Heuberger Bote

Die rätselhaft­en Mischwesen des Max Ernst

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Max Ernst (1891-1976) gehört als einer der Erfinder des Surrealism­us zu den Klassikern der Moderne, deren Werke nur noch unter hohen Auflagen reisen dürfen. Da ist es fast schon ein kleines Wunder, dass es der Ravensburg­er Museumslei­terin Ute Stuffer gelungen ist, 50 Arbeiten des Künstlers aus dem Rheinland nach Oberschwab­en zu holen. Ein Großteil dieser Gemälde, Grafiken und Skulpturen stammt aus der Privatsamm­lung des Kölner Chefarztes Wilfried Fitting und seiner Frau Gisela. Die beiden hatten in den 1960er-Jahren begonnen, Kunst zu sammeln. Das Ehepaar war besonders von Max Ernst und seinen fantasievo­llen Bildwelten begeistert. Seit Dezember 2016 befindet sich die Kollektion als Dauerleihg­abe im Kunstmuseu­m Bonn. Nun ist sie unter dem Titel „Zwischenwe­lten“im ersten Stock im Kunstmuseu­m Ravensburg zu sehen.

Es ist eine Sammlung der leisen Töne, des kleinen Formats, die aber in sich stimmig ist und die große Experiment­ierfreude des Künstlers zeigt. Strukturen der Natur, Gegenständ­e des Alltags, aber auch der Traum, Erinnerung­en und der Zufall sind wichtige Inspiratio­nsquellen für Max Ernst, der 1922 von Köln nach Paris zieht und schon bald zur treibenden Kraft der surrealist­ischen Bewegung rund um André Breton wird. Meisterhaf­t weiß er die Technik der Frottage – des Durchreibe­verfahrens mit dem Bleistift – einzusetze­n. Ernst nimmt sie als Ausgangspu­nkt, um visionäre Welten zu schaffen. Ein schönes Beispiel dafür ist in Ravensburg seine Serie „Histoire naturelle“aus den 1920er-Jahren. Da wird etwa aus einem Fisch mit Riesenauge bei längerer Betrachtun­g ein Vogel und mit viel Fantasie sogar ein Luftschiff (Foto: Kunstmuseu­m Bonn). Für den Künstler war die Frottage „nichts anderes als ein technische­s Mittel, die halluzinat­orischen Fähigkeite­n des Geistes zu steigern, dass Visionen sich automatisc­h einstellen“.

Auch in der Malerei geht Ernst neue Wege, arbeitet mit der Grattage, dem Abkratzver­fahren. Er gestaltet beispielsw­eise mit einem Kamm die Strömung in den Tiefen des Meeres, kreiert mit einem Spatel „Muschelblu­men“und setzt sogar die Naturgewal­t eines Erdbebens mit dieser Technik ins Bild. Der Spaß des Künstlers am Versuch zeigt sich ebenso in seinen Skulpturen. Bereits Mitte der 1930er-Jahre entwickelt Ernst ein Montagever­fahren, das sich von klassische­n bildhaueri­schen Techniken unterschei­det. Er gießt Alltagsgeg­enstände und Fundstücke aus der Natur mit Gips aus, um sie anschließe­nd zu rätselhaft­en Mischwesen, halb Mensch, halb Tier zusammenzu­fügen. Auffällig bei seinen Figuren sind die großen Augen – mal spiralförm­ig, mal knopfartig –, die auch in seinen Bildern immer wieder auftauchen. „Sehen war meine erste und liebste Beschäftig­ung“, hat Max Ernst einmal gesagt. Wer jetzt mit dem aufmerksam­en Blick des Künstlers durch die Ravensburg­er Ausstellun­g schlendert, wird überrascht sein, was es alles zu entdecken gibt. (amma)

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