„Nur wer brennt, kann Feuer entfachen“
Handballfunktionär Bob Hanning über die EM und Drohungen von BVB-Boss Watzke
- Auch wenn er nicht mehr in Amt und Würden beim Deutschen Handballbund (DHB) ist, schaut Ex-Vizepräsident Bob Hanning bei den Spielen der deutschen Nationalmannschaft noch ganz genau hin. Aber auch sonst hat der 53jährige Charakterkopf weiterhin den Blick für das große Ganze seines Sports. Felix Alex hat mit dem Handball-Tausendsassa über die endende Europameisterschaft sowie deren Begleiterscheinungen gesprochen.
Herr Hanning, die Horror-EM mit coronabedingten Spielausfällen oder gar Abbruch ist ausgeblieben. Ist das unter dem Strich ein Erfolg?
Ich hätte es mir lieber mit weniger Corona-Fällen – vor allem im deutschen Team – gewünscht, aber es ist ein Spiegelbild der momentanen Situation. Daher bin ich froh, dass es zumindest ein gesundes Ende genommen hat – also keine besorgniserregenden Verläufe dabei waren.
War es vor diesem Hintergrund dennoch eigentlich unverantwortlich, dieses Turnier durchgezogen zu haben oder ist das schlicht die oft genannte neue Realität?
Im Vorfeld hätte man sicher manches besser machen können – da denke ich etwa an die WM 2021 in Ägypten, bei der der ganze Zirkus in eine Blase gezogen ist –, aber vom Grundsatz her ist das im Moment wirklich die neue Realität und als man einmal dabei war, war es auch richtig, das durchzuziehen.
Seit dem Halbfinale sind auch wieder die üblichen Favoriten unter sich. Auch das spricht eher für normale Bedingungen statt eines Titelträgers von Coronas Gnaden?
Stand jetzt und in Anbetracht der Tatsache, dass bis zum Finale am Sonntag nichts mehr passiert, schon. Die Wahrheit ist, dass die vier besten Mannschaften auch im Halbfinale standen, also ist der Titelgewinn auch ein vollwertiger.
Der Generalsekretär der Europäischen Handballföderation, Martin Hausleitner, sagte zu den CoronaUmständen: „Wir sehen unglaublich schöne Geschichten von Leuten, die in die Mannschaften nachrücken, die nie eine Chance bekommen hätten und die jetzt Großartiges zeigen“. Teilen Sie diesen Galgenhumor beziehungsweise diese zwanghafte Buntmalerei?
Ich hätte auf diese ganzen „großartigen Heldengeschichten“auch gerne verzichtet und diese für das Turnier nicht gebraucht. Was das deutsche Team erlebt hat, war nicht mehr grenzwertig, sondern darüber hinaus.
Das DHB-Team musste über 16 Corona-Infektionen kompensieren und ständig die Protagonisten durchwechseln ...
Die Spieler, die nachgerückt sind, waren ja nicht schlechter als diejenigen, die von Anfang an teilgenommen haben. Da denke ich an Rune Dahmke oder Tobias Reichmann, an Fabian Wiede, Paul Drux oder Jogi Bitter. Das ist für sich ja schon eine Nationalmannschaft. Zudem konnten sich viele junge Spieler auch mehr zeigen als sie das unter normalen Umständen hätten tun können. Julian Köster etwa hat überzeugt und eine ganz tolle Aufgabe erfüllt. Man hat bei ihm dann aber auch gemerkt, dass er zu viel spielen musste und es dann natürlich zu Fehlern kam.
Einige weniger davon im deutschen Spiel und trotz der Widrigkeiten wäre sogar mehr als die Hauptrunde möglich gewesen, oder?
So breit wie der deutsche Handball aufgestellt ist, muss die Mannschaft immer um Medaillen spielen. Aber wir waren eben nicht eingespielt und da muss man sagen: Erfahrung ersetzt Training nicht – zumindest nicht komplett. Es ist allerdings auch die Wahrheit, dass wir bei den Themen Passgeschwindigkeit und Kreativität noch Potential gehabt hätten. Dennoch war es ein Erlebnis.
Könnte daraus nicht auch eine besondere Verbundenheit innerhalb der Mannschaft erwachsen?
Das hat ja schon etwas mit dem Team gemacht und die Mannschaft hat gezeigt, dass sie füreinander einsteht. Hinzu kommt mit Alfred Gislason ein „Fels in der Brandung“für die kommenden Jahre, auf den sich die jungen Spieler verlassen können.
Auch die alten Recken oder? Immerhin sind einige davon nun zurückgekehrt, obwohl sie freiwillig verzichtet hatten. Das stieß damals bei Ihnen nicht auf Verständnis.
Die haben ja auch alle geholfen und das muss man positiv bewerten. Generell kann man eine Nationalmannschaftspause einlegen. Wenn so ein erfahrener Spieler wie etwa Paul Drux sagt, dass er ein Turnier Pause benötigt, dann ist das in Ordnung, aber es darf kein Natinalmannschafts-Hopping geben. So etwas geht nicht immer und vor allem kann man sich das nicht beliebig aussuchen. Ein Spieler kann nicht sagen, er spielt jetzt nicht, aber dann die Heim-EM 2024 oder die Heim-WM 2027. Nur wer selbst brennt, kann Feuer entfachen und da muss es eine extrem hohe intrinsische Motivation geben für die Nationalmannschaft.
Dieser innere Antrieb ist bei Ihnen ausgeprägt. Aber auch generell hat die deutsche Handballfamilie aktuell Zusammenhalt bewiesen, oder?
Man muss den Spieler ihre Hilfe hoch anrechnen und auch die Clubs haben alle eine große Solidarität in schwieriger Zeit gezeigt.
Was kann man von so einem Turnier organisatorisch mitnehmen und für die Zukunft lernen?
Gar nichts! Es gibt nichts von dem, was es sich lohnt nachmachen zu müssen. Von dieser EM muss man sich nichts abgucken. Ich glaube, dass wir das 2024 in Deutschland bei gleichen Rahmenbedingungen besser machen würden.
Infizierte Spieler gehören weiter zur Realität – anders als die in Ungarn und der Slowakei erlebten vollen Hallen, denen die deutsche Politik einen Riegel vorschob. Borussia Dortmunds Boss Hans-Joachim Watzke droht, dies juristisch prüfen zu lassen. Der richtige Weg?
Da habe ich eine klare Meinung zu. Viel wichtiger, ob wir mit Zuschauern spielen können oder nicht, ist, dass die Kinder zur Schule gehen können. Wir müssen die gesamte Situation auch mal richtig einordnen. Wir haben Staatshilfen und Landeshilfen bekommen, wir durften weiter spielen und hatten ein unglaubliches Privileg. Zudem haben wir eine Vorbildfunktion und der müssen wir gerecht werden. Ich bin auch für eine schrittweise Öffnung, trotzdem bin ich dafür, im Dialog Lösungen zu finden. Klagewellen und Drohungen sind völlig deplatziert. Wir müssen uns mehr Gedanken um unseren Nachwuchs machen und nicht, ob wir 20 oder 25 Prozent Zuschauer in die Halle lassen können. Das kommt jetzt schrittweise von ganz alleine.