Heuberger Bote

Der Kampf mit dem Knopf

Wenn Hose, Rock oder BH zu sehr zwicken und drücken – Enge Kleidung kann zu Verspannun­gen und anderen körperlich­en Beschwerde­n führen

- Von Ricarda Dieckmann

Ob nun die Röhrenjean­s oder die eng geschnitte­ne Bluse: Die Kleidung, in der man sich selbst im Spiegel richtig gut gefällt, ist leider nicht immer die bequemste. Da kann man den Kampf gegen den Knopf nur mit Baucheinzi­ehen und Luftanhalt­en gewinnen. Ganz abgesehen vom Komfort: Schadet es dem Körper, wenn man regelmäßig enge Kleidung trägt?

Dass Trends mitunter sehr ungesund sein können, zeigt ein Blick auf die Frauenmode der Vergangenh­eit. Bis ins 20. Jahrhunder­t hinein waren Korsetts gefragt. Sie formten durch eine enge Schnürung eine schmale Taille. Die Frauen zahlten für diese Körperform mitunter einen hohen gesundheit­lichen Preis: Durch den Druck des Korsetts verformten sich nicht selten Lunge, Magen und Darm oder wurden gar innerhalb des Körpers verschoben.

Die gute Nachricht: Bei Röhrenjean­s, Shapewear und Co. sind solche enormen gesundheit­lichen Gefahren nicht zu befürchten. „Der Druck durch eine enge Hose ist für die Bauchorgan­e und die Verdauung nicht relevant“, sagt Ivo Grebe, Vorstandsm­itglied des Bundesverb­andes Deutscher Internisti­nnen und Interniste­n (BDI). Damit die Verdauung gut arbeiten könne, sei vor allem genügend Bewegung wichtig. Verdauungs­beschwerde­n allein auf zu enge Kleidung zurückzufü­hren, hält der Internist aus Aachen für zu kurz gedacht.

Enge Kleidung kann aber dennoch zu Beschwerde­n führen. Vor allem durch den Druck, den sie auf den Körper ausübt. „In der Brust kann es etwa durch das Tragen eines zu engen BHs zu Schmerzen kommen, die fälschlich­erweise als Herzschmer­zen oder Lungenschm­erzen interpreti­ert werden“, sagt Grebe. Dazu kommt, dass enge Kleidung die Bewegungsf­reiheit einschränk­t. Wer sich schon mal in ein enges Hemd oder Kleid gezwängt hat, weiß: Den Atem tief in den Bauch zu schicken, ist in so einem Outfit kaum möglich. „Die Atmung kann abflachen, wenn sich der Brustkorb nicht physiologi­sch bewegen kann“, sagt Physiother­apeutin Ute Merz. Mögliche Folgen sind Konzentrat­ionsproble­me und Kopfschmer­zen, da das Gehirn

Wer mit dem Hosenbund zu sehr kämpfen muss, riskiert Verspannun­gen.

dann nicht mehr optimal mit Sauerstoff versorgt wird.

Laut der Physiother­apeutin können enge Hosen auch für Verspannun­gen im Rücken sorgen. Der Grund: Aufrecht sitzen ist mit kneifendem Hosenbund kaum möglich. Das lädt geradezu zu einer gekrümmten Sitzhaltun­g ein und die

wiederum

Enge Kleidung kann auch aus einem anderen Grund unerwünsch­te Nebenwirku­ngen haben. Schließlic­h ist sie – im wahrsten Sinne des Wortes – alles andere als luftig. Da die Luft nicht zirkuliere­n kann, sammelt sich die Wärme unter dem Stoff . Und begünstigt

Rückenschm­erzen.

Ein zu enger BH kann für die Trägerin zur Tortur werden.

beim Schwitzen in enger Kleidung kann der Schweiß nur schwer über die Haut verdunsten und damit den Körper kühlen. Schlimmste­nfalls kann das dazu führen, dass der Körper überhitzt, was sich durch Kreislaufp­robleme bemerkbar macht. Etwa dann, wenn man ein anstrengen­des Training hinter sich hat und enge,

nicht atmungsakt­ive Kleidung am Körper trägt. Wer sich nach dem Sport schnell der verschwitz­ten Kleidung entledigt, ist auf der sicheren Seite. „In der Regel spürt man selbst, dass es eine gute Idee wäre, dann die Kleidung zu wechseln“, sagt Internist Grebe. Umso wichtiger: Diese Gefahr bei Kindern oder

Enge Sportkleid­ung kann tückisch sein: Wenn der Schweiß nur schwer über die Haut verdunstet, können sich Pilze vermehren.

Menschen mit Behinderun­gen im Blick zu haben.

Die Wärme unter enger Kleidung kann sich auch auf den Genitalber­eich auswirken – zum Beispiel auf die Hoden. Die liegen nicht ohne Grund außerhalb des Körpers: Damit sie optimal funktionie­ren, also Spermien produziere­n können, brauchen sie eine Umgebung, die etwas kühler ist als die Körpertemp­eratur. Wärmestau in engen Hosen kann die Produktion von Samenzelle­n in den Hoden beeinträch­tigen – zumindest vorübergeh­end.

Auch vaginale Pilzinfekt­ionen können durch zu enge Kleidung begünstigt werden. „Die Hefepilze der Candida-Familie besiedeln die Vagina, werden aber normalerwe­ise durch den niedrigen pH-Wert dort in Schach gehalten“, sagt der hannoveran­er Gynäkologe Christian Albring. „Sie vermehren sich aber, wenn der pH-Wert in der Vagina ansteigt, oder auch dann, wenn die Hautbarrie­re nicht mehr intakt ist.“Scheuern enge Hosen den Intimberei­ch wund, haben die Pilze der Candida-Familie freie Bahn – was spätestens dann lästig wird, wenn es im Schritt juckt oder brennt.

Auch abseits des Intimberei­chs mögen Pilze enge Kleidung. So gibt es mit den Dermatophy­ten Hautpilze, die in geringer Zahl immer auf der Haut zu finden sind. „Sie vermehren sich gerne in feuchtem und von Luft abgeschlos­senem Milieu, also vor allem in warmen Hautfalten“, sagt Christian Albring. Das kann die Hautfalte unter der Brust sein, in der Leistenreg­ion oder am Bauch. Der Nachteil an enger Kleidung: Sie drückt die Hautfalten so stark zusammen, so dass die Hautpilze eine optimale Umgebung vorfinden.

Was tun? Weg mit allem, was eng ist? Nicht unbedingt. Die Dosis macht’s. Wer regelmäßig zwischen figurbeton­t und luftig wechselt, die nächste Röhrenjean­s vielleicht eine Nummer größer kauft und auf die Zeichen seines Körpers achtet, muss sich nicht sorgen. Und wer sich an seinen Corona-Look mit Schlabberp­ulli und Jogginghos­e gewöhnt hat sowieso nicht.

Die beste Wahl ist in jedem Fall Kleidung, in der man sich auch für längere Zeit wohl fühlt – und zwar nicht nur, weil sie im Spiegel gut aussieht, sondern auch, weil sie sich beim Tragen gut anfühlt.

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FOTOS: EVA BLANCO/DPA/IMAGO IMAGES
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