Trotz Bedarf: Geförderter Wohnraum bleibt manchmal leer
Die Kommunen engagieren sich wieder, mehr Bürger haben Anspruch und dennoch passt es selten zusammen
TUTTLINGEN - „Wohnen ist ein Grundrecht“. Damit macht Jürgen Hau, Diakon und Geschäftsführer der Diakonie im Landkreis Tuttlingen, deutlich, dass jeder „menschenwürdig“wohnen sollte. Zwar haben die Kommunen und der Bund ihre Bemühungen verstärkt. Gerade für einkommensschwache Gruppen ist es aber nicht leicht, eine passende Wohnung zu finden. Das hat viele Gründe.
Mitunter, schreibt Rita Hilzinger, Leiterin der kaufmännischen Abteilung der Tuttlinger Wohnbau, im Jahresbericht 2019, trete die „absurde Situation“ein, dass geförderter Wohnraum in der Kreisstadt leer bleiben müsse. Dies liegt allerdings nicht daran, dass es bereits zu viel sozialen Wohnungsbau in Tuttlingen gebe. Bei der Wohnbau, die als Tochter der Stadt 1997 alle Wohnungen und damit einen Großteil der öffentlich geförderten Räume von der Kommune gekauft hat, sind 282 der 1743 Wohnungen an einen Wohnberechtigungsschein (WBS) gebunden. Viel mehr machten erst die Einkommens-, und jetzt die Wohnungsgrößen die Vermittlung schwer.
Die Zahl der potentiellen Anwärter ist hoch. Seit 2017 sind von der Stadt Tuttlingen insgesamt 513 Wohnberechtigungsscheine ausgestellt worden. Wie viele Menschen insgesamt eine Berechtigung zum günstigeren Wohnen – bei einer Bindung wird die Miete gegenüber den ortsüblichen Zahlungen um bis zu 33 Prozent gesenkt – erhalten haben, kann die Verwaltung nicht sagen. „Die absolute Zahl kennen wir nicht“, sagt Stadtsprecher Arno Specht. Der Wohnberechtigungsschein gelte immer zunächst nur für ein Jahr, müsse – falls er nicht für das Mieten einer Wohnung genutzt wird – neu beantragt werden. Zudem seien die mietgebundenen Wohnungen im Stadtgebiet schon seit Jahren vergeben.
Die jährliche Zunahme der WBSAusstellungen hat auch mit den geänderten Zugangsbedingungen zu tun. „Der Kreis der Berechtigten ist deutlich größer geworden“, sagt Specht. Eine allein lebende Person darf im Vergleich zu 2008 (21 730 Euro) mehr als 30000 Euro mehr verdienen (2021: 51 850 Euro) – und dennoch dürften sie in eine geförderte Wohnung einziehen. Bei einer fünfköpfigen Familie sind es 24 000 Euro mehr (2008: 54 040 Euro; 2021: 78 850 Euro). Allein die Einkommensgrenze würde schon zeigen, dass es sich bei den Personen nicht um Sozialfälle handelt, meint Hilzinger.
„Das ist die Mittelschicht“, sagt sie. Den früher gültigen Begriff der „Sozialwohnung“vermeidet sie. Dieser sei aus heutiger Sicht unberechtigt „negativ belegt.“
Auf diese Tatsache, dass viel mehr Menschen in geförderten Wohnraum einziehen dürften, hat die Stadt Tuttlingen reagiert. Im Jahr 2019 ist die Stadt wieder in den geförderten Wohnungsbau eingestiegen und hat durch einen Gemeinderatsbeschluss festgelegt, dass im Geschosswohnungsbau mindestens 30 Prozent geförderte Mietwohnungen gebaut werden müssen. Bisher sind 21 solcher Quartiere – auf dem Schafrain, in Torhaus Thiergarten und an der alten Feuerwache – entstanden. In den beiden gerade im Bau befindlichen Häusern in der Bodenseestraße werden es 49 von 100 sein.
In der Stadt Spaichingen ist man sich der Lage auch bewusst. Auch wenn es sich quantitativ schwer ausdrücken ließe, sagt Stadtbaumeister Benedikt Schmid, gebe es doch einen Mangel. „Es gibt im Moment in Spaichingen keine freien sozial gebundenen Wohnungen, die mit einem Wohnberechtigungsschein bezogen werden können“, antwortet er schriftlich auf unsere Anfrage. Die Kommune selbst halte zwar einen Bestand an günstigen Wohnungen, die mit fünf bis sechs Euro pro Quadratmeter unter den Mindestanforderungen für sozial gebundenem Wohnraum liege. Neue Wohnungen wären in den vergangenen fünf Jahren, obwohl 37 Wohnberechtigungsscheine ausgestellt wurden, nicht entstanden, sagt er.
Dies kann sich aber ändern. Über Regelungen, wie viel sozialer Wohnungsbau
in neuen Baugebieten entstehen muss, würde in der Stadtplanung und den Gremien ergebnisoffen nachgedacht. Außerdem wolle man eine Datenbank aufbauen, in der Suchanfragen für geförderten Wohnraum erfasst werden könnten, sagt Schmid. Bis in den Herbst soll aber eine Containerwohnanlage gebaut sein, in der „in Not geratene Mitbürger, Obdachlose oder Asylbewerber in der Anschlussunterbringung“leben können.
In Trossingen gibt es aktuell noch 15 gültige WBS. Die Zahl könnte perspektivisch steigen. Die Stadt überlegt, ein großes Baugebiet mit gefördertem Wohnraum zu schaffen. Aktuell gibt es dazu aber keine Regelung. Aus Sicht von Hauptamtsleiter Ralf Sulzmann gebe es sicher einen
Bedarf. „Der Wohnmarkt ist sehr eng. Wir bekommen kaum freie Wohnungen im Sozialbereich gemeldet. Es dürfte mehr auf dem Markt sein“, sagt er. Aktuell unterliegen noch 37 Wohnungen in Trossingen der Mietpreisbindung. Zum Jahr 2025 läuft die Bindung dann für einige Wohnungen aus, sodass dann voraussichtlich nur noch 13 Wohnungen der Mietpreisbindung unterliegen
Auch wenn nicht direkt im sozialen Bereich gebaut werde, sei er doch über jedes Bauvorhaben froh. Das nimmt den Druck. Florian Widmann, Geschäftsführer der Wohnbau Trossingen, teilt mit, dass sein Unternehmen selbst keinen geförderten Wohnungsbau betreibe. Anfragen danach würden ihm nicht vorliegen.
Ein Problem bleibt – wenigstens in
Tuttlingen und wenigstens für die älteren Gebäude. Bei Wohnungen aus den Förderjahrgängen bis 2008 müsse erst einmal jemand gefunden werden, der dort einziehen will, schreibt Hilzinger. Zwar wurden die Einkommensgrenzen den aktuellen Gegebenheiten angepasst. „Die Schwierigkeit bei der Vermietung sind eher die Wohnflächen“, sagt sie. Eine Person darf höchstens 50 Quadratmeter mieten, bei jeder weiteren Person kommen 15 Quadratmeter hinzu. Wer, der bis zu 51 800 Euro verdient, würde denn in eine Wohnung mit 50 Quadratmetern ziehen?, fragt Hilzinger.
In die gleiche Kerbe, die Wohnungsgrößen, allerdings mit anderer Intention schlägt auch Hau. „Wir haben im unteren Bereich, was Miete und Größe der Räume betrifft, eine Lücke“, moniert er, auch wenn der Gemeinderat der LBU die Anstrengung der Stadt zu schätzen weiß. „Im Vergleich zu vor drei, vier Jahren sind wir einen Schritt nach vorne gekommen.“
Problematisch sei vor allem die geringe Zahl der Bestandswohnungen für Inhaber des WBS. Selbst preisgebundene Neuwohnungen könne sich nicht jeder leisten, außerdem werde nicht der Tatsache Rechnung getragen, dass es immer mehr Einzelhaushalte gebe. Für alleinstehende Frauen mit geringer Rente, weiß der Diakon, lohne sich der Umzug aus einer alten großen in eine neue kleine Wohnung kaum. „Das kostet dann gleich viel oder ist teurer“, meint er.
Hau prangert an, dass Investoren in vielen Fällen sehr die „Verdienstspanne“im Auge hätten. Und so würden eher große Wohnungen gebaut, bei denen die Baukosten besser auf den Quadratmeterpreis umgelegt werden könnten, um nicht gleich sehr hochpreisige Räume anbieten zu müssen. „Bei einer Renditeerwartung von mehr als zehn Prozent wird es vermutlich schwierig, sozialen Wohnraum in einem Objekt zu integrieren. Bei einer Renditeerwartung von drei bis fünf Prozent ist ein entsprechender Anteil realisierbar“, sagt Schmid.
Keinesfalls ein „großer Player“im Immobilienbereich ist die Gemeinde Denkingen. Dennoch sorgt sich der 2500-Einwohner-Ort durchaus vorbildlich darum, auch für geringe Einkommen Wohnraum vorzuhalten. Ein altes Bauernhaus wurde aufgekauft und ein Jahr lang saniert. Zehn Wohnungen entstehen darin, deren Bezug „sich jeder leisten“könne, sagt Bürgermeister Rudolf Wuhrer. Zwar seien die Kosten für Kauf und Instandsetzung 1,2 Millionen Euro für die Gemeinde „extrem viel Geld“, man sei aber laufend dabei, weitere Immobilien zu erwerben. Im Jahr 2023 soll ein weiteres Haus dann in geförderten Wohnraum umgebaut werden. „Wir wollen für jeden etwas anbieten. Vom Einfamilienhaus bis zum geförderten Wohnraum. Das ist für den Frieden im Ort wichtig“, sagt Wuhrer.
Alles zum Thema Bauen, Mieten und Wohnen in der Region finden Sie unter
www.schwaebische.de/ zuhause“
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