EU gibt Fehler beim Impfstoff zu
Länder ziehen Konsequenzen aus Lieferengpass – Proteste gegen Corona-Politik
(AFP) - Nach der Ankündigung erneuter Lieferkürzungen beim Corona-Impfstoff von Astra-Zeneca verschärft sich die Debatte um die Impfstoffversorgung in der EU. Österreich und vier weitere Staaten forderten Gipfelberatungen zu den „riesigen Ungleichheiten“bei der Impfstoffverteilung. EU-Vizekommissionspräsident Frans Timmermans räumte Versäumnisse bei der Impfstoffbeschaffung ein.
(dpa) - Die Zahl der CoronaNeuinfektionen in Deutschland steigt weiter an. Am Sonntag lag die Sieben-Tage-Inzidenz – also die Zahl der binnen sieben Tagen gemeldeten Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner – bei 79 (Vortag: 76,1), wie das Robert Koch-Institut (RKI) am Sonntag mitteilte. Am Sonntag der Vorwoche hatte die Sieben-Tage-Inzidenz 66,1 betragen. Die Zahl der Neuinfektionen lag am Sonntag demnach bei 10790 – das waren 2687 mehr als noch vor einer Woche. Zudem wurden innerhalb von 24 Stunden 70 weitere Todesfälle verzeichnet.
Unterdessen haben mehrere Bundesländer Konsequenzen aus den Kürzungen der Impfstofflieferungen durch den Pharmakonzern Astra-Zeneca angekündigt. Thüringen stoppte deshalb die Terminvergabe für Impfungen und verschob den geplanten Start von Impfungen bei Hausärzten. Auch in Hamburg können unter 80-Jährige keine Impftermine mehr vereinbaren. SachsenAnhalt stellt die Impfungen von Polizisten zurück. In Berlin sollen neue Impftermine gestreckt werden.
Bayern will hingegen wie geplant am 1. April mit dem Impfen durch die Hausärzte vor allem in den Grenzregionen starten. Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) reagierte dennoch ungehalten auf die Ankündigung des Konzerns. Sie sei „absolut inakzeptabel“und zerstöre massiv Vertrauen, sagte der CSU-Politiker der „Bild am Sonntag“. Der Chef der EVP-Fraktion im Europaparlament, Manfred Weber, sagte der „Welt am Sonntag“, solange Astra-Zeneca seine Lieferzusagen nicht erfülle, „sollte die EU einen grundsätzlichen Exportstopp von in der EU produzierten Impfstoffdosen des Unternehmens verhängen“.
Astra-Zeneca hatte am Freitag angekündigt, statt der zuletzt anvisierten 220 Millionen Dosen nur noch 100 Millionen bis zur Jahresmitte an die EU-Staaten zu liefern. Der Konzern begründete dies unter anderem mit Exportbeschränkungen anderer Länder.
Gegen den Impfstoff von AstraZeneca gibt es zudem Vorbehalte aus medizinischer Sicht. Am Sonntag empfahl die Impfkommission Irlands ein Aussetzen der Impfungen mit dem Präparat des britischschwedischen Herstellers, bis Berichte aus Norwegen über vier Fälle schwerer Blutgerinnsel nach Verabreichung des Mittels geprüft seien. In Italien wurde die Verabreichung einer bestimmten Charge des Impfstoffes nach „schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen“vorsichtshalber gestoppt. Zuvor hatten schon andere Länder das Mittel beziehungsweise eine Charge von Astra-Zeneca vorsorglich vom Markt genommen. Dabei wurde betont, dass ein Zusammenhang von Komplikationen mit dem Mittel nicht erwiesen ist. Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA erklärte, es gebe keine auffällige Häufung von Thrombosen im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung. Der Nutzen der Verimpfung des Astra-Zeneca-Mittels größer sei als die Risiken.
Gegen die bestehenden CoronaMaßnahmen demonstrierten am Samstag Tausende Menschen in vielen deutschen Städten. In Stuttgart gingen viele Hundert Menschen gegen ein Jahr Lockdown-Politik, Schulschließungen, Isolation und Pleiten auf die Straße. Wie die Polizei mitteilte, hätten zu Beginn der Demo am Schlossplatz 80 bis 90 Prozent der Demonstranten weder Masken getragen noch den vorgeschriebenen Mindestabstand eingehalten – trotz Lautsprecherdurchsagen und gezielter Ansprache durch Polizeibeamte.
Nachdem die Demonstration sich aufgelöst hatte, wurden Medienvertreter angegriffen. Ein Fernsehteam des Südwestrundfunks wurde von einem Demo-Teilnehmer mit einem Gegenstand beworfen, wie ein Sprecher der Polizei sagte. Verletzt worden sei niemand.
In Dresden fand eine „Querdenken“-Demonstration trotz gerichtlichen Verbots statt. Allein am Kongresszentrum in der Nähe des Landtages versammelten sich laut Polizei mehr als 1000 Menschen – viele ohne Maske und Mindestabstand. Nach Angaben der Polizei wurden zwölf Beamte verletzt. Die Polizei erteilte Hunderte Platzverweise und fertigte mehr als 900 Anzeigen wegen Verstößen gegen die Corona-Regeln. Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) verurteilte die Gewalt gegen Polizisten und Journalisten. Straftäter würden mit „aller Härte des Rechtsstaates“zur Verantwortung gezogen.
Auch in zahlreichen anderen Städten gingen Menschen auf die Straße. In München wurde eine Demonstration mit rund 2500 Teilnehmern aufgelöst, weil Auflagen nicht eingehalten und die zugelassene Teilnehmerzahl überschritten worden war. In Düsseldorf demonstrierten nach Polizeiangaben rund 2000 Menschen. Bis zu 1000 Demonstranten zählte die Polizei in Berlin.
Unterdessen gab das RKI für die nächsten Wochen eine düstere Prognose ab. In der Woche nach Ostern werde es höhere Neuinfektionszahlen geben als rund um Weihnachten. Die Inzidenz könnte dann bei 350 liegen. Grund sei unter anderem die sich rasch ausbreitende Corona-Mutante B.1.1.7, die erstmals in Großbritannien nachgewiesen wurde.