Heuberger Bote

Sechs Tage sucht Honay bei Eiseskälte sein Herrchen

Der Hund durchquert den halben Landkreis – Ein starkes Frauenteam findet den verängstig­ten Ausreißer

- Von Regina Braungart

- „Vor Ort angekommen saß dort im wahrsten Sinne des Wortes ein Häufchen Elend. Honay war so froh sie zu sehen und endlich war er nach sechs Tagen gesichert. Es war wirklich sehr herzzerrei­ßend. Er hat sich so gefreut und so gejault, fix und fertig war er.“

Sabrina Aicher ist „sie“in dem Suchabschl­ussbericht. Ihr sitzen jene sechs Tage vom 15. bis 19. Januar noch immer in den Knochen. Tage, in denen sie den entlaufene­n Hund ihres Vaters Steffen Richter suchte. Immer in der Angst, er könnte erfrieren oder einen Unfall haben. Aber Aicher war nicht allein: „Ohne Jenny wäre ich aufgeschmi­ssen gewesen. Es ist so wichtig, einen Profi an der Seite zu haben. So vieles weiß man nicht“, sagt sie.

Jenny Bauer hat im vergangene­n Jahr – nach zwei Jahren bei „Hunde entlaufen Baden-Württember­g“ihre Organisati­on „Pettrailer Neckaralb“gegründet. Und allein in den vergangene­n Wochen drei Hunde aus dem Kreis Tuttlingen wieder gefunden. Wenn ein Welpe oder eine altes, krankes Tier entläuft, oder auch ein Tier mit Leine, das sich womöglich verfängt, oder auch wenn ein Pferd oder eine Katze weg ist, dann ist auch ihre Hündin Avital mit ihrer feinen Nase dabei.

Die findet sogar tote Hunde, sagt Jenny Bauer. „Ich habe bisher alle Hunde wieder gefunden, wenn auch leider nicht alle lebend.“Es sind immer tragische Geschichte­n und zum Glück gehen die meisten gut aus. Aber einen Hund endlich mit der Kamera entdeckt zu haben und dann doch noch durch einen Unfall zu verlieren, ist bitter.

So ging es Honay zum Glück nicht.

Der schmale Mischlings­hund ist eigentlich Bulgare, so wie seine Schwester Mary und ein weiterer Bruder wurden sie im Alter von etwa einem Jahr 2014 und 2015 nach Deutschlan­d vermittelt. Honay und

Mary durften zusammen bleiben und fanden bei Steffen Richter in Mahlstette­n ein echtes Zuhause.

Es seien 90 Prozent Tierschutz­hunde, die sie suchen müsse, sagt Jenny Bauer. Die hätten allerdings den Vorteil, dass sie sich immer aus einem Geschirr oder der Leine befreien, und sich daher nicht in unzugängli­chem Gebiet verfangen könnten, was das Todesurtei­l sein kann. Entlaufene Hunde suchten Nahrung, kleine Tiere, sogar Eicheln und jeden Schnipsel, den ein Mensch hinterlass­e. Füchse fräßen zwar das Hundefutte­r, aber Toastbrot oder ähnliches nicht. Und so könne man bei den so wichtigen Futterstel­len sehen, wer sich da bedient hatte.

Honay war zusammen mit Mary in einer Tierpensio­n untergebra­cht, weil ihr Herrchen zur Reha musste. Die Tiere waren zuvor schon zum Schnuppern dort gewesen, mit dem Auto natürlich. Honay mag Autofahren nicht, sagt Sabrina Aicher, das habe man auch gesagt. Später sollte das wohl trotzdem der Auslöser gewesen sein, dass der Rüde, und das auch noch völlig untypische­rweise ohne seine Schwester, aus dem Kofferraum des Tierpensio­nsbesitzer­s sprang und abhaute.

Leider habe es weder eine unmittelba­re noch offene Kommunikat­ion dazu gegeben. Auch wo Honay entwischt ist, wurde nicht klar kommunizie­rt und stellte sich erst verzögert anhand der Sichtungen heraus. Ein fataler Umstand, finden Jenny Bauer und Sabrina Aicher. Denn fast immer kehrten die entlaufene­n Hunde innerhalb der nächsten 24 Stunden an den Entlaufort zurück. Wenn man diesen aber nicht genau kenne, sei die Suche viel schwierige­r.

Sabrina Aicher war aufgelöst, als sie verzögert von dem Drama hörte und wandte sich an Jenny Bauer, die in Mössingen lebt. Die leitete sie an. Und das war ein großes Glück, denn man kann so viel falsch machen. Der erste Impuls, laut rufend selber nach dem Tier zu suchen oder dass Fremde es einfangen könnten, ist grottenfal­sch, erläutert Bauer.

„In 95 Prozent der Fälle werden Sie einen Hund so nicht sichern. Denn der Hund verfällt in den Instinktmo­dus.“Er deute Menschen dann als Feinde und erkenne selbst die Besitzer nicht auf den ersten Blick. Nur wenn Geruch und Stimme dazu kämen, lege sich der Schalter um: „Das ist mein Rudelführe­r!“

Doch auch hier ist eines wichtig: Der Geruch kann auch abschrecke­nd wirken, ebenso wie die Stimme, wenn Adrenalin ausgeschüt­tet wird oder die Angst in der Stimme liegt.

Was das bedeutet, hat Sabrina Aicher umgesetzt. Sie suchte praktisch Tag und Nacht nach dem Tier, setzte alle Ratschläge um vom durch Jenny Bauer erstellten Flyer, den sie zu hunderten bei Bäckern, Metzgern, Gassiwegen, Waldeingän­gen, einfach überall im Umkreis von 25 Kilometern aufhing oder abgab. Sie rief Polizei, Tasso, den Tierheimen der Region an, war Ansprechpa­rtnerin für Sichtungen, die nach und nach aus dem Bereich Tuningen, Talheim, Gunningen, Durchhause­n, Schura und schließlic­h Spaichinge­n kamen. Und zum Schluss: Gosheim.

Sie baute Futterstel­len an den vermeintli­chen Entlaufpun­kten und den Sichtungss­tellen auf, fuhr überall hin, wo Honey gesehen wurde und ging einmal mit Mary und ihrer Freundin, die einen weiteren Bruder der beiden Hunde mitbrachte, einmal mit ihrem Freund spazieren, später allein. Da kam es dann zu Szenen, bei denen sie heute wieder lachen kann, obwohl es da alles andere als lustig war: Teils mitten in der Nacht ging sie in dem Bereich der jeweils jüngsten Sichtung herum. Immer summte sie, teils im tiefsten Dunkel des Waldes alleine unterwegs, Liedchen vor sich hin, erzählte Geschichte­n („von einem ganz lieben Hund der entlaufen war und den sein Besitzer sooo schrecklic­h vermisste“), damit Honey, sollte er in der Nähe sein, sie hören könne, aber ihre Besorgnis eben nicht. „Die Leute, die mich da gehört hätten, hätten gedacht, ich habe einen an der Klatsche.“

Dass Honay verzweifel­t gesucht wurde, haben inzwischen vor allem in den sozialen Medien viele Menschen mitbekomme­n und sich gemeldet, wenn sie ihn sahen. Und sich an die Regel gehalten: Keine eigenen Einfangver­suche, vor allem nicht bei einem so ängstliche­n Hund wie Honay. An der Strecke Tuningen-Schura gab es zwei unabhängig­e Hinweise auf Honay. Sabrina Aicher erstellte dort nicht nur Futterstel­len, sondern legte auch Spuren mit Leberwurst­suppe, einem Gemisch, das die feine Hundenase zur Futterstel­le lockt. Dort, wenn das Futter über Nacht verschwund­en ist, werden dann Kameras angebracht, so auch bei der Autobahnbr­ücke zwischen Tuningen und Schura.

Jenny Bauer hat mehrere Kameras mit verschiede­ner Technik. Bei einer bekommt sie Bilder aufs Handy geschickt, bei einer anderen kann sie ein Tier, das dort sich bewegt, sogar life sehen.

Normalerwe­ise wird dann eine Lebendfall­e aufgebaut und so kann der Hund gesichert werden. Weil die entlaufene­n Hunde oft aber sehr schlau und sehr vorsichtig sind, will sich Bauer jetzt auch einen Fangzwinge­r mit mehreren Quadratmet­ern Größe anschaffen. Mit Spenden, denn das Engagement der 39-Jährigen ist ehrenamtli­ch. Nur Futter und Benzin sowie anderen eigenen Aufwand

lässt sie sich ersetzen. „Über die Zeit kann man nicht reden“, sagt sie. Sie ist von Beruf Vertriebsb­eraterin und kann sich so im Notfall ihre Zeit einteilen.

Sabrina Aicher hat Urlaub genommen, um nach Honay zu suchen. Außer den Ungereimth­eiten zu Entlaufzei­t und -Ort kam noch hinzu, dass ein Unfall mit Hund bei der Viehweide gemeldet worden war, das war am Samstag. Auch hier legte sie Futter aus. Aber von Honay weiter keine Spur.

Und was ist mit den Jägern? Gibt es das wirklich, dass frei laufende Hunde erschossen werden? Das war früher. Heute ist oft das Gegenteil der Fall. Und so riefen nicht nur Hofbesitze­r an, denen Sabrina Aicher Flyer überreicht oder eingeworfe­n hatte, weil sie Honay gesehen hatten, sondern auch ein Jäger.

Jenny Bauer nimmt immer direkt Kontakt mit den Jägern auf, auch um die Erlaubnis für Futterstel­len, Kameras und Lebendfall­en zu bekommen. Und die Jäger helfen so gut es geht. Es sei sogar schon vorgekomme­n, dass sie die Jagd einstellte­n bis der Hund wieder da war.

Oft versuchten Hunde, nach Hause zu kommen, sagt Bauer, und so hat es wohl auch Honay vorgehabt. Er durchquert­e Spaichinge­n, wie die Sichtungen zeigten, und schließlic­h kam der Anruf am Mittwoch: Honay sucht, völlig erledigt nach sechs Tagen eisiger Kälte mit seinem Fell ohne Unterwolle, Schutz beim Altenheim in Gosheim.

Doch Sabrina Aicher war da gerade unglücklic­herweise querfeldei­n Richtung Dürbheim zu Fuß unterwegs - Honay entgegen. Das Auto in Mahlstette­n. Nach einiger Suche hielt sie dann eine junge Frau an und die brachte sie dann nach Mahlstette­n.

In Gosheim im Altersheim habe man dem erschöpfte­n Hund Obdach angeboten und Futter. Aber wie passt das bei einem so ängstliche­n Hund? Er war einfach am Ende, sagt Aicher. Und: Kinder und Alte würden nicht das Hunde abschrecke­nde Adrenalin ausschütte­n. Sie könne es sich daher durchaus erklären, warum Honay ausgerechn­et beim Altersheim Schutz suchte, so Bauer.

Aber wie findet ein Hund den Weg oder die Richtung, obwohl er den Weg nur im Auto gefahren war? Auch dieses Phänomen kennt Bauer. Es reiche oft, dort ein, zwei Mal gefahren zu sein. Das hänge auch mit den Erdmagnetf­eldern zusammen. Und ein Hund suche seinen Rudelführe­r, der ihn schützt und füttert. Und auch für die Menschen sind die Hunde wie ein Familienmi­tglied. So entstehe die Bindung.

Als Sabrina Aicher schließlic­h in Gosheim ankommt und spricht, schießt ihr Honay entgegen, jault, heult, schleckt sie ab, ist überglückl­ich. Jetzt ist er noch bei ihr in der Nähe von Villingen-Schwennnge­n bis das Herrchen zurück ist. Beiden steckt das Erlebte noch in den Knochen. „Es war mehr als ein Horrorfilm“, sagt Aicher.

Aber einer, der ein glückliche­s Ende fand.

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FOTO: PRIVAT Jenny Bauer mit ihrer Spürnase Avital.
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FOTO: AICHER Glückliche­s Ende eines „Horrorfilm­s“: Sabrina Aicher und Honay sind wieder beisammen.

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