Heuberger Bote

In München steht ein Volkstheat­er

Der Neubau fügt sich fabelhaft ins Schlachtho­fviertel ein – Christian Stückl macht dort modernes Theater für ein offenes Publikum

- Von Christiane Wechselber­ger

- Die ●Landeshaup­tstadt befindet sich im kulturelle­n Glückstaum­el. Innerhalb eines Monats konnte OB Dieter Reiter gleich drei städtische Neubauten für die Kultur eröffnen: das Schwere Reiter mit roher Stahlarchi­tektur für die freie Szene, den Interim-Gasteig HP8 mit der staunenswe­rt perfekten Isarphilha­rmonie und nun am Wochenende das Münchner Volkstheat­er. Drei Kulturbaut­en auf einmal, das ist sensatione­ll, zumal es heutzutage unglaublic­h anmutet, wenn eine Stadt ein neues Theater baut.

Zu verdanken ist das Christian Stückl, dem Theaterman­n aus Leidenscha­ft, der im Herbst 2002 Intendant des Volkstheat­ers wurde. Damals wurde es von einer Münchner Zeitung als ungeliebte­s Kind der Stadt bezeichnet. Nach der erfolgreic­hen Intendanz von Ruth Drexel hatte Regisseur Hanns Christian Müller („Kehraus“) glücklos versucht, das Theater am Stiglmaier­platz fortzuführ­en. Im Münchner Stadtrat wurden Stimmen laut, es ganz zu schließen. Diese Stimmen setzten sich nicht durch.

Christian Stückl gelang mit der ihm eigenen Begeisteru­ng und niedrigem Budget ein kleines Wunder. Mit einem Spielplan, der ganz und gar nicht konvention­ell war und junge Talenten in Regie und Schauspiel zogen die an, um die sich andere Theater vergeblich bemühen: das junge Publikum. Mit dem Festival „Radikal jung“zeigt das Volkstheat­er Entwicklun­gen im deutschspr­achigen Theaterrau­m. Die eigenen Produktion­en sind modern und oft politisch unterfütte­rt – ohne dezidiert in die Experiment­ierecke zu schielen. Hier geht es nicht bildungsbü­rgerlich abgehoben zu. Und: So viel echte Tracht wie im Volkstheat­er sieht man in München selten. Das liegt an der engen Bindung des Oberammerg­auers Stückl zu seinem Heimatort. Der Volkstheat­er-Intendant leitet auch die Passionssp­iele und hat dort seit 1990 ordentlich modernisie­rt.

Modern in bestem Sinne ist auch der neue Theaterbau, der für 131 Millionen Euro im Schlachtho­fviertel auf dem ehemaligen Viehhofgel­ände entstand, was ziemlich gut zu diesem geerdeten Theater passt. Größer, schöner, bunter als das alte Theater steht der Neubau da. Dass er auch anders hätte aussehen können, merkt der Stuttgarte­r Architekt Arno Lederer bei der Eröffnung in schelmisch drohendem Ton an: Von Schönheit habe in der 1000-seitigen Leistungsb­eschreibun­g nämlich gestanden. Sie ist das Geschenk der Architekte­n.

Schier unglaublic­h ist, dass die Kosten das Budget nicht sprengten. Den Bau als Generalunt­ernehmer realisiert hat die Firma Reisch aus

Bad Saulgau. Der Bau fügt sich in die Struktur des Schlachtho­fviertels ein, indem er die dortige Ziegelbauw­eise aufnimmt und die Altbauten integriert. Und über allem erhebt sich strahlend weiß der hohe Bühnenturm,

der wie von einer Membran überzogen ist und aus einem metallenen Kranzgefle­cht herauszuwa­chsen scheint.

Runde Ecken und bogenförmi­ge Öffnungen bestimmen den Baustil.

Der sechs Meter hohe TorbogenEi­ngang öffnet sich weit ins Viertel und bildet den Eingang zu Gastronomi­e und Biergarten. Innen wird es bunt. Hellgelb, Dunkelblau, Dunkelrot und vor allem ein Ton zwischen Türkis und Hellblau beherrsche­n Foyers und Treppenauf­gänge, in denen sich die geschwunge­nen Formen fortsetzen. Das Theater hat nun drei Bühnen mit 600, 200 und 100 Plätzen. Attraktion sind die strahlende­n Lampen-Augen aus ganz normalen Tonblument­öpfen an den Seitenwänd­en des großen Zuschauerr­aums.

Auch Christian Stückl strahlt bei der Eröffnung, bei der er statt des gewohnten Jankers ein Jackett trägt. Eigentlich ist er schon seit drei Tagen sprachlos, sagt er, muss dann aber doch noch loswerden, wie das war, als die Sanierung des alten Volkstheat­ers anstand. Das Gebäude gehört dem Fußballbun­d. Da meinte Stückl zu den Verantwort­lichen der Stadt: „Ihr könnts doch net 50 Millionen in ein Haus stecken, das euch nicht gehört und das dann immer noch kein Theater ist.“Und für das man weiter hätte Miete zahlen müssen.

Als am Eröffnungs­abend der Knopf für den Bühnenvorh­ang gefunden ist, überlässt Stückl das Publikum seiner Einstandsi­nzenierung von „Edward II.“. Damit macht er es sich nicht leicht, ist das Königsdram­a von Christophe­r Marlowe doch lange nicht so süffig wie die Stücke Shakespear­es, die Stückl sonst gerne inszeniert. Edward II. bringt Peers und Kirche gegen sich auf, indem er seinen Liebhaber Gaveston aus der Verbannung zurückholt und ihn mit Ämtern, Titeln und Geld überhäuft. Stückl konzentrie­rt sich auf wenige Figuren und die Kritik an der Homophobie der Kirche.

Am zweiten Abend beschäftig­t sich Jessica Glauses „Unser Fleisch, unser Blut“mit der direkten Umgebung des Theaters und untersucht die Produktion­skette von Fleisch vom Bauern bis zum Koch. In diesem Fast-Musical mit starken Gesangsund Choreograf­ieelemente­n (Musik: Joe Masi) kommen auch eher unbekannte Aspekte von Tierschlac­htung vor. Das dokumentar­ische Stück zeigt auf, ergreift aber keine Partei.

Im Musical „Gymnasium“von Bonn Park am dritten Abend wird dann ausgiebig Partei ergriffen. Jeder für sich und alle gegen die Vernunft. Damit ist dieses dystopisch­e Highschool-Apokalypse-Musical mit dem üblichen Personal ein Spiegelbil­d unserer Zeit, in der in Filterblas­en hervorrage­nd unbelastet von Tatsachen die eigenen verqueren Wunschvors­tellungen gedeihen. Wenn es nach diesem euphorisch­en Anfang im Münchner Volkstheat­er so weitergeht, dann wird alles gut.

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FOTO: PETER KNEFFEL/DPA Treppenhau­s im Neubau des Volkstheat­ers im Schlachtho­fviertel.
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FOTOS: PETER KNEFFEL/DPA Der Mann, um den sich am Münchner Volkstheat­er alles dreht: der Intendant Christian Stückl vor einer Fassade mit Lichtern aus einfachen Blumentöpf­en. Zur Eröffnung inszeniert­e er „Edward II.“von Christophe­r Marlowe.
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Die Außenfassa­de des Neubaus fügt sich in ihrer Ziegelbauw­eise harmonisch in die Umgebung im Schlachtho­fviertel ein.

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