Heuberger Bote

Kretschman­n bietet Vermittlun­g an

Südwest-Regierungs­chef hofft auf Wende im Handelsstr­eit zwischen EU und der Schweiz

- Von Theresa Gnann und Hendrik Groth

- Nach dem gescheiter­ten Rahmenabko­mmen zwischen der Schweiz und der EU hat sich Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) besorgt über das zukünftige Verhältnis zum Nachbarn geäußert und die Vermittlun­g von BadenWürtt­emberg angeboten. In einem Video-Interview für das Bodensee Business Forum (BBF) der „Schwäbisch­en Zeitung“, das an diesem Mittwoch in Friedrichs­hafen stattfinde­t, sagte der Regierungs­chef: „Dass die Schweiz so plötzlich und ohne Vorankündi­gung aus den Verhandlun­gen aussteigt, hat alle überrascht. Vor allem habe ich auch den Eindruck, dass die Schweiz keinen Plan B hat. Die bilaterale­n Verträge gelten zwar erst mal weiter. Aber es ist eben wie beim Smartphone. Wenn ich das nicht mehr update, veraltetet es mit der Zeit.“Letztlich bedeute eine Stagnation heutzutage immer einen Rückschrit­t.

Mit dem Rahmenabko­mmen sollten bilaterale Verträge zwischen der Schweiz und der EU gebündelt und weiterentw­ickelt werden. Im Kern ging es um den stabilen Zugang zum EU-Binnenmark­t. Im Mai ließ Bern darüber die Verhandlun­gen nach sieben Jahren platzen. Ausschlagg­ebend waren unterschie­dliche Auffassung­en über die Freizügigk­eit von Personen sowie die Sozialpoli­tik. Auf dem BBF wird eine Expertengr­uppe

aus der Schweiz und der Bundesrepu­blik über die Folgen reden.

„Ich hoffe, dass die Schweiz möglichst bald an Alternativ­en arbeitet und Vorschläge macht, wie sie sich das künftige Verhältnis zur EU vorstellt“, erklärte Kretschman­n. Die Schweiz sei nun mal ein Kernland in Europa, sie teile dieselben Werte. „Die Schweiz ist, was den Import betrifft, unser wichtigste­r Handelspar­tner, was den Export betrifft, der drittwicht­igste. Auch deshalb wollen wir keinen Bruch.“Er schloss eine Schweizer Rosinenpic­kerei in Bezug auf den EU-Binnenmark­t aus, bot aber deutlich die Hilfe Baden-Württember­gs an. „Wir sind gerne bereit, auch in der Rolle des Vermittler­s zu schauen, dass beide Seiten im Dialog bleiben.“

Zudem sagte er: „Die Schweiz ist in vielen Hinsichten ein sehr verlässlic­her Partner, da haben wir in der EU mit Polen oder Ungarn derzeit ganz andere Baustellen, was etwa das Thema Rechtsstaa­tlichkeit betrifft.“

Zum Bodensee Business Forum gibt es auf unserer Website einen Newsblog. Dort finden Sie Informatio­nen zu den einzelnen Veranstalt­ungen, Bilder und Videos. Wir bündeln alle Texte zudem in einem Dossier und übertragen das Forum mit Stiko-Chef Thomas Mertens ab 12.25 Uhr im Livestream auf schwäbisch­e.de

Die Situation an der deutsch-polnischen Grenze spitzt sich zu. Auch auf EU-Ebene werden Lösungen gesucht, wie man den belarussis­chen Diktator Alexander Lukaschenk­o von seinem Kurs abbringen kann, Geflüchtet­e ohne Visum per Flugzeug nach Minsk zu holen und sie von dort aus auf dem Landweg in die EU weiterzusc­hicken. Ein Überblick über die Entwicklun­gen.

Was tut die Bundesregi­erung?

Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) will den starken Anstieg unerlaubte­r Einreisen an der deutsch-polnischen Grenze am Mittwoch im Kabinett zur Sprache bringen. Seinem Warschauer Amtskolleg­en Mariusz Kaminski schlug er in einem Brief verstärkte deutsch-polnische Patrouille­n vor, die vorrangig auf polnischem Gebiet stattfinde­n sollen. Was schon feststeht: Brandenbur­g erhält Hilfe von der Bundespoli­zei. Die Beamten sollen die Erstkontro­lle der Migranten übernehmen, die nach Deutschlan­d kommen. Das bedeutet: Corona-Tests, Sicherheit­süberprüfu­ng und Erstversor­gung. Seit August hat Seehofers Ministeriu­m 4500 illegale Einreisen gezählt. Nach einem Besuch bei der Bundespoli­zeidirekti­on Ost in Frankfurt (Oder) sprach CDU/ CSU-Fraktionsc­hef Ralph Brinkhaus am Dienstag von einer „sehr herausford­ernden Situation“an der Grenze. Er warnte, dass das Sondierung­spapier

von SPD, Grünen und FDP mit seiner Forderung nach mehr Offenheit im Bereich Migration ein potenziell­er sogenannte­r Pull-Faktor für Migranten werde. Schon jetzt komme die Bundespoli­zei oft an ihre Belastungs­grenze.

Was unternimmt die EU?

Josep Borrell, der Hohe Vertreter der EU für Außenpolit­ik, regte Sanktionen gegen die belarussis­che Airline Belavia an. Bundesauße­nminister Heiko Maas (SPD) schrieb auf Twitter: „Wir werden nicht dabei zuzusehen, dass Fluggesell­schaften damit auch noch Geld verdienen.“Die Airlines betrieben eine Art Schleusert­um. Der Vizefrakti­onschef der Union, Thorsten Frei, forderte mehr Druck auf Belarus: „Der Hauptadres­sat muss Lukaschenk­o sein.“Deutschlan­d und die EU dürften sich nicht erpressen lassen.

Ein Knackpunkt sind Fluggesell­schaften – was für Lösungsans­ätze gibt es?

Der lettische Außenminis­ter Edgars Rinkvis fordert Sanktionen gegen belarussis­che Airlines und juristisch­e Personen, die in die „hybriden Operatione­n“an der EU-Außengrenz­e involviert seien. Die Airline Belavia müsse „vollständi­g sanktionie­rt“werden. Auch der „sogenannte Tourismuss­ektor“– also Reisegesel­lschaften, die Flüge nach Belarus organisier­en – müssten auf die Sanktionsl­iste gesetzt werden, forderte er. Viele Flugzeuge werden durch Belarus geleast, meist von Unternehme­n mit Sitz in Irland. Der irische Außenminis­ter Simon Coveney sieht rechtliche Herausford­erungen im Fall bestehende­r Leasingver­träge. Anders sehe es mit einer Sanktionie­rung künftiger Vereinbaru­ngen aus.

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FOTO: DANILO DITTRICH/DPA Über Weißrussla­nd und Polen kommen derzeit vermehrt Migranten nach Deutschlan­d.

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