Unprofessionelle Anlage
Experte kritisiert Kommunen für Greensill-Aktivitäten
(meh) - Der baden-würtembergische Bankexperte Hans-Peter Burghof kritisiert die Städte und Gemeinden, die bei der Bremer Bank Greensill Steuergelder in Millionenhöhe angelegt haben, das nach der Pleite des Geldhauses verloren sein könnte. „Die Kommunen sind, außer durch die Greensill-Bank, von niemandem getäuscht worden. Sie haben ihr Geld einfach nur unprofessionell angelegt“, sagt der Inhaber des Lehrstuhls für Bankwirtschaft und Finanzdienstleistungen
an der Universität Hohenheim im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“. Wer als Investor investiere, dürfe sich nicht hinter dem Urteil von Ratingagenturen verstecken, erklärt Burghof. Die Finanzaufsicht hatte die Greensill-Bank Anfang März geschlossen. Mehr als 50 Kommunen, darunter Mengen im Kreis Sigmaringen und Bad Dürrheim im Schwarzwald, hatten zum Teil zweistellige Millionenbeträge bei dem Geldhaus angelegt.
- Nach der Pleite der Greensill-Bank ist vor allem bei Kommunen das Entsetzen groß. Steuergelder in Millionenhöhe, die Städte und Gemeinden aus dem Südwesten wie Weissach, Neckarsulm, Mengen und Bad Dürrheim bei dem Bremer Geldhaus angelegt haben, könnten verloren sein. Haben die Kämmerer leichtsinnig gehandelt? Leichtsinnig und unprofessionell, meint Hans-Peter Burghof im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Mischa Ehrhardt hat mit dem Professor auf dem Lehrstuhl für Bankwirtschaft und Finanzdienstleistungen an der Universität Hohenheim gesprochen.
Herr Burghof, Kämmerer von rund 50 Kommunen haben Millionenbeträge der Greensill-Bank anvertraut, und die ist nun pleite. Hätten Sie Ihr Geld dort auch angelegt?
Ich hoffe nicht. Ich hätte zumindest genau hingeschaut, was das für eine Bank ist. Ich hätte versucht, das Geschäftsmodell zu verstehen. Und da wäre mir dann aufgefallen, dass da einiges undurchsichtig bleibt.
Aber einige Anlegerportale hatten die Bank als sichere und gute Geldanlage empfohlen.
Richtig. Da müssen wir diskutieren, was das für Seiten sind, und ob die nicht Anlageberatung betreiben und dafür dann auch haften müssen. Es hilft wenig zu sagen, dass Kleinanleger nicht zu Schaden gekommen sind, weil die Einlagensicherung zahlt. Am Ende wird die durch solche Fälle überlastet und das System instabil.
Betroffene Kommunen wie die Städte Mengen im Kreis Sigmaringen oder Bad Dürrheim im Schwarzwald haben das Problem, dass sie seit 2017 nicht mehr unter dem Schutzschirm der Einlagensicherung stehen. An welchem Punkt hätten sie mehr Vorsicht walten lassen müssen?
Bei Greensill hätte man erkennen müssen, dass dieses Unternehmen Teil eines internationalen Konglomerats ist, in dem die Machtverhältnisse unklar und die Quellen des Einkommens schleierhaft sind. Es würde mich sehr wundern, wenn die betroffenen Kämmerer tatsächlich verstanden haben, was diese Bank macht. Wenn man das aber nicht versteht, darf man dort auch kein Geld anlegen.
Also haben die Kämmerer zumindest leichtsinnig agiert?
In diesem Sinne ganz gewiss. Das ist im Übrigen auch ein Effekt dieser Niedrigzinspolitik: Dass man mit Rattenfängerei gute Geschäfte machen kann. Genau das ist hier passiert.
Die Rattenfängerei in diesem Fall ist teuer: 50 Kommunen sollen betroffen sein, rund einer halbe Milliarde Euro Steuergelder stehen im Feuer. Wie konnte eine relativ unbekannte Bank das Interesse so vieler Finanzpolitiker wecken?
Das ist wirklich ganz erstaunlich. Es stellt sich die Frage, welche Vermittlungen da gelaufen sind, wer das in den Kommunen vermarktet hat. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie geguckt haben, wo sie die höchsten Zinsen bekommen – und dann haben sie ohne Rücksicht auf Verluste investiert. Ich sehe bei Anlageentscheidungen im politischen Raum das Problem, dass Risiken, die nur mit einer kleinen Eintrittswahrscheinlichkeit zu einem dann aber sehr großen Schaden führen, gerne vernachlässigt werden. Denn die kleine Wahrscheinlichkeit, dass man deswegen eine Wahl verliert, nimmt man in Kauf. Umgekehrt können die gewählten Entscheider sich dann nämlich mit einer hohen Wahrscheinlichkeit damit brüsten, besonders toll gewirtschaftet zu haben.
Viele der betroffenen Kommunen argumentieren genau mit niedrigen oder sogar Minuszinsen. Dagegen hat Greensill immerhin mit kleinen Zinsen gelockt.
Ja, aber das ist Bauernfängerei. Solche Fälle hatten wir in der Vergangenheit häufig: Mit hoher Wahrscheinlichkeit soll ein hoher Zins winken, mit kleiner Wahrscheinlichkeit verliert man dann aber auch sehr viel Geld. Denn auf den Kapitalmärkten steht die Zinsdifferenz eben für ein bestimmtes Risiko. Der Kapitalmarkt macht keine Geschenke. Man geht das Risiko ein – und fällt damit manchmal auf die Nase. Wenn jemand mehr bietet als der Rest, dann hat das einen Grund. Und ehe du diesen Grund nicht verstanden hast, darfst du hier kein Geld anlegen.
Zumal Greensill Kreditforderungen gebündelt, also verbrieft und weiterverkauft hat. Das erinnert an Spekulationen, die zur Finanz- und Wirtschaftskrise geführt hatten. Genau, und wie in der Finanzkrise haben wir auch bei Greensill ein ähnlich gelagertes Problem: Hohe Risiken mussten irgendwo hin – und dafür hat man die Greensill Bank in Deutschland gebaut. Das war gewissermaßen die Müllhalde für die hohen Risiken des Geschäftsmodells.
Einige der Kämmerer argumentieren, dass man das nicht so einfach hätte sehen können. Sie verweisen vor allem darauf, dass Ratingagenturen Greensill gute Noten gegeben haben.
Als Investor von teils zweistelligen Millionenbeträgen darf man sich nicht hinter Ratingagenturen verstecken. Ich will die Ratingagenturen nicht entschuldigen, das hat man schon in der Finanzkrise nicht tun dürfen. Denn sie haben den Markt kontinuierlich mit falschen Informationen versorgt. Aber schon deshalb hätte der Glaube, die Ratingagenturen verkündeten unumstößliche Wahrheiten, auch bei Kämmerern längst einer realistischeren Sicht dieser Institutionen weichen müssen.
Welche Rolle spielt die Finanzaufsicht Bafin? Einige Verantwortliche in den betroffenen Kommunen sagen: Hätte die Bafin gewarnt, dann hätten sie ihr Geld nicht bei Greensill angelegt.
Das ist aus zwei Gründen Unsinn. Zum einen: Hätte die Bafin früher von den tatsächlichen Vorgängen bei Greensill gewusst, dann hätte sie die Bank auch vorher geschlossen. Dann wäre das Geld eben früher weg gewesen. Zweitens: Die Bafin kann ja nicht einige Investoren warnen und andere nicht, damit die gewarnten Investoren noch schnell ihr Geld in Sicherheit bringen, bevor das Kartenhaus zusammenfällt. Das ist eine völlig falsche Vorstellung von der Aufgabe einer Aufsicht. Auch hier fehlen bei manchen Kommunen offenbar grundlegende Kenntnisse, über die man bei der Anlage großer Geldbeträge verfügen sollte.
Aber hätte die Bafin nicht schneller agieren müssen? Immerhin hat die Aufsicht schon vor rund einem Jahr angefangen, sich mit Vorwürfen gegen Greensill zu beschäftigen. Ja, ein Jahr ist viel zu langsam. Wir müssen hier den gleichen Vorwurf machen wie bei Wirecard. Die Bafin ist außerstande, bei Notfällen und drohenden Katastrophen die wichtigsten Fragen in kurzer Zeit zu prüfen. Sie kann mit den Entwicklungen bei den beaufsichtigten Unternehmen nicht Schritt halten. Seit 2018 ist die
Greensill-Bank drastisch auf die mehr als zehnfache Größe gewachsen – und die Bafin hat nicht wirklich hingeschaut, geschweige denn es verhindert. Die Bafin agiert zu starr, zu langsam und bürokratisch. Mein Eindruck ist, dass sie dabei zu sehr auf die juristische Dimension ihres Handelns schaut und die relevanten Sachverhalte nicht ökonomisch einordnen kann oder will. Das kommt uns immer wieder teuer zu stehen.
Nun ist man in Berlin aktiv geworden und will die Bafin reformieren. Konkret hat Bundesfinanzminister Olaf Scholz dafür ein Wortungetüm von gefunden: das „Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz“. Geht Ihnen das weit genug?
Nein, im Gegenteil. Ich habe den Eindruck, dass die Bafin sich hier ein Gesetz quasi selbst geschrieben hat und dabei vor allem versucht, sich von der Verantwortung für die Schadensfälle der jüngsten Vergangenheit zu entlasten. Was wir brauchen ist eine starke und unabhängige Bafin, die eine klare und auch klar abgegrenzte Zielsetzung hat, die sich nicht in vielen Aufgaben verzettelt und dabei immer größer und unbeweglicher wird. Sie muss Probleme vielmehr schnell und effizient lösen können. Davon sind wir leider sehr weit entfernt – und daran wird auch das Gesetz nichts ändern.
Immerhin ist in Zukunft Bafin-Beschäftigten verboten, mit Aktien von Unternehmen zu handeln, die der Aufsicht unterstehen.
Aus meiner Sicht war das auch vorher schon verboten. Ich halte es für unsinnig, das jetzt noch einmal in einem Gesetz zu verbieten. Es gehört zu den Aufgaben eines Leiters einer Behörde, solche Insider-Probleme zu erkennen und Regelungen dafür zu treffen, dass sie nicht zum Schaden für die Behörde und für die Allgemeinheit werden.
Kommen wir zum Schluss zu den Kommunen zurück. Welche Konsequenzen sollten die dortigen Verantwortlichen aus dem Greensill-Debakel ziehen?
Ich denke, dass den Kommunen klar sein muss, dass auch sie den Regeln des Kapitalmarktes unterliegen. Und dazu gehört eben auch die Einsicht: ‚No free lunch‘ – Du bekommst nichts geschenkt! Und wenn sie in der Kommune niemanden haben, der etwas von Kapitalmarkt und Geldanlage versteht, dann müssen sie sich dieses Wissen beschaffen. Und dieses Wissen ist verfügbar, nichts anderes bringen wir an der Universität in finanzwirtschaftlichen Studienfächern unseren Absolventen bei. Man kann nicht – wie vielleicht ein durch die Einlagenversicherung geschützter Kleinanleger – einfach nach dem günstigsten Zins Ausschau halten. Die Kommunen sind, außer durch die Greensill-Bank, von niemandem getäuscht oder betrogen worden. Sie haben ihr Geld einfach nur unprofessionell angelegt.