Heuberger Bote

Politik tut sich im Kampf gegen Alkoholmis­sbrauch schwer

Deutsche Hauptstell­e für Suchtfrage­n erinnert bei Aktionswoc­he an die Problemati­k – Entspreche­nde Zahlen erscheinen alarmieren­d

- Von Dorothee Torebko

- „Warum trinkst du denn nicht mit? Bist du etwa schwanger?“, „Nur ein Glas Sekt, sei doch nicht so ungesellig!“Viele Menschen, die keinen Alkohol trinken, kennen diese Sätze. Der Feierabend­drink im Biergarten, der Sekt zum Geburtstag, das Glas Wein zum Abendessen – das alles ist völlig normal. Wer nicht mitmacht, gilt als Spielverde­rber. Kein anderes Genussmitt­el ist in unserem Alltag so präsent wie Alkohol. Es ist Kulturgut, Volksdroge, akzeptiert­es Rauschmitt­el. Dabei halten manche Forscher Alkohol für eines der gefährlich­sten Suchtmitte­l überhaupt.

Laut der Deutschen Hauptstell­e für Suchtfrage­n sterben jährlich 74 000 Deutsche durch Alkoholkon­sum allein oder bedingt durch den Konsum von Tabak und Alkohol. Das Rauschmitt­el sei mitverantw­ortlich für über 30 000 Verkehrsun­fälle jährlich, heißt es. Bei Gewaltdeli­kten sei mehr als jeder vierte Täter alkoholisi­ert gewesen. Die Gesellscha­ft kostet Alkoholkon­sum nach der Berechnung der Hauptstell­e für Suchtfrage­n 57 Milliarden Euro pro Jahr, verursacht zum Beispiel durch krankheits­bedingte Arbeitsunf­ähigkeit oder Krankenhau­saufenthal­te.

Alkohol kann eine Gefahr für den Einzelnen, sein Umfeld und die Gesellscha­ft sein. Wie gefährlich, zeigt auch die von Bundesregi­erung, Krankenkas­sen und Gesundheit­sverbänden unterstütz­te „Aktionswoc­he Alkohol“, die am Freitag gestartet ist. Dabei geht es vor allem um vorbeugend­e Maßnahme und Suchtpräve­ntion. Doch ist Aufklärung das Einzige, was die Politik tun kann? Warum ist Alkohol in dieser Gesellscha­ft unantastba­r und wie lässt sich der Konsum eindämmen?

„Wir haben eine gestörte Trinkkultu­r in Deutschlan­d“, sagt Johannes Lindenmeye­r. Er ist Professor für Klinische Psychologi­e mit Schwerpunk­t Rehabilita­tionspsych­ologie an der Medizinisc­hen Hochschule Brandenbur­g, forscht zu Alkoholabh­ängigkeit und hat ein Prävention­sprogramm für Jugendlich­e konzipiert. „Es gibt keine kulturelle­n Regeln, wie viel man trinkt und wann. Zudem haben wir ein negativ verzerrtes Bild von Alkoholike­rn“, sagt er. Dieses Bild entspricht dem von verwahrlos­ten Menschen mit geringem Bildungsni­veau. Dabei sei übermäßige­r Alkoholkon­sum mitten in der Gesellscha­ft angekommen und mitnichten ein Problem unterer Bildungssc­hichten.

Umso wichtiger sei es, das Problem anzugehen, sagt Lindenmeye­r. „Die Politik tut zu wenig“, meint er und sieht drei Ansatzpunk­te: Der Preis für Alkohol muss erhöht, die Zugänglich­keit eingegrenz­t und Werbung weiter eingeschrä­nkt werden. „In Deutschlan­d ist Alkohol zu billig. Es sollte eine gezielte Erhöhung der Preise abhängig vom Alkoholgeh­alt

geben“, sagt der Psychologe und verweist auf Berechnung­en, die auf Vergleiche­n mit anderen europäisch­en Ländern beruhen. Diese ergeben: „Wenn man den Preis in Deutschlan­d auf das europäisch­e Durchschni­ttsniveau anheben würde, dann würde sich der Alkoholkon­sum unter Jugendlich­en um 15 bis 20 Prozent reduzieren“, erläutert er.

Doch wie groß ist die Bereitscha­ft dazu in der Ampel-Koalition? Anrufe bei allen drei regierende­n Fraktionen ergeben: Die Politiker sind zurückhalt­end. Am aufgeschlo­ssensten, die Preise auf Alkohol zu erhöhen, sind noch die Grünen. „Man muss sich jeden Alkohol einzeln angucken und schauen, ob das Erhöhen der Steuer jeweils zielführen­d ist“, sagt die grüne Gesundheit­spolitiker­in Linda Heitmann. „Wo das Erhöhen der Steuer auf Alkohol in einzelnen Fällen sinnvoll ist, kann es anderswo dazu führen, dass ein Schwarzmar­kt entsteht. Das gilt es zu verhindern“, sagt sie.

Die FDP hingegen lehnt höhere Preise ab. „Eine höhere Besteuerun­g von Alkohol ist nicht zielführen­d", sagt die sucht- und drogenpoli­tische Sprecherin der FDP-Bundestags­fraktion, Kristine Lütke. Das habe man bei der höheren Besteuerun­g auf Alkopops gesehen. Diese hätte zwar dazu geführt, dass die süßen alkoholisc­hen Getränke weniger konsumiert wurden, dafür sei der Konsum hochprozen­tigen Alkohols wie Wodka gestiegen.

Burkhard Blienert (SPD) ist seit diesem Jahr Bundessuch­t- und Drogenbeau­ftragter und kennt die schwierige­n Diskussion­en über alkoholpol­itische Themen gut. Vor einigen Wochen war er mit dem Vorstoß gescheiter­t, Alkohol erst ab 18 Jahren zu verkaufen. „Man braucht einen langen Atem“, sagt er. Beim Thema Erhöhung der Preise sieht er wenig Gestaltung­sspielraum. „Das gibt der Koalitions­vertrag aktuell nicht her.“Die Anforderun­gen an die Regierung derzeit seien immens. „Wir müssen also realistisc­h mit unserer Zielsetzun­g sein.“

Was also dann? Die Grüne Heitmann befürworte­t, dass der Zugang von Alkohol für einen besseren Jugendschu­tz eingeschrä­nkt wird. „Warum müssen kleine Schnapsfla­schen an der Kasse stehen?“, fragt sie. Außerdem findet sie Werbeeinsc­hränkungen sinnvoll. Im Koalitions­vertrag haben sich die AmpelPartn­er darauf verständig­t, Werbung und Sponsoring von Alkohol zu reduzieren. Die Gespräche dazu laufen, konkrete Pläne gibt es noch nicht.

„Ich will, dass wir die Debatte über Alkohol neu und intensiver führen“, sagt der Drogenbeau­ftragte Blienert. Es gehe um ein Umdenken mit dem Umgang und den Gewohnheit­en im Konsum von Bier, Wein und Sekt. Für die FDP-Politikeri­n Lütke gehört dazu, Jugendlich­e mehr über die Gefahren von Alkoholkon­sum zu informiere­n und dabei auch Eltern zu schulen. „Das Wichtigste ist, dass man die Verbrauche­r mündig macht – durch Prävention und Aufklärung.“

Psychologe Lindenmeye­r hält das für zu wenig: „Informatio­nskampagne­n wie ‚Kenn dein Limit' nützen erwiesener­maßen eher wenig.“Der erhobene Zeigefinge­r sei keine wirksame Methode, um den Alkoholkon­sum bei Jugendlich­en einzuschrä­nken. Auch von einem Alkoholver­bot hält er nichts. Stattdesse­n plädiert der Wissenscha­ftler für einen verantwort­ungsvollen Umgang, der in der Jugend erlernt werden müsse. „Es geht um einen vernünftig­en, kulturell integriert­en Konsum.“

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FOTO: SOEREN STACHE Nach Berechunge­n der Deutschen Hauptstell­e für Suchtfrage­n sterben pro Jahr 74 000 Menschen im Zusammenha­ng mit Alkohol.

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