Uneinigkeit beim atomaren Schutzschirm
Äußerungen aus den Ampel-Parteien lösen bei Sicherheitsexperten Besorgnis aus
– Gehört Deutschlands Beitrag zur nuklearen Abschreckung bald der Vergangenheit an? An dieser Frage hat sich neuer Streit entzündet, der auch auf die Koalitionsverhandlungen von SPD, Grünen und FDP zurückwirkt.
Ein erstes Indiz dafür waren die Reaktionen auf ein Interview der scheidenden Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU). Darin hatte sie zur Atomwaffenstrategie der Nato erklärt: „Wir müssen Russland gegenüber sehr deutlich machen, dass wir am Ende – und das ist ja auch die Abschreckungsdoktrin – bereit sind, auch solche Mittel einzusetzen.“
Bei Außenpolitikern aus SPD und Grünen stieß diese klare Ansage auf heftige Kritik. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich warf der Ministerin vor, an der Eskalationsschraube mit Russland zu drehen. „Ich appelliere an Frau Kramp-Karrenbauer, die Politik einer neuen Bundesregierung nicht zu belasten", sagte er im „Spiegel“. Ex-Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin erklärte sich via Twitter einig mit Mützenich. Und ging sogar noch weiter. Er warf Kramp-Karrenbauer vor, Erstschlagszenarien zu entwerfen. „Hier wurde eine Grenze überschritten, die nicht einmal im Kalten Krieg diskutabel war.“
Die Ablehnung der nuklearen Abschreckung durch die beiden steht im Einklang mit ihren Wahlprogrammen. In jenem der SPD ist vom „Ziel, die in Europa und in Deutschland stationierten Atomwaffen endlich abzuziehen und zu vernichten“die Rede, bei den Grünen von den „veralteten Abschreckungsdoktrinen des Kalten Krieges“. Mützenich hatte noch 2020 erklärt: „Atomwaffen auf deutschem Gebiet erhöhen unsere Sicherheit nicht, im Gegenteil. Es wird Zeit, dass Deutschland die Stationierung zukünftig ausschließt.“Diese Haltung ist in der SPD aber umstritten. SPD-Außenminister Heiko Maas hat sich zur deutschen Beteiligung an der nuklearen Abschreckung der Nato bekannt.
Was das für die Koalitionsgespräche bedeutet, ist noch unklar. Die Verhandler aus den Koalitions-Arbeitsgruppen wollen sich nicht dazu äußern. Bei der FDP sieht man solche Gedankenspiele jedoch skeptisch.
Sicherheitsexperten befürchten den deutschen Ausstieg aus dem nuklearen Schutzschirm der Nato. Der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, warnte: „Den Polen ziehen wir sicherheitspolitisch den Teppich unter den Füßen weg, wenn Deutschland aus der nuklearen Abschreckung
aussteigt.“In der Folge könnte Polen darauf bestehen, dass die 20 in Deutschland lagernden Atombomben nach Polen verlegt würden, um die Abschreckung gegenüber Moskau zu erhalten. Das wiederum würde Russland provozieren. In den 1980er-Jahren waren noch 7000 Atomwaffen in beiden Teilen Deutschlands stationiert.
Der bisherige Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Norbert Röttgen (CDU) sagte: „Abschreckung muss glaubwürdig sein, sonst verfehlt sie ihren Zweck.“
Das Thema ist in den Koalitionsverhandlungen deshalb von Belang, weil die Bundeswehr in den kommenden Jahren Nachfolgejets für die jahrzehntealten amerikanischen Tornado-Kampfflugzeuge beschaffen muss. Für das Tragen der USAtombomben müssen diese Jets spezielle Anforderungen erfüllen – oder könnten eben keine Bomben befördern.