Der ganze Furor von Beethovens Neunter
Manfred Honeck und sein Pittsburgh Symphony Orchestra spielen die berühmte Symphonie voller Energie
Ludwig van Beethovens neunte Symphonie mit ihrem triumphalen Schlusschor, der Vertonung von Schillers „Ode an die Freude“, wäre im vergangenen Geburtstagsjubiläumsjahr wohl unzählige Male auf dem Programm gestanden. Auch bei Manfred Honeck, der über Monate nicht mit seinem Pittsburgh Symphony Orchestra (PSO) proben und musizieren konnte und derzeit hier und da mit europäischen Orchestern „Geister“- oder „Wohnzimmer-Konzerte“ohne Publikum gestaltet.
Mit seinem amerikanischen Spitzenorchester aber hat Honeck bereits im Juni 2019 die Voraussetzungen für eine höchst energiegeladene, stürmische Neueinspielung der neunten Symphonie geschaffen. Wie stets sind die von Reference Recordings verantworteten Aufnahmen aus Mitschnitten von Proben und Livekonzerten entstanden, die Spannung ist von Anfang an greifbar. In einem ausführlichen Booklettext (in englischer Sprache) geht Honeck auf zahlreiche Details ein, die Beethoven in der Partitur und seinen Skizzenbüchern notierte und macht sie in der Aufnahme auch hörbar. Beethovens aufrührerischen Geist zeigt Honeck in scharfen Akzenten, einer höchst kontrastreichen Dynamik und vor allem in jenen schnellen Tempi, die sich der Komponist laut den Metronom-Angaben vorgestellt hat und die seit jeher für Diskussionen sorgen. (In jüngerer Zeit kam die Theorie auf, dass Beethoven die Skala des noch jungen Mälzel-Metronoms falsch abgelesen und dadurch schnellere Tempi notiert habe).
Das Pittsburgh Symphony Orchestra meistert diese Tempi freilich mühelos, gemeinsam mit ihrem Vorarlberger Chefdirigenten, der außerdem künstlerischer Leiter der Internationalen Wolfegger Konzerte ist. Brillante Blechbläser, bewegliche Holzbläser und wendige Streicher erwecken dramatisches Feuer im dichten Geflecht der Themen. Das wirkt manchmal schroff und überzeichnet, aber in sich schlüssig eingebunden in Honecks andere Beethoven-Interpretationen.
Der langsame Satz präsentiert sich in einem wunderbar steten Fließen der Streicher, mit kräftig aufrüttelnden Signalfanfaren. Im Finalsatz lösen sich die Rezitativstellen der Celli und Bässe ungemein plastisch aus dem wilden Orchestertumult heraus, das „Freudenthema“schwingt sich in fein abgestimmter Dynamik triumphierend empor. Mit dem Mendelssohn Choir of Pittsburgh steht dem Dirigenten ein exzellenter, leuchtkräftiger Chor zur Seite, auch wenn die Tempi hier manchmal an der
Grenze der Singbarkeit sind. Das Soloquartett mit der Sopranistin Christina Landshamer, der Mezzosopranistin Jennifer Johnson Cano, dem Tenor Werner Güra und dem Bassbariton Shenyang ist schlank und beweglich besetzt und homogen im Klang. Einzig der heikle Einsatz des Baritons „O Freunde, nicht diese Töne“ist sehr flackernd in der Tongebung.
Honeck, das PSO, der Chor und die Solisten halten die gespannte Energie, spannen sie immer noch weiter. Die zum Hörvergleich herangezogene Aufnahme von Leonard Bernstein zur deutschen Wiedervereinigung – damals als so euphorisch und überwältigend empfunden – wirkt gegen Honecks Furor schwergewichtig. So sehr haben sich die Hörgewohnheiten und Deutungen doch gewandelt.
Ludwig van Beethoven, Symphony No. 9. Pittsburgh Symphony Orchestra, Dirigent Manfred Honeck, Reference Recordings.