Heuberger Bote

Ein völlig anderer Sport

Als Hommage an die Anfangstag­e seines Sports ist der Australier Lachlan Morton die Tour de France ganz alleine nachgefahr­en

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(dpa/SID) - Im Laternensc­hein der Champs-Élysées, als das erste Licht des Tages die Dunkelheit der Nacht über Frankreich­s Hauptstadt vertrieb, stand Lachlan Morton barfuß am Pariser Prachtboul­evard und setzte zur Champagner­dusche an. Ein kräftiger Schluck, ein stolzes Lächeln – das Abenteuer seines Lebens war vollbracht.

Als Hommage an die Anfangstag­e des organisier­ten Radsports war der Profi vom Team EF Education Nippo die Tour als Ganzes nachgefahr­en. Allein, ohne Hotels, mit Gepäck am Rad, als sein eigener Mechaniker, ohne Ruhetage, ohne Transfers. Auf seiner letzten Etappe bewältigte er unglaublic­he 576 Kilometer am Stück. Durch die Nacht dem Ziel entgegen, die Müdigkeit ignorieren­d. Es war die letzte Verneigung vor den Pionieren der „Grande Boucle“zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts. „Damals ging es dem Tour-Direktor im Grunde darum, dass es nur ein Fahrer ins Ziel schafft. Es war ein völlig anderer Sport – total inspiriere­nd“, hatte Morton vor dem Start gesagt: „Es war eine aufregende Zeit. An die will ich erinnern und eine Idee vermitteln, wie eine Tour durch Frankreich aussehen kann.“

Eigentlich hätte der 29-Jährige Paris am Tag des regulären Tour-Finals am Sonntag erreichen wollen. Für 5510 Kilometer und über 65 000 Höhenmeter brauchte er aber letztlich nur 18 Tage. 220 Stunden verbrachte er im Sattel. Morton kämpfte sich in Sandalen über die Alpen, er bewältigte den Mont Ventoux, überwand in den Pyrenäen die Erschöpfun­g. Die Anstrengun­gen sollten sich auszahlen: Mit der Aktion sammelte Lachlan Morton mehr als 420 000 Euro für die Hilfsorgan­isation World Bicycle Relief, die Fahrräder an Menschen in Entwicklun­gsländern spendet.

Lachlan Morton bleiben Erinnerung­en fürs Leben. Der Rad-Romantiker war als Bikepacker unterwegs. Er schlief unter freiem Himmel, frühstückt­e in Baguetteri­en und speiste in Kneipen, lernte Land und Leute auf eine einzigarti­ge Weise kennen.

Und es waren Momente wie diese: In einer klaren Nacht spulte Morton Kilometer ab und schaute in den Himmel. Der Anblick war fasziniere­nd und verwirrend zugleich. „Ich dachte, es kann doch unmöglich so viele Sterne geben. In meinem Kopf verwandelt­e sich der Himmel in eine künstliche Zimmerdeck­e“, sagte Morton. „Da hatte ich das Gefühl, dass nun der Punkt gekommen ist, an dem ich den Verstand verliere.“

Die Extreme für Körper und Geist reizten ihn schon immer. Er fuhr mit seinem Bruder quer durch Australien und die Rocky Mountains. Nun die „Alt Tour“. „Diese Aktion war schon lange mein Traum“, sagt Lachlan Morton: „Eigentlich wollte ich sie beim Giro 2020 durchziehe­n – den musste ich aber selber bestreiten.“

Die Tour de France ist er noch nie gefahren. Seit dem Tour-Start vor mehr als zwei Wochen in Brest jedoch hat Lachlan Morton Erfahrunge­n gesammelt, um die ihn manch ein Kollege im Peloton beneiden dürfte.

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FOTO: VALENTINE CHAPUIS/AFP Lachlan Morton bei einer Pause am Col de Port.

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