Hausärzte sollen nach Ostern impfen
Warnungen vor dritter Corona-Welle – Merkel gegen Lockerung der Corona-Auflagen
(dpa/dan) Die Hausärzte in Deutschland sollen unmittelbar nach Ostern routinemäßig in die Schutzimpfungen gegen das Coronavirus einsteigen. Das haben Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten der Länder am Freitag bei einer Telefonkonferenz beschlossen. Vorgesehen ist allerdings die Möglichkeit, dass Länder bis zum 22. März erklären, sich daran nicht zu beteiligen.
Wegen der zunächst noch geringen Mengen an verfügbarem Impfstoff wird das Impfen in den Hausarztpraxen auch nur langsam starten. In dem Beschlusspapier ist von etwa einem Impftermin pro Woche die Rede. Umgerechnet auf rund 50 000 Hausärzte in Deutschland geht es um eine Größenordnung von 20 Impfdosen
pro Praxis – insgesamt rund eine Million Impfdosen. In der letzten April-Woche sollen dann jedoch schon fast 3,2 Millionen Impfdosen an Hausarztpraxen gehen. Die Hausärzte sollten sich bei der Auswahl der zu impfenden Patienten grundsätzlich an den Priorisierungsvorgaben orientieren, sagte Merkel. Die Priorisierung könne von den Ärzten aber „flexibel gehandhabt werden“.
Vereinbart wurde ferner, dass fünf Bundesländer zum Schutz vor dem Eintrag mutierter Coronaviren durch Pendler aus Nachbarstaaten zusätzliche Impfdosen bekommen sollen. Dies betrifft das Saarland und Rheinland-Pfalz mit ihrer Grenze zu Frankreich sowie Bayern, Sachsen und Thüringen wegen der hohen Infektionszahlen in Tschechien. Bayerns
Ministerpräsident Markus Söder (CSU) nannte dies ein „gutes Signal“.
Angesichts der steigenden Corona-Infektionszahlen sieht Merkel (CDU) keine Möglichkeit für eine Lockerung der Corona-Maßnahmen. Merkel verwies auf die kürzlich von Bund und Ländern beschlossene „Notbremse“für den Fall steigender Infektionszahlen. „Wir werden von dieser Notbremse auch Gebrauch machen müssen“, sagte sie mit Blick auf die bevorstehenden Bund-Länder-Beratungen am Montag.
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) kündigte am Freitag bereits eine Verschärfung der Corona-Auflagen im Südwesten an. „Damit muss man rechnen, dass Dinge zurückgenommen und verschärft werden“, sagte der Grünen-Politiker am Freitag in Stuttgart. Angesichts vieler Ansteckungen in Kitas und Schulen könne es zudem sein, „dass wir da auch was ändern müssen“, erklärte Kretschmann vor dem Bund-LänderTreffen zur Corona-Politik. Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) äußerte sich ähnlich. Die Kultusministerkonferenz dagegen forderte, die Schulen möglichst lange geöffnet zu lassen.
Der Ulmer Virologe Thomas Mertens, Chef der Ständigen Impfkommission, sagte der „Schwäbischen Zeitung“, eine dritte Infektionswelle sei durch Impfen nicht aufzuhalten: „Mit dem wenigen Impfstoff, den wir aktuell haben, können wir das meiner Meinung nach nicht schaffen.“
- SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach sieht angesichts der Corona-Neuinfektionen „den Beginn einer fulminanten dritten Welle“. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) kündigt an, es könnten „vielleicht Schritte rückwärts“nötig sein – und Hamburg tut das bereits. Ein Überblick über die aktuelle Lage.
Inzidenz
Die Sieben-Tage-Inzidenz, die Zahl der Corona-Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner, lag laut RobertKoch-Institut (RKI) am Freitagmorgen bundesweit bei 95,6. Am Donnerstag hatte sie noch 90, am Mittwoch 86,2 betragen. Binnen eines Tages wurden 17 482 Neuinfektionen registriert – rund 5000 mehr als vor einer Woche. Der Anstieg der Infektionszahlen verlaufe wieder „ganz deutlich exponentiell“, sagte RKI-Vizepräsident Lars Schaade am Freitag. Angesichts der ansteckenderen Variante B.1.1.7, die bereits drei Viertel der Neuinfektionen ausmache, stünden „leider wieder schwere Wochen bevor“.
Karl Lauterbach warnte davor, dass es bereits Mitte April eine Inzidenz von 200 geben könne – „wir müssen deshalb zurück in den Lockdown“. Als eine Konsequenz hat bereits Hamburg nach drei Tagen mit Sieben-Tage-Inzidenzen über 100 am Freitag die Corona-Notbremse gezogen. Damit werden von diesem Samstag an die erst Anfang vergangener Woche vollzogenen Öffnungsschritte rückgängig gemacht. In Baden-Württemberg entscheiden die Landkreise über diese Maßnahmen, am Freitag hatten dies angesichts von Inzidenzen jenseits der 100 bereits mindestens elf Landkreise getan, darunter Sigmarigen, Tuttlingen und der Alb-Donau-Kreis. Für Jens Spahn ist klar: Man müsse am Montag zusammen mit den Ministerpräsidenten Konsequenzen ziehen, bei der Notbremse bei 100 müsse es „mindestens“bleiben.
Astra-Zeneca
Laut Spahn gibt es bundesweit 1,6 Millionen unverimpfte Astra-Zeneca-Dosen, die nach gut drei Tagen Impfstopp verwendet werden könnten, weil die Europäische Arzneimittelbehörde EMA nach Überprüfung mehrerer Fälle von Hirnthrombosen die Sicherheit des Impfstoffs festgestellt hatte. Das Vakzin wird nun mit der Warnung versehen, dass es in sehr seltenen Fällen Thrombosen im Hirn bei Frauen unter 55 Jahren geben könnte. In Deutschland waren 13 Fälle der Sinusund Hirnvenenthrombosen, die einen Verschluss von Venen im Gehirn durch Blutgerinnsel bedeuten, nach einer Impfung mit AstraZeneca gemeldet worden. Zwölf davon betrafen Frauen, es gab drei Todesfälle.
Karl Lauterbach hält es zwar für wahrscheinlich, dass die Hirnthrombosen auf die Impfung zurückzuführen sind, der Nutzen des Vakzins sei aber „massiv überwiegend“. Frankreichs Gesundheitsbehörde hat anders reagiert – es empfiehlt Astra-Zeneca nur noch für über 55-Jährige.
Thrombosen-Therapie
Forscher der Universitätsmedizin Greifswald haben nach eigenen Angaben herausgefunden, wie AstraZeneca Thrombosen im Hirn auslösen kann. Vom Immunsystem in Reaktion auf die Impfung gebildete Abwehrstoffe hätten bei den Betroffenen offenbar die Blutplättchen aktiviert, was wiederum zu Blutgerinnseln geführt habe, so Teamchef Andreas Greinacher am Freitag. Man könne jetzt nicht nur testen, ob jemand betroffen sei, sondern auch eine Behandlung anbieten. Allerdings: Es sei nur die Therapie möglich, keine Prophylaxe.
Weitere Impfstoffe
Nachdem sich mehrere Ministerpräsidenten für eine rasche Zulassung des russischen Impfstoffs Sputnik V ausgesprochen hatten, plädierte auch Karl Lauterbach für eine Beschaffung. Jedoch müssten noch Daten abgeklärt werden. Jens Spahn meinte, falls die EU-Zulassung zu lange dauere, sei eine nationale Entscheidung denkbar. Lauterbach warb zudem dafür, dem Vakzin der Tübinger Firma Curevac, das regulär erst im Mai/Juni erlaubt werden dürfte, eine Notfallzulassung zu erteilen. Schließlich ähnele es Biontech und Moderna.
Kinder
Von der Mutation B.1.1.7 sind laut Karl Lauterbach Kinder und Jugendliche „sehr viel mehr betroffen“als von der bisherigen Variante. Deshalb habe das Testen an Schulen höchste Priorität, denn mit einem Impfstoff für Kinder sei nicht vor dem Sommer zu rechnen. So hatte der US-Hersteller Moderna erst diese Woche begonnen, sein Vakzin Kindern zwischen sechs Monaten und zwölf Jahren zu verabreichen. Bisher ist Moderna nur für über 18-Jährige zugelassen. Biontech-Partner Pfizer testet seinen Impfstoff zunächst an zwölf- bis 15-Jährigen. Biontech ist bisher ab 16 Jahren zugelassen. Die Kultusminister der Länder forderten unterdessen am Freitag, die Schulen müssten trotz steigender CoronaZahlen so lange wie möglich offen bleiben. Dabei sollten Lehrkräfte im Präsenzunterricht zugleich Vorrang beim Impfen bekommen.