Und morgens grüßt das Murmeltier
In den Tälern des Piemonts finden Wanderer trotz Abgeschiedenheit eine gute Infrastruktur
Da steht es, das putzige Kerlchen und lässt sich die Morgensonne auf den Pelz scheinen. Aus sicherer Entfernung blickt das Murmeltier neugierig nach links, nach rechts, nach vorne. Man könnte sich einbilden, es fände den Wanderer genauso interessant wie umgekehrt. Diese Begegnung der tierischen Art ist eine schöne Belohnung für das frühe Aufstehen und die ersten Höhenmeter. Zugegeben, vom Rifugio Pian della Regina auf 1800 Metern über Normalnull ist der Wanderer durchaus in der Poleposition, wenn es um zeitige Touren im Monviso-Gebiet an der Grenze zwischen Italien und Frankreich geht. Die Gegend im Valle Po am westlichen Rand des Piemonts rühmt sich, abseits des Massentourismus zu liegen, aber dennoch über eine gute Infrastruktur zu verfügen. Dazu zählt nicht nur eine verlässliche Ausschilderung der Touren, sondern auch die Vielfalt an Übernachtungsmöglichkeiten.
Wer bei Rifugio nur an Schutzhütte, Matratzenlager, kaltes Wasser und Selbstversorgung denkt, dem sei versichert, dass das Rifugio Pian della Regina neben Mehrbettzimmern auch alle Annehmlichkeiten einer modernen Berghütte liefert – Komfortzimmer und fleißiges Küchenpersonal auf Wunsch inklusive. Kaum ist der Schlaf aus den Augen gerieben, kann – noch gestärkt von der mit Käse vermischten Polenta vom Vorabend – auch schon der Rucksack geschultert werden und das Abenteuer in den Cottischen Alpen beginnen. Wäre da nur nicht eine verschlossene Tür im Weg. Zu so früher Uhrzeit geht es nämlich nicht durch den Haupt-, sondern durch den Nebeneingang hinaus ins Freie. Ein Schild weist die Wanderer darauf hin.
Draußen geht es zunächst hinunter an den Po, den längsten italienischen Fluss, der hier noch den Charakter eines breiten Bachs hat. Auf der anderen Flussseite führt die Route V13 in breiten Serpentinen gemächlich durch viel Grün nach oben. Immer mal wieder haben sich große Felsbrocken gelöst. Mit der Zeit wird der Weg schmaler, felsiger und abwechslungsreicher. Auf 2261 Metern ist dann der Lago Chiaretto erreicht. Geformt durch Gletscheraktivität leuchtet er in einem auffallenden Mix aus türkis-blau-grün. Vermutlich haben die Erfinder des Eisbonbons diese kühle Ausstrahlung als Inspiration für ihre Leckerei genommen.
Majestätisch ragt dahinter der schroffe Monviso mit 3841 Metern in die Höhe. Ganz so weit wird die heutige Tour im Piemont wohl nicht führen. Aber: Noch ist der höchste Punkt des Tages nicht erreicht. Der Lago Lausetto auf 2324 Metern ist noch drin. In 30 Minuten überschaubarer Anstrengung wartet der klare Bergsee. Alles in allem sammeln sich um die 20 Seen um den Monviso herum. Genug der Höhenmeter, vom Lago Lausetto beginnt der Abstieg. Das nächste Ziel ist der wohl meistbesuchte See der Region: der Lago Fiorenza. Um zu ihm zu gelangen, geht es zunächst zum Lago Chiaretto hinunter, dann zweigt ein halbstündiger Weg links ab. Schon von hoch oben eröffnet sich ein guter Blick auf das 2,5 Hektar große und bis zu 15 Meter tiefe kühle Nass. In dieser Umgebung fühlen sich Grasfrosch und Alpensalamander wohl, lässt sich auf einer Tafel nachlesen.
Der Abstieg führt weiter an die Quelle des Po. Hier entspringt also der längste italienische Fluss. Auf seiner Reise von West nach Ost in die Adria schlängelt er sich auf einer Länge von 652 Kilometern. An dieser Stelle jedoch lässt sich der später so breite Strom mit nur wenigen Schritten überqueren.
Rund 40 Kilometer östlicher und 1625 Höhenmeter weiter unten, soll es auch im Städtchen Saluzzo hoch hinaus gehen. Ganze 130 Stufen, um genau zu sein. Das Ziel: der Torre Civica. Der 48 Meter hohe Turm am alten Rathaus dient als Sinnbild der bürgerlichen Kräfte, unabhängig vom Einfluss der Religion und der Markgrafen. Oben auf der Kupferkuppel machen dies das Wappen von Saluzzo, eine Wetterfahne und ein
Adler deutlich. Mit dem Bau wurde vor bald 600 Jahren begonnen. Der Aufstieg auf den Turm lohnt: Von der Aussichtsplattform eröffnet sich ein traumhafter Blick auf die Altstadt, die weite Ebene und die Alpen. Unterhalb des Meers aus roten Ziegeldächern muss sich ein Gewirr von Gassen befinden. Zur Orientierung dient in direkter Nachbarschaft zunächst der Turm der Kirche San Giovanni. Auf einem quadratischen Grundriss erhebt er sich mit etlichen Reihen an zweibogigen Fenstern. Obendrauf thront eine achteckige Spitze, umgeben von vier Zinnen. Auch nur einen Steinwurf entfernt ist La Castiglia, die einstige Residenz der Markgrafen von Saluzzo, die später zu einem Gefängnis wurde. Hier sind heute zwei Museen und ein Restaurant untergebracht. Von der Unterstadt sticht der Turm der Cattedrale di Maria Assunta heraus. Und da, ganz in der Ferne: Kann das der Monviso sein?
Weitere Informationen über das Piemont unter www.visitpiemonte.com und über Saluzzo (auf Englisch) unter https://visitsaluzzo.it
Die Recherche wurde unterstützt von Hauser Exkursionen, www.hauser-exkursionen.de