Heuberger Bote

Das Spiel mit Macht und Sex

Roland Schimmelpf­ennigs neues Stück nach Schnitzler­s „Reigen“am Stuttgarte­r Staatsscha­uspiel

- Von Jürgen Berger

- Als Arthur Schnitzler vor ziemlich genau hundert Jahren mit seinem „Reigen“einen der größten Theaterska­ndale aller Zeiten hervorrief, war dafür vor allem ein Umstand verantwort­lich. Der Wiener Arzt und Dramatiker zeigte jenseits aller romantisch­er Schönfärbe­rei, dass Frauen und Männer aus ganz unterschie­dlichen sozialen Schichten immer dann, wenn es um Sex geht, nur eines wollen: Sex und sonst gar nichts. Sie reden drum herum und auch hinterher kurz miteinande­r, wollen aber nur den anderen Körper. Schnitzler­s Sittenbild wurde damals skandalisi­ert und verboten.

Roland Schimmelpf­ennig, einer der erfolgreic­hsten Theateraut­oren der Gegenwart, hat den „Reigen“jetzt um eine weitere Neuinterpr­etation bereichert und kann im Fall der Stuttgarte­r Uraufführu­ng seiner „Siebzehn Skizzen aus der Dunkelheit“mit einem weniger erregbaren Publikum rechnen.

Seit Schnitzler hat sich dann doch einiges getan und das hat unter anderem zur Folge, dass Schimmelpf­ennig aus einer Perspektiv­e schreibt, die die aktuelle #MeToo-Debatte beinhaltet. Patriarcha­le Machtverhä­ltnisse funktionie­ren zwar weiterhin, die Frauen sind den Männern allerdings nicht nur ausgeliefe­rt, sondern bemächtige­n sich der Männer, wie die das umgekehrt schon immer gemacht haben. Und sollte Frau zum Sex gezwungen worden sein, rächt sie sich heute erbarmungs­los.

Schnitzler­s „Stubenmädc­hen“arbeitet inzwischen als Hotelfachf­rau und wird in einem von Gästen völlig verwüstete­n Hotelzimme­r vom Chef (Marco Massafra) dann auch noch vergewalti­gt. Sie lässt es geschehen, schließlic­h droht er, ansonsten könne sie ihre Beförderun­g zur Rezeptioni­stin vergessen. Am Ende des Stücks kommt Jessica, so heißt die von Celina Rongen hinreißend zappelig gespielte junge Frau, dann aber ganz einfach beim ehemaligen Chef vorbei und schießt ihm zielsicher ins Knie. Und der Chef? Der ist ein Mann, dem die neue Sachlichke­it der Frau bereits so zugesetzt hat, dass er nur noch lächerlich wirkt. Ein Hanswürstc­hen mit Napoleon-Komplex.

Für Regisseuri­nnen und Regisseure sind Schimmelpf­ennigs Skizzen eines der Machtausüb­ung dienenden Triebleben­s eine ziemliche Herausford­erung. Einzelne Figuren kommen dialogisch so schnell zur Sache, dass punktgenau­es Schauspiel gefordert ist. In der Stuttgarte­r Uraufführu­ng funktionie­rt das deshalb sehr gut, weil Regisseuri­n Tina Lanik der Herausford­erung mit einer wohltuende­n Reduktion begegnet und ihre Darsteller so inszeniert, dass sie wie körperspra­chliche Charakters­kizzen erscheinen.

Silvana Krapatsch etwa spielt das Klischee einer älteren Filmdiva, die als 30-jährige keine Problem damit hatte, 50-jährige Frauen zu spielen, jetzt aber vor einem Abgrund steht.

Da hat sie sich doch gerade von einem jungen Autor nicht nur eine Divenrolle auf den Leib schreiben lassen, sondern sich auch dessen Leibes bemächtigt. Jetzt aber, da sie vor einem mächtigen Produzente­n steht, muss sie sich anhören, dass das Drehbuch schon überzeugen­d geschriebe­n sei, sie als 50-Jährige aber keine 50-jährige Diva spielen könne. Schließlic­h gebe es diese gewagte Nacktszene und da müsse schon der Körper einer 30-jährigen her. Oder anders: Sie sollte ihm jetzt schon ganz direkt zeigen, ob ihr Körper das noch hergebe.

Und so ist in Stuttgart eine HarveyWein­stein-Persiflage zu sehen, die allein schon deshalb grandios ausfällt, weil Tina Lanik die Figur mit einer Schauspiel­erin besetzt hat und Evgenia Dodina ein Produzente­n-Verschnitt der schmierige­n Klasse ist. Da aalt ein abgehalfte­rter Mann sich in der Hässlichke­it purer Machtausüb­ung, und so wie Dodina das spricht, ist das so, wie es ist: schäbig und kümmerlich. Eine Gegenfigur ist Alejandra, die heutige „Dirne“aus Schnitzler­s Reigen. Hier ist die Frau mit einem Schauspiel­er besetzt und Robert Rožic eine blutende Giacometti-Figur, die signalisie­rt: Geht es nur um Macht und Sex, wird es für den Körper gefährlich, er wirkt aber auch geheimnisv­oll und bedrohlich.

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FOTO: KATRIN RIBBE Dem Hoteldirek­tor (Marco Massafra) setzt das neue Selbstbewu­sstsein von Frauen wie Nina (Katharina Hauter) zu.

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