Der Klassenerhalt belegt: Der Stuttgarter Weg ist richtig
Natürlich, dass Fortuna bei diesem Last-Minute-Klassenerhalt ordentlich die Finger im Spiel hatte, wird sicher niemand leugnen. Dennoch ist der Bundesliga-Verbleib des VfB Stuttgart alles andere als reine Glücksache. Vielmehr ist der späte Sprung auf Platz 15 der verdiente Lohn für alle Beteiligten, trotz zahlreicher Rückschläge nicht vom eingeschlagenen Weg abgewichen zu sein. Als der Ruf nach Erfahrung lauter wurde, verpflichtete Kaderplaner Sven Mislintat in der Winterpause mit Tiago Tomas wieder ein junges, vielversprechendes Talent. Trainer-Diskussionen wurden zu keinem Zeitpunkt geführt, ein öffentliches An-denPranger-Stellen von Wortführern strikt vermieden.
Dabei hätte es in dieser Seuchensaison mit unzählige Verletzten und Corona-Fällen sowie teils ganz schwachen Leistungen genügend Anlässe für einen Richtungswechsel gegeben. Anfang des Jahres etwa, als die Schwaben neun Spiele in Folge ohne Sieg blieben. Oder im April, als der VfB nach der enttäuschenden 0:2Pleite bei Hertha BSC von den meisten Experten bereits als Abstiegsoder zumindest Relegationskandidat deklariert worden war. Doch die Clubführung am Wasen hielt unbeirrt am eingeschlagenen Weg fest.
Daran änderte auch der Wechsel von Thomas Hitzlsperger zu Alexander Wehrle an der Clubspitze mitten in der Krise nichts. An der Vision, mit Ruhe, Besonnenheit und vor allem Kontinuität der jahrelangen Achterbahnfahrt an der Mercedes-Straße zu entkommen, wurde nie gerüttelt, die sonst üblichen Automatismen im Milliardengeschäft Profifußball wurden trotz viel Kritik von außen ignoriert. Das verdient höchsten Respekt und wurde am Samstag zu Recht mit dem Klassenerhalt belohnt.
Aus diesem Erfolgserlebnis kann beim VfB nun etwas Großes erwachsen. Ziehen die Verantwortlichen die richtigen Schlüsse aus dieser Saison und korrigieren die teils offensichtlichen Schwachstellen, steht dem VfB wieder eine rosige Zukunft bevor. Wichtig ist dabei vor allem, an Mislintat und Pellegrino Matarazzo festzuhalten. Denn wie prophezeite Letzterer bereits Anfang des Jahres: „Wenn wir zurückblicken können, dann das Riesenbrett sehen und trotzdem feiern können, dass wir es geschafft haben, dann wird uns das eine Kraft und eine Stärke geben und eine Bindung, die ein Leben lang halten wird.“
Dass der VfB Stuttgart den Klassenerhalt geschafft hat, bedeutet nicht automatisch, dass es nun einfach so weitergehen darf wie bislang. Nur zur Erinnerung: Ein Tor mehr für Hertha BSC und statt der Berliner würden die Stuttgarter nun gegen den Hamburger SV um den Verbleib in der Eliteliga kämpfen. So angebracht die Freude am Wasen aktuell auch sein darf, hinwegtäuschen über die Probleme der vergangenen Monate sollte die Feierstimmung nicht. Es ist nämlich mitnichten so, dass es allein an Corona-Infektionen, schweren Verletzungen bei Leistungsträgern oder fehlendem Glück gelegen hat, dass es diese Saison nicht funktioniert hat. Vielmehr läuft im Club einiges schief. Der Weg mit den jungen Wilden, den Kaderplaner Sven Mislintat und Trainer Pellegrino bis zum Äußersten zu gehen bereit waren, hätte beinahe in den Abgrund geführt. Dass sich die Einheit nun als verschworener Haufen zu Großem aufschwingt und kommende Saison die Liga rockt, ist ein netter Wunschtraum – aber wenig realistisch. Eher dürften es die jungen Kicker kommendes Jahr noch schwerer haben, werden sie bei Rückschlägen schnell in alte Muster verfallen – und schon beginnt die Misere von vorn.
Um das zu verhindern, müssen Änderungen her – und zwar größere als die, die die Verantwortlichen jüngst bereit waren einzuleiten. Dass Alexander Wehrle bereits ankündigt hat, die Saison aufzuarbeiten, ist ein erster Schritt. Dass der Vorstandsvorsitzende zudem blinde Treuebekenntnisse für Matarazzo und Mislintat verweigerte, ebenfalls. Es zeigt deutlich: Ein stures Weiter-so wird und darf es nicht geben. Denn eines ist sicher: Einige Ansätze sind klar gescheiert. Generell gilt: Sollten sich während der Kader- oder Ausrichtungsplanung zwischen den Entscheidungsparteien unüberbrückbare Differenzen ergeben, sollte es keine Denkvebrote geben und gehandelt werden – egal welche Ebene es betrifft.
Doch geht es vordergründig darum, den Kader umzustrukturieren. Dass ein (emotionaler) Leader dem Team in schwierigen Phasen gefehlt hat, war offensichtlich. Zwei oder drei routinierte und lautstarke Profis sollten also zur Mannschaft stoßen. Auch das Torwartthema köchelt in Fan-Kreisen schon eine Weile. Alles kleinere und größere Baustellen, die angegangen werden müssen. Denn noch so eine Zittersaison braucht am Wasen wirklich niemand.
„Das verdient höchsten Respekt.“
Martin Deck
„Ein bloßes Weiter-so darf es nicht geben.“Von Felix Alex