Kretschmann bietet Vermittlung an
Südwest-Regierungschef hofft auf Wende im Handelsstreit zwischen EU und der Schweiz
- Nach dem gescheiterten Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU hat sich Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) besorgt über das zukünftige Verhältnis zum Nachbarn geäußert und die Vermittlung von BadenWürttemberg angeboten. In einem Video-Interview für das Bodensee Business Forum (BBF) der „Schwäbischen Zeitung“, das an diesem Mittwoch in Friedrichshafen stattfindet, sagte der Regierungschef: „Dass die Schweiz so plötzlich und ohne Vorankündigung aus den Verhandlungen aussteigt, hat alle überrascht. Vor allem habe ich auch den Eindruck, dass die Schweiz keinen Plan B hat. Die bilateralen Verträge gelten zwar erst mal weiter. Aber es ist eben wie beim Smartphone. Wenn ich das nicht mehr update, veraltetet es mit der Zeit.“Letztlich bedeute eine Stagnation heutzutage immer einen Rückschritt.
Mit dem Rahmenabkommen sollten bilaterale Verträge zwischen der Schweiz und der EU gebündelt und weiterentwickelt werden. Im Kern ging es um den stabilen Zugang zum EU-Binnenmarkt. Im Mai ließ Bern darüber die Verhandlungen nach sieben Jahren platzen. Ausschlaggebend waren unterschiedliche Auffassungen über die Freizügigkeit von Personen sowie die Sozialpolitik. Auf dem BBF wird eine Expertengruppe
aus der Schweiz und der Bundesrepublik über die Folgen reden.
„Ich hoffe, dass die Schweiz möglichst bald an Alternativen arbeitet und Vorschläge macht, wie sie sich das künftige Verhältnis zur EU vorstellt“, erklärte Kretschmann. Die Schweiz sei nun mal ein Kernland in Europa, sie teile dieselben Werte. „Die Schweiz ist, was den Import betrifft, unser wichtigster Handelspartner, was den Export betrifft, der drittwichtigste. Auch deshalb wollen wir keinen Bruch.“Er schloss eine Schweizer Rosinenpickerei in Bezug auf den EU-Binnenmarkt aus, bot aber deutlich die Hilfe Baden-Württembergs an. „Wir sind gerne bereit, auch in der Rolle des Vermittlers zu schauen, dass beide Seiten im Dialog bleiben.“
Zudem sagte er: „Die Schweiz ist in vielen Hinsichten ein sehr verlässlicher Partner, da haben wir in der EU mit Polen oder Ungarn derzeit ganz andere Baustellen, was etwa das Thema Rechtsstaatlichkeit betrifft.“
Zum Bodensee Business Forum gibt es auf unserer Website einen Newsblog. Dort finden Sie Informationen zu den einzelnen Veranstaltungen, Bilder und Videos. Wir bündeln alle Texte zudem in einem Dossier und übertragen das Forum mit Stiko-Chef Thomas Mertens ab 12.25 Uhr im Livestream auf schwäbische.de
Die Situation an der deutsch-polnischen Grenze spitzt sich zu. Auch auf EU-Ebene werden Lösungen gesucht, wie man den belarussischen Diktator Alexander Lukaschenko von seinem Kurs abbringen kann, Geflüchtete ohne Visum per Flugzeug nach Minsk zu holen und sie von dort aus auf dem Landweg in die EU weiterzuschicken. Ein Überblick über die Entwicklungen.
Was tut die Bundesregierung?
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) will den starken Anstieg unerlaubter Einreisen an der deutsch-polnischen Grenze am Mittwoch im Kabinett zur Sprache bringen. Seinem Warschauer Amtskollegen Mariusz Kaminski schlug er in einem Brief verstärkte deutsch-polnische Patrouillen vor, die vorrangig auf polnischem Gebiet stattfinden sollen. Was schon feststeht: Brandenburg erhält Hilfe von der Bundespolizei. Die Beamten sollen die Erstkontrolle der Migranten übernehmen, die nach Deutschland kommen. Das bedeutet: Corona-Tests, Sicherheitsüberprüfung und Erstversorgung. Seit August hat Seehofers Ministerium 4500 illegale Einreisen gezählt. Nach einem Besuch bei der Bundespolizeidirektion Ost in Frankfurt (Oder) sprach CDU/ CSU-Fraktionschef Ralph Brinkhaus am Dienstag von einer „sehr herausfordernden Situation“an der Grenze. Er warnte, dass das Sondierungspapier
von SPD, Grünen und FDP mit seiner Forderung nach mehr Offenheit im Bereich Migration ein potenzieller sogenannter Pull-Faktor für Migranten werde. Schon jetzt komme die Bundespolizei oft an ihre Belastungsgrenze.
Was unternimmt die EU?
Josep Borrell, der Hohe Vertreter der EU für Außenpolitik, regte Sanktionen gegen die belarussische Airline Belavia an. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) schrieb auf Twitter: „Wir werden nicht dabei zuzusehen, dass Fluggesellschaften damit auch noch Geld verdienen.“Die Airlines betrieben eine Art Schleusertum. Der Vizefraktionschef der Union, Thorsten Frei, forderte mehr Druck auf Belarus: „Der Hauptadressat muss Lukaschenko sein.“Deutschland und die EU dürften sich nicht erpressen lassen.
Ein Knackpunkt sind Fluggesellschaften – was für Lösungsansätze gibt es?
Der lettische Außenminister Edgars Rinkvis fordert Sanktionen gegen belarussische Airlines und juristische Personen, die in die „hybriden Operationen“an der EU-Außengrenze involviert seien. Die Airline Belavia müsse „vollständig sanktioniert“werden. Auch der „sogenannte Tourismussektor“– also Reisegesellschaften, die Flüge nach Belarus organisieren – müssten auf die Sanktionsliste gesetzt werden, forderte er. Viele Flugzeuge werden durch Belarus geleast, meist von Unternehmen mit Sitz in Irland. Der irische Außenminister Simon Coveney sieht rechtliche Herausforderungen im Fall bestehender Leasingverträge. Anders sehe es mit einer Sanktionierung künftiger Vereinbarungen aus.