„Es gibt bei Corona keine einfachen Lösungen“
Tuttlinger Psychologin erklärt, wie es gelingt, trotz Pandemie optimistisch und fröhlich zu bleiben
- Zwei Jahre ist es bald her, dass Corona begann, das Leben aller zu beeinflussen. Nach einem Sommer mit niedrigen Infektionszahlen und viel Hoffnung durch die Möglichkeit zur Impfung sind die Erkrankungszahlen derzeit so hoch wie nie zuvor. Redakteurin Sabine Krauss hat sich mit der Tuttlinger Psychologin Barbara Dominick von der Psychologischen Beratungsstelle darüber unterhalten, wie Menschen damit umgehen und was man tun kann, um trotz aller Vorsicht dennoch den Optimismus nicht zu verlieren. Auch spricht sie darüber, was die Pandemie über die Grundbedürfnisse der Menschen verrät.
Frau Dominick, hat sich die inhaltliche Arbeit in der Psychologischen Beratungsstelle seit Corona verändert?
Die Anlässe, wegen denen uns Ratsuchende kontaktieren, haben sich im Wesentlichen nicht groß verändert. In der Erziehungsberatung liegt nach wie vor das Thema Trennung und Scheidung an Platz eins der genannten Gründe. In der Lebensberatung geht es am häufigsten um Niedergeschlagenheit, um Depressionen. Bei allen Beratungen spielt natürlich das Thema Corona immer eine Rolle, aber je nach Person auf verschiedene Weise.
Wie ist Ihr Eindruck, wie die Menschen nach fast zwei Jahren damit umgehen, dass Corona immer noch da ist und auch nicht so schnell verschwinden wird?
Mein Eindruck ist, dass viele damit mittlerweile sehr besonnen umgehen und sich mit der Situation arrangiert haben, dass Corona unser Leben beherrscht. Das wurde allerdings erst dadurch möglich, dass wir einen Lernprozess durchlebt haben. Inzwischen weiß man viel mehr und es gab und gibt viele Möglichkeiten, sich zu informieren und vor allem auch, sich zu schützen. So kann jeder und jede einzelne selbst etwas tun, was den Schritt aus der anfänglichen Ohnmacht heraus möglich macht. Kontrolle und Orientierung zu haben gehört zu den menschlichen Grundbedürfnissen – und das wird in diesem Fall auch wahrgenommen, was ja gut ist. Aktuell sieht man das am Ansturm auf die Booster-Impfungen. Trotzdem löst die aktuelle Situation wieder ein Stück weit Ängste und Sorgen aus – die Zahlen steigen, Patienten müssen verlegt werden. Das betrifft vor allem diejenigen Menschen, die für ihre seelische Stabilität mehr Sicherheit um sich herum suchen und für sich brauchen.
Was kann man allgemein tun, um nicht zu sehr in Sorgen und Ängsten zu versinken und Optimismus zu bewahren, andererseits Corona auch nicht auf die leichte Schulter zu nehmen?
Ja, es nicht einfach, da den Mittelweg zu finden. Das eine ist sicherlich das Besinnen auf die eigenen Ressourcen. Man sollte sich öfters mal die eigenen Stärken bewusst machen, mit denen man auch schon andere schwierige Situationen gemeistert hat, und sich dann zum Beisiel ins Gedächtnis zu rufen, dass man eigentlich ein eher zuversichtlicher Mensch ist und man Ausdauer hat, etwas durchzustehen. Das zweite ist die Resilienz, die eigene psychische Widerstandsfähigkeit.
Für die psychologischen Laien: Um was handelt es sich da konkret?
Dabei geht es um die Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen ohne anhaltende Beeinträchtigung zu überstehen. Zu diesem Thema gibt es mittlerweile viel Material, auch im Internet. Es gibt in Deutschland sogar ein eigenes Institut, das LeibnizInstitut für Resilienz-Forschung in Mainz. Ich hebe drei Aspekte hervor, die ich persönlich für wichtig erachte. Das erste ist, dass wir eine Situation, die wir selbst nicht ändern können, akzeptieren. Wenn wir uns dagegen auflehnen, vergeuden wir wichtige Energie für etwas, das wir eigentlich anderswo brauchen. Und wir müssen zudem akzeptieren, dass die Lage kompliziert ist: Es gibt bei Corona keine einfachen Lösungen, nicht einmal „ja, ich lasse mich impfen und alles ist gut“.
Und der zweite Ratschlag?
Das sind ganz einfache Dinge, auf die man in Krisenzeiten jedoch verstärkt achten sollte. Es geht darum, im gesundheitlichen Sinne gut für sich selbst zu sorgen: genügend Schlaf, sich bewegen, sich ordentlich ernähren. Menschen können Krisensituationen besser bewältigen, wenn ihre Grundstärke stimmt. Beim Schlafen wird zudem einfach auch mal die geistige "Festplatte" durchgepustet, um es salopp zu sagen. Daran schließt sich direkt der dritte Ratschlag an: Man sollte schauen, dass Stress abgebaut wird. Das kann vor allem durch Entspannung und Bewegung gelingen – vom autogenen Training, über Spazierengehen bis hin zu anstrengenderen Sportarten. Auch sollte man sich ab und an etwas gönnen, das einem gut tut: eine Massage, sofern sie noch erlaubt ist oder zum Beispiel das Einkaufen von besonderen Lebensmitteln für ein besonderes Familienessen. Auch Freunde treffen gehört dazu, zur Sicherheit können sich alle Beteiligten ja davor testen. Die zwischenmenschliche Bindung ist auch eines der Grundbedürfnisse der Menschen, deren Reihenfolge zu Beginn der Pandemie deutlich nachzuvollziehen war.
Wie meinen Sie das? Was haben Grundbedürfnisse mit Corona zu tun?
Die Idee der Bedürfnis-Hierarchie des Menschen geht auf den Psychologen Abraham Maslow zurück, einen der großen Köpfe der humanistischen Psychologie: Erst wenn ein vorrangiges Bedürfnis erfüllt ist, kommt man zum nächsten. Die grundlegenden Bedürfnisse sind zunächst die physiologischen, Essen,
Trinken, Schlafen. Das hat man am Anfang der Pandemie ganz deutlich gesehen, als der Sturm auf die Supermärkte losging und plötzlich das Mehl, das Klopapier und die Hefe ausverkauft waren.
Als genügend Vorräte vorhanden waren, trat das Bedürfnis nach Sicherheit in den Vordergrund: Auch bedingt durch den Lockdown nahmen sich die Menschen zurück und trafen vor allem anfangs über Wochen kaum noch jemanden außerhalb des engsten Familienkreises, zum Teil nicht einmal mehr die Großeltern. Als die Sicherheit für viele so war, dass man sich wieder mehr traute, trat das Bedürfnis der sozialen Bindung mehr hervor. Die engen Kontakte wurden wieder gesucht – vieles ersatzweise auch übers Internet. Nach dem Bedürfnis der Bindung geht es bei Maslow dann im Weiteren um Individualbedürfnisse und in der letzten Stufe um die Selbstverwirklichung.
Individualbedürfnisse werden uns in der Pandemie aber sicherlich nicht weiterbringen...
Ja, deshalb hätte ich noch einen weiteren Ratschlag in die andere Richtung: Freundlichkeit ausstreuen durch kleine Gesten und kleine Handlungen. Ein Lächeln, ein Blumenstrauß für die Nachbarin, eine kleine Nettigkeit im Vorbeigehen. Wenn wir verhindern wollen, dass die Gesellschaft zerbröselt, dass Polarisierungen entstehen, dann sollten wir unseren Blick für so etwas schärfen. Alle können im Kleinen einen Teil dazu beitragen.