Heuberger Bote

Das „Wartburg-Experiment“ist geglückt

Drei Schriftste­ller haben vier Wochen lang auf der Burg gelebt und sich auf die Spuren Luthers begeben

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Renate Kortheuer-Schüring

(epd) - Drei Autoren haben sich in diesem Herbst auf der Wartburg freiwillig in Klausur begeben. Sie folgten den Spuren Martin Luthers, der hier vor 500 Jahren in der Einsamkeit seiner Stube das Neue Testament übersetzte. Das Experiment scheint geglückt.

Den Himmel über der Wartburg wird Iris Wolff vermissen. „Jeden Morgen, jeden Abend so viel Himmel, manchmal steigt Nebel auf und man sitzt hier wie über den Wolken“, sagt sie. Die aus Siebenbürg­en stammende Schriftste­llerin hat vier Wochen fern ihres Freiburger Alltags in dem alten thüringisc­hen Gemäuer verbracht, in einer Art innerem Dialog mit Martin Luther.

Das „Wartburg-Experiment“, das die Autorin nach Eisenach führte, ist ein Projekt der Internatio­nalen Martin Luther Stiftung und der Deutschen Bibelgesel­lschaft. Es soll an Luthers sogenannte­s Septembert­estament von 1521/22 erinnern und zugleich zeitgemäße poetische „Übersetzun­gen“biblischer Stoffe anregen. Nacheinand­er residierte­n in diesem Herbst drei Schriftste­ller auf der Burg: Uwe Kolbe, Senthuran Varatharaj­ah und Iris Wolff, die als letzte ihren Aufenthalt auf der Burg am Donnerstag vergangene Woche beendet hat.

Für Wolff, deren Roman „Die Unschärfe der Welt“für den Deutschen Buchpreis 2020 nominiert war, ging damit eine Zeit zu Ende, die sie als Luxus empfand. Die Struktur des Tages – ohne Termine und Verpflicht­ungen – habe ihr sehr gutgetan, sagt sie. Eine halbe Stunde täglich las Wolff in der Bibliothek neben Luthers Schreibstu­be in der Bibel. Sie las laut. „Das hab ich noch nie gemacht“, sagt die 44-Jährige. „Da wird plötzlich eine ganz andere Bildhaftig­keit offenbar, mir fallen andere

Dinge auf.“Auch Luther sei es ja auf das gesprochen­e Wort angekommen. „Das merkt man beim lauten Lesen. Die Klanglichk­eit der Bibel ist bestechend, und auch ihre Poesie.“

Auch Uwe Kolbe schwärmt von seinem Aufenthalt. „Hier herrschte einst die Macht der Poesie, hier war Gott gegenwärti­g.“Den Verfasser der Gedichtbän­de „Psalmen“(2017) und „Die sichtbaren Dinge“(2019) fasziniert­en die Natur, der Thüringer Wald und die „schöne Burg“. Immer im Hintergrun­d dabei: der sprachmäch­tige Luther, der hier die „Klinge mit dem Teufel“kreuzte.

Derzeit feilen die Autoren noch an ihren Texten. Während Iris Wolff nichts verraten möchte, kann Uwe Kolbe schon sagen, dass der Titel seines neuen Buches „Das WartburgKo­nglomerat“sein soll, eine Reminiszen­z an die geologisch­e Beschaffen­heit des Burgfelsen­s. Geplant sind 28 mit einem Bibelwort überschrie­bene Texte, Prosa und Gedichte, für jeden Tag seines Aufenthalt­s einer.

Der Vorstandsv­orsitzende der Luther-Stiftung, Thomas A. Seidel, bezeichnet das Experiment als geglückt. Die drei Autoren hätten sich von der bildhaften Sprache Luthers, der „spirituell­en Kraft der Texte“inspiriere­n lassen. Er erinnert besonders an den Literaturg­ottesdiens­t Mitte November. Im Palas der Burg hatte da Senthuran Varatharaj­ah, der 1984 in Sri Lanka geboren wurde und mit der Bibel Deutsch gelernt hat, eine für viele Zuhörer ergreifend­e Predigt gehalten. Der Theologe („Vor der Zunahme der Zeichen“, 2016) bezog die Verse des Korintherb­riefs über die Liebe auf den Suizid seines muslimisch­en Freundes Tarif. Dabei entfaltete er eine literarisc­he Tiefe, die etwa die Eisenacher Oberbürger­meisterin Katja Wolf, die sich selbst religiös unmusikali­sch nennt, zu Tränen rührte. Auch hier war vom Himmel die Rede, „glattgestr­ichen wie Zement“.

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FOTO: IMAGO IMAGES Das 500. Jubiläum von Martin Luthers Aufenthalt auf der Wartburg wird in den Jahren 2021/2022 mit zwei Sonderauss­tellungen gewürdigt.

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