, sagte Heil. Ausbeutung dürfte kein Geschäftsmodell sein. Es handele sich um das europaweit ambitionierteste Gesetz dieser Art. Die Sorgfaltspflichten
der Unternehmen würden klar definiert. Eine Behörde werde mit einem „robusten Mandat“ausgestattet, um die Einhaltung des Gesetzes zu kontrollieren, sagte Heil.
„Ich bin zufrieden. Es ist ein guter Kompromiss“, sagte Entwicklungsminister Müller der „Schwäbischen Zeitung“. „Mir war besonders wichtig, das Verbot von Kinderarbeit wirksam umzusetzen. Kein Kind soll auf den Kakaoplantagen oder in Kupferminen für unseren Wohlstand schuften müssen. Deswegen umfasst das Gesetz die gesamte Lieferkette – vom Rohstoff bis zum Endprodukt.“Er sei überzeugt, dass das Gesetz Wirkung zeigen werde. „Das zeigen auch die möglichen Bußgelder“, erklärte Müller weiter. „Zudem können Unternehmen bei schweren Verstößen von der öffentlichen Beschaffung ausgeschlossen werden.“
Von 2023 an sollen Unternehmen mit mindestens 3000 Beschäftigten ihre gesamte Lieferkette im Blick haben, aber abgestuft verantwortlich sein. Von 2024 an kommen alle Unternehmen mit mindestens 1000 Beschäftigten dazu. Wird einer Firma ein Missstand in der Lieferkette bekannt, soll sie verpflichtet werden, für Abhilfe zu sorgen.
Zudem sollen Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften die Möglichkeit bekommen, Betroffene vor deutschen Gerichten zu vertreten, wenn es Verstöße gegen Standards in Lieferketten gibt und der Betroffene zustimmt. Das ist neu: Bisher konnten Geschädigte selbst klagen, was aber in der Praxis an den Lebensumständen scheiterte. Heil betonte: „Das ist wichtig, denn die Betroffenen aus dem Kongo oder aus Bangladesch bekommen so eine faire Chance, ihre Rechte durchzusetzen.“
Wirtschafts- und Arbeitgeberverbänden geht der Entwurf zu weit. Der Verband der Automobilindustrie (VDA) befürchtet Wettbewerbsnachteile für deutsche Unternehmen im europäischen Vergleich. Rechte und Pflichten der Unternehmen müssten im Gesetz konkreter benannt werden. Außerdem seien die Sanktionen in vielen Fällen zu hoch.
Die Arbeitgeber kritisierten die Vorgaben als nicht handhabbar. „Unternehmen, die sichergehen wollen, nicht von den Sanktionen des Lieferkettengesetzes
betroffen zu sein, bleibt daher nur der Rückzug aus Entwicklungsländern mit herausfordernder Menschenrechtslage“, teilte die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände mit. Damit schade das Gesetz denjenigen Menschen, denen geholfen werden soll.
Der Verband der Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) fordert das Parlament auf, dem Regierungsentwurf die Zustimmung zu verweigern. „Der vorliegende Entwurf des Lieferkettengesetzes stellt einen weitreichenden Eingriff in den Mittelstand dar. Vor allem die angedrohten Sanktionen sind völlig überzogen. Die Bußgelder könnten im Einzelfall sogar für Unternehmen den Ruin bedeuten. Denn es reicht aus, dass die Unternehmen die geforderte Risikoanalyse ihrer Lieferketten, wie es heißt, ,zu niedrig‘ oder ,nicht vollständig‘ durchgeführt haben“, kritisiert VDMA-Präsident Karl Haeusgen. Der Entwurf müsse grundlegend überarbeitet werden.
Die Gewerkschaft IG Metall dagegen betonte, der Entwurf dürfe nicht weiter ausgehöhlt werden. Insbesondere die Unionsfraktion sei in der Verantwortung zu verhindern, dass der Entwurf durch Lobbybemühungen zugunsten der Unternehmen aufgeweicht werde.