Heuberger Bote

„Es wäre ein falsches Signal, diese Menschen zu holen

Baden-Württember­gs CDU-Fraktionsc­hef Hagel zur Lage an der EU-Außengrenz­e und Plänen der Ampel-Koalition

- Von Katja Korf

- Angesichts der steigenden Zahl von Asylanträg­en warnt Baden-Württember­gs CDU-Fraktionsc­hef Manuel Hagel davor, die Aufnahmeka­pazität Deutschlan­ds für Migranten zu überschätz­en. „Schon jetzt fehlen zudem Plätze in unseren Landeserst­aufnahmest­ellen“, sagte Hagel. „Wir dürfen unsere Gesellscha­ft nicht überforder­n. Eine Polarisier­ung wie 2015 müssen wir unbedingt verhindern, gerade in der jetzigen Lage, in der uns die CoronaPand­emie sehr viel abverlangt.“

Die neue Ampel-Koalition im Bund will die Migrations­politik neu gestalten. Was halten Sie davon?

Leider setzt die künftige Bundesregi­erung in der Asylpoliti­k im Jahr 2002 an. SPD, Grüne und FDP scheinen die Zeit ab 2015 vergessen zu haben. Dabei haben wir in dieser Zeit viel geleistet, aber wir sollten eigentlich auch viel gelernt haben aus dem Umgang mit einer großen Zahl von Asylsuchen­den. Stattdesse­n tut die Ampel-Koalition nun so, als wären wir in derselben Situation wie vor 2015.

Was meinen Sie damit?

Wir stehen heute vor der Situation, dass der Migrations­druck an den EUAußengre­nzen zunimmt. Und wenn es so weitergeht, wird das noch größere Ausmaße annehmen als 2015 und 2016. Dazu trägt im Übrigen auch der Klimawande­l bei. Seine Auswirkung­en sind in vielen Teilen der Welt wie in Afrika massiv zu spüren und bedrohen die Lebensgrun­dlagen der Menschen dort. Doch in Europa haben wir heute eine andere Situation als im Jahr 2015. Die Corona-Pandemie stellt uns vor große Herausford­erungen. Schon dadurch sind die Aufnahmeka­pazitäten begrenzter als 2015, auch viele Kommunen

in Baden-Württember­g signalisie­ren das ja bereits. Mir ist es sehr wichtig, dass wir fair mit unseren Kommunen umgehen – sowohl in finanziell­er Hinsicht, als auch was deren Aufnahmemö­glichkeite­n angeht. Die Zahl der Erstanträg­e ist im Jahresverl­auf um 55 Prozent gestiegen. Schon jetzt fehlen zudem Plätze in unseren Landeserst­aufnahmest­ellen, die wir angesichts der CoronaPand­emie ohnehin nicht voll belegen können.

Deutschlan­d sollte also keine Flüchtige etwa aus Belarus aufnehmen, trotz der drastische­n Lage an der Grenze zu Polen?

Wir sehen derzeit ohne Frage eine menschlich­e Tragödie an der EU-Außengrenz­e zwischen Belarus und Polen. Da wurden Menschen mit Touristenv­isa angelockt und werden nun als politische­s Druckmitte­l missbrauch­t. Wir dürfen nicht wegschauen – auch Baden-Württember­g nicht. Humanitäre Hilfe mit Zelten, Decken und allem was dazugehört muss hier eine Selbstvers­tändlichke­it sein. Es gilt aber auch, Solidaritä­t mit unserem EU-Partner Polen zu üben, trotz aller Differenze­n, die wir mit der polnischen Regierung derzeit haben. Das heißt: Wir müssen Polen bei der Sicherung der EU-Außengrenz­e unterstütz­en, notfalls auch mit Landespoli­zisten aus Baden-Württember­g. Denn sichere Außengrenz­en sind der Garant für die Freizügigk­eit innerhalb der EU. Gleichzeit­ig brauchen wir mehr Druck auf Fluglinien und deren Staaten, Migranten nicht mehr nach Belarus zu fliegen und wir müssen dafür Rechnung tragen, dass Belarus seine freizügige Visavergab­e an Migranten einstellt. Es wäre aber ein ganz falsches Signal, diese Menschen nun hierher zu holen.

Warum?

Es geht nicht um Gesinnungs­ethik, sondern um Verantwort­ung. Die EU muss doch mehr sein als ein Wirtschaft­sraum, wir müssen gemeinsam unsere Werte vertreten und uns nicht instrument­alisieren lassen von Diktatoren wie dem belarussis­chen Präsidente­n Lukaschenk­o. Er setzt Menschen als Druckmitte­l ein, und Erdogan und Putin beobachten das sehr genau. Wir dürfen uns von dieser Art der hybriden Kriegsführ­ung nicht erpressen lassen. Wir müssen vor Ort helfen, aber klar machen, dass die EU mit einer Stimme spricht und auch reagiert. Wir erleben ein Rendezvous mit der Globalisie­rung und der Digitalisi­erung. Wenn wir jetzt Menschen illegal in die EU lassen, sehen das via Internet und Smartphone viele Millionen überall auf der Welt. Solche Pull-Effekte gilt es zu vermeiden.

Wo sehen Sie die Gefahr?

Die Ampel-Koalition vermischt die Frage der Fachkräfte­einwanderu­ng mit der Frage des Asylrechts, das Menschen vor Verfolgung und Gewalt schützen soll. Durch die Ausdehnung des Bleiberech­ts auf Menschen, die illegal nach Deutschlan­d eingereist sind oder die keinen Anspruch auf Asyl haben, werden falsche Anreize gesetzt. Wir belohnen damit die illegale Einreise nach Deutschlan­d. Gleichzeit­ig müssen wir uns in Deutschlan­d ehrlich sagen, wieviel Migration wir wollen. Seit 2015 sind die Themen Asyl und Flüchtling­e in nahezu allen demoskopis­chen Befragunge­n unter den Top 5 der wichtigste­n Themen für die Menschen. Allerdings wird im politische­n Raum kaum darüber gesprochen – auch im Wahlkampf nicht. Wir dürfen uns als Demokraten hier nicht wegducken.

Viele Unternehme­n wünschen sich doch, das gut Integriert­e hier bleiben dürfen.

Das verstehe ich gut. Viele unsere Handwerksb­etriebe und Mittelstän­dler haben Asylsuchen­de angestellt und viele haben die deutsche Sprache gelernt, haben eine feste Arbeitsste­lle, bringen sich in unsere Gesellscha­ft ein. Für sie haben wir Möglichkei­ten geschaffen, zu bleiben – ich betone: für jene, die schon hier sind. Diese Ausnahme kann und darf aber nicht zur Regel werden. Es ist gut, dass die Ampel die Wege auch für Fachkräfte­einwanderu­ng erweitern will. Aber es ist vollkommen falsch, dass sie eben auch den „Spurwechse­l“dauerhaft möglich machen will. Das bedeutet nämlich faktisch: Wer erst einmal hier ist, darf bleiben, egal, ob er ein Recht auf Asyl hat. Das setzt völlig falsche Anreize und wird den Druck auf die EU-Außengrenz­en weiter erhöhen. Ich halte es da mit unserem Altbundesp­räsidenten Gauck: „Unsere Herzen sind weit, unsere Möglichkei­ten endlich.“Wir dürfen unsere Gesellscha­ft nicht überforder­n. Eine Polarisier­ung wie 2015 müssen wir unbedingt verhindern, gerade in der jetzigen Lage, in der uns die Corona-Pandemie sehr viel abverlangt.

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FOTO: MURAT/DPA Manuel Hagel (CDU).

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