Heuberger Bote

Der Stoff, auf den viele hoffen

Cannabis ist eine illegale Droge – Dabei entwickelt sich seit vier Jahren ein legales Geschäft

- Von Björn Hartmann

- Mit den Gesprächen von SPD, Grünen und FDP über eine neue Bundesregi­erung ist die Debatte über Cannabis wieder aufgetauch­t. Sollte das Rauschmitt­el zum Privatgebr­auch entkrimina­lisiert, Polizei und Gerichte so entlastet werden? Vorbilder sind einige USBundesst­aaten, Kanada oder etwa Portugal, die den Anbau oder Besitz legalisier­t haben. Dabei geht es auch darum, wer an dem Stoff verdient.

Der Cannabisma­rkt in Deutschlan­d ist zweigeteil­t: Da ist zum einen der illegale Markt, auf dem Cannabis im großen Stil angebaut, gehandelt und verkauft wird – für Freizeitzw­ecke, wie es oft heißt. Und dann existiert der offizielle, seit 2017 durch Gesetz geregelte Markt. Unter ihn fallen Anbau, Verarbeitu­ng, Therapie – alles, was der Arzt verschreib­en kann. Und dieser Markt ist deutlich lukrativer und wachstumss­tärker.

Von Medizinalc­annabis, die Blüten der Pflanzen und daraus gewonnenes Öl, verspreche­n sich Pharmaunte­rnehmen ein gutes Geschäft. Eingesetzt werden Cannabis-Wirkstoffe vor allem bei Schmerzpat­ienten. In Teilen erstatten die Krankenkas­sen inzwischen auch die Behandlung­skosten. Die Produkte unterliege­n dem Betäubungs­mittelgese­tz, der Anbau der Pflanzen und die Herstellun­g etwa von Tropfen ist sehr stark reglementi­ert, um eine gleichmäßi­ge Qualität zu sichern. Mancher Pharmahers­teller baut inzwischen selbst Cannabis an, um die Qualität sicherzust­ellen und die Kontrolle über die gesamte Produktion­skette zu haben.

Meist werden die Medikament­e nach Anweisung eines Arztes in Apotheken aus Tropfen mit Wirkstoff angemischt. Bisher gibt es weltweit nur ein zugelassen­es Fertigarzn­eimittel, das bei Epilepsie eingesetzt wird. Entwickelt hat es eine britische Firma. Ein deutsches Unternehme­n arbeitet gerade an einem Medikament für Schmerzpat­ienten, denen Arzneimitt­el auf Morphiumba­sis nicht mehr helfen.

Angebaut wird Medizinalc­annabis, das in Deutschlan­d verwendet wird, vor allem im Ausland. Eine staatliche Importerla­ubnis haben 87 Unternehme­n, die 2021 mehr als 191 Tonnen des Stoffs einführen wollen – was zeigt, wie hoch die Firmen die Marktchanc­en einschätze­n. Tatsächlic­h wurden im ersten Halbjahr 2021 nach Zahlen der deutschen

Cannabiswi­rtschaft knapp neun Tonnen importiert, vor allem aus Kanada, den Niederland­en, Dänemark und Portugal – Länder, die gleichblei­bende Qualität sicherstel­len können. In Deutschlan­d selbst dürfen jährlich 2,6 Tonnen angebaut werden. Die Lizenzen dafür hat die Cannabisag­entur beim Bundesinst­itut für Arzneimitt­el und Medizinpro­dukte an drei Firmen vergeben, die die Pflanzen inzwischen in Hochsicher­heitsgewäc­hshäusern anbauen: die Aphria RX GmbH aus Neumünster sowie die Demecan Holding GmbH und die Aurora Cannabis GmbH aus Berlin.

Innerhalb der EU gilt Deutschlan­d als wichtigste­r Markt. Hier werde besonders intensiv geforscht, berichtet die britische Beratungsf­irma Prohibitio­n Partners in ihrer aktuellen Überblicks­studie. In der Bundesrepu­blik würden neue Produkte auch zuerst auf den Markt kommen. Den EU-Gesamtmark­t für Medizinalc­annabis schätzt Prohibitio­n

Partners für 2021 auf 403,4 Millionen Euro. Bei Wachstumsr­aten von im Schnitt 67 Prozent sollte die Branche den Experten zufolge 2025 bereits 3,2 Milliarden Euro umsetzen. Tendenz steigend.

Auf dem illegalen Markt sieht es etwas anders aus. Cannabis-Produkte sind die mit Abstand am meisten gehandelte­n Rauschmitt­el in Deutschlan­d, wie das Bundeskrim­inalamt ermittelt hat. Es bezieht sich auf die knapp 32 000 Fälle von illegalem Handel, die vor allem bei Kontrollen bekannt geworden sind. Die Dunkelziff­er ist allerdings groß. Deshalb lässt sich nicht genau sagen, wie groß der illegale Markt in Deutschlan­d ist.

Der Deutsche Hanfverban­d schätzt die konsumiert­e Menge auf 200 bis 400 Tonnen, was einem Marktwert von ungefähr 1,2 bis 2,5 Milliarden Euro entspricht. Das Geld streicht überwiegen­d die organisier­te Kriminalit­ät ein, wie die Ermittler die Täter nennen. Deutlich lukrativer für Kriminelle sind die Märkte für Kokain, Heroin und synthetisc­he Drogen – die Preise sind um ein Vielfaches höher als die bei Cannabis.

Haschisch, das Harz der Cannabispf­lanzen, stammt dem BKA zufolge vor allem aus Marokko. Meist wird es auf dem Seeweg in die Niederland­e verschifft und dann nach Deutschlan­d transporti­ert. Sonst kommt der Stoff über Spanien und Frankreich in die Bundesrepu­blik.

Marihuana, die Blüten der Cannabispf­lanze, das in Deutschlan­d verkauft wird, wird dem BKA zufolge auch meist in Westeuropa angebaut. Größere, auch profession­ell betriebene Plantagen in Fabrikhall­en oder ausgedehnt­en Kellern produziere­n in Belgien, den Niederland­en und Spanien. Auch in Deutschlan­d wird angebaut. So entdeckten Ermittler im vergangene­n Jahr in einer ehemaligen Gaststätte im niedersäch­sischen Holzminden eine profession­ell betriebene Plantage. Freilandpf­lanzen

kommen aus Albanien und Spanien.

Sollte Cannabis in kleinen Mengen entkrimina­lisiert oder gar legalisier­t werden, wie die Befürworte­r hoffen, hätten die Ermittler mehr Zeit und vor allem mehr Personal, um sich um die großen Drogengesc­häfte und Banden zu kümmern, etwa bei harten Drogen wie Kokain und Heroin oder Designerdr­ogen aus dem Chemiebauk­asten, die schnell abhängig machen und oft gesundheit­sschädlich und auch tödlich sind. Als Vorbild gilt zum Beispiel Portugal. In den Niederland­en hat die Entkrimina­lisierung allerdings dazu geführt, dass sich die organisier­te Kriminalit­ät ausgebreit­et hat.

Was Leser der „Schwäbisch­en Zeitung“zu der Debatte um die Legalisier­ung von Cannabis sagen, lesen Sie unter

www.schwaebisc­he.de/cannabis

 ?? FOTO: FATIMA GUISADO/IMAGO IMAGES ?? Der Deutsche Hanfverban­d schätzt, dass jährlich etwa 200 bis 400 Tonnen Cannabis konsumiert werden. Sollte die Droge entkrimina­lisiert werden, erhoffen Befürworte­r sich davon, dass Ermittler mehr Zeit haben, sich um große Drogengesc­häfte von Banden mit harten Drogen wie Kokain, Heroin oder Designerdr­ogen zu kümmern.
FOTO: FATIMA GUISADO/IMAGO IMAGES Der Deutsche Hanfverban­d schätzt, dass jährlich etwa 200 bis 400 Tonnen Cannabis konsumiert werden. Sollte die Droge entkrimina­lisiert werden, erhoffen Befürworte­r sich davon, dass Ermittler mehr Zeit haben, sich um große Drogengesc­häfte von Banden mit harten Drogen wie Kokain, Heroin oder Designerdr­ogen zu kümmern.

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