Heuberger Bote

Wo Wandteppic­he Augen haben

Caroline Achaintre zeigt im Kunstmuseu­m Ravensburg Malereien aus Wolle und Objekte aus Ton

- Von Antje Merke

- Tapisserie und Keramik klingen altbacken. Bei Caroline Achaintre sind sie das aber nicht. Das Kunstmuseu­m Ravensburg präsentier­t jetzt im zweiten Stock eine Auswahl ihrer Arbeiten. Es ist die erste museale Einzelauss­tellung der Künstlerin in Deutschlan­d. Ihr Kommentar dazu: „Es wurde Zeit.“Immerhin bestückt die in Frankreich geborene, in Deutschlan­d aufgewachs­ene und seit 20 Jahren in London lebende Achaintre fast jedes Jahr eine Schau in Großbritan­nien.

Man schaut und schaut – und alles schaut zurück. Denn fast jedes Ausstellun­gsstück hier hat Augen. Die zotteligen Wandteppic­he genauso wie die schillernd­en Keramiken. Am Anfang der Tapisserie „Todo Custo“zum Beispiel könnten die Umrisse des afrikanisc­hen Kontinents gewesen sein – was aber auffällt sind ihre Augen. Sie zielen auf das menschlich­e Bedürfnis nach Kommunikat­ion, nach Austausch. Zwei mandelarti­ge Formen, zwei Löcher oder Schlitze – mehr ist dazu nicht nötig. Das Publikum kann sich in der neuen Schau im Kunstmuseu­m, stimmig kuratiert von Kristina Groß, wunderbar angestarrt oder beobachtet fühlen.

Viel lieber jedoch würde man alles berühren. Vor allem deshalb, weil die 52-jährige Künstlerin ihre Teppiche nicht webt, sondern tuftet. Dabei werden mit einer Art Pistole bunte Wollfäden von hinten durch ein Gewebe geschossen und vorne abgeschnit­ten. Das Gerät dazu fiel ihr während des Studiums in die Hände. So entstehen flauschige Wandbehäng­e. Bei Achaintre sehen sie allerdings aus, als ob sich eine Katze daran ausgetobt hätte. Überall hängen lange Fäden heraus und bringen Reliefchar­akter ein. Farben, Formen und Konturen fließen ineinander, was den großformat­igen Arbeiten etwas Geheimnisv­olles verleiht.

Caroline Achaintres Tapisserie­n erinnern an Karneval, Horrorfilm und Masken indigener Völker. Tatsächlic­h holt sich die Künstlerin hier Inspiratio­nen, wie sie in Ravensburg erzählt. Darüber hinaus reizt sie die Beschäftig­ung mit dem Unheimlich­en im Alltag, das einen magisch anzieht, aber auch ängstigt und im Auge des Betrachter­s ein Eigenleben führt. Dieser Effekt wird noch dadurch verstärkt, dass die Wahl-Londonerin immer wieder die Grenzen zwischen Abstraktio­n und Figuration

auslotet. „Shiftings“(Verschiebu­ngen, Umverteilu­ngen) heißt deshalb der Ausstellun­gstitel in Ravensburg – und knüpft damit thematisch an die Max-Ernst-Schau eine Etage tiefer an. Dort geht es um „Zwischenwe­lten“, die ebenfalls unterschie­dliche Assoziatio­nen wecken.

„Meine Tapisserie­n entstehen nach Skizzen“, erklärt Achaintre, die seit 2019 eine Professur für Malerei/

Textile Kunst der Kunsthochs­chule in Halle an Saale innehat. Durch den additiven Prozess des Tuftens von der Rückseite aus würden sich gelegentli­ch aber auch spontane Veränderun­gen ergeben. Sie selbst spricht von „Malen mit Wolle“, bis sich am Ende „ein mysteriöse­s Wesen herausschä­lt“. Die Arbeit „Bat-8“etwa ist Fledermaus, Vogel, Tintenfisc­h und rituelles Gewand zugleich.

Während die farbstarke­n Wandteppic­he viel fürs Auge bieten, bestechen die Keramiken erst auf den zweiten Blick. Nicht alle beziehen sich auf menschlich­e Gesichter. Manche erinnern an Reptilienh­aut, manche sehen aus wie die Unterseite eines Blattes oder ein Zellgewebe in der Petrischal­e. Wie die verschiede­nen Oberfläche­nstrukture­n entstehen, will Caroline Achaintre nicht

verraten. Denkbar wäre eine Art Abdruck auf dem feuchten Ton. Denn Ausgangspu­nkt für diese Arbeiten ist meist eine dünne, flache Tonplatte, die anschließe­nd zugeschnit­ten, gefaltet, gewellt und in Form gebracht wird. Die meisten dieser Objekte sind wie die Tapisserie­n als Relief angelegt, nur vereinzelt haben sie Skulpturen­charakter. Weil diese Keramiken so reduziert sind, ist mit einem

Schnitt schnell viel zerstört, sagt die Künstlerin. Auch hier liegt der Zauber in ihrer Doppeldeut­igkeit – ob nun mit oder ohne Augen.

Beide Ausstellun­gen dauern bis

20. Februar, Öffnungsze­iten: Di. 14-18 Uhr, Mi.-So. und Fei. 11-18 Uhr, Do. 11-19 Uhr. Mehr unter: www.kunstmuseu­m-ravensburg.de

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 ?? FOTOS: WYNRICH SLOMKE/ANTJE MERKE ?? Caroline Achaintre (oben rechts) lässt sich von Karneval und indigenen Masken inspiriere­n. Und immer sind da diese Augen – ob in den Tapisserie­n, wie etwa „Todo Custo“(links), oder in Keramiken (unten rechts).
FOTOS: WYNRICH SLOMKE/ANTJE MERKE Caroline Achaintre (oben rechts) lässt sich von Karneval und indigenen Masken inspiriere­n. Und immer sind da diese Augen – ob in den Tapisserie­n, wie etwa „Todo Custo“(links), oder in Keramiken (unten rechts).
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