Wanderung mit Drama-Faktor
Eine Art Escape-Room auf über 1000 Metern Höhe bei Pfronten fordert die Teilnehmer heraus
Der markante Aggenstein begrüßt Ausflügler schon aus der Ferne auf ihrem Weg nach Pfronten im Allgäu. Daneben steht der massive Breitenberg, von dessen Gipfel am Abend das Licht der Ostlerhütte strahlt. Im Tal auf der grünen Wiese, auf den grasbewachsenen Hügeln, durch Schluchten oder in der alpinen Bergwelt haben Wanderer in Pfronten jede Möglichkeit, sich auszutoben. Zum Beispiel auch bei einer Outdoor-Rallye.
Alexander Grotz ist der Leiter der Pfrontener Bergschule Montaneo und seit mehr als 40 Jahren weltweit in den Bergen unterwegs. Um den Wanderweg unterhalb des Aggensteins und des Breitenbergs etwas spannender zu gestalten und weil Outdoor-Erlebnisse für Touristen immer wichtiger werden, hat er zusammen mit Kollegen einen Trend für die Berge adaptiert – den der sogenannten Escape-Rooms.
Die Outdoor-Rallye auf über 1000 Metern Höhe funktioniert wie ein Escape-Room, nur im Freien und auf dem Wanderweg. Wie in geschlossenen Räumen ist es ein Angebot für Gruppen von vier bis acht Teilnehmern, zum Beispiel für Junggesellenabschiede oder Familien. Von der Hochalphütte oberhalb der Bergstation der Breitenbergbahn navigieren die Teilnehmer selbst und müssen den Weg zum Ziel – der Ostlerhütte – finden.
Das Szenario ist dramatisch: Bei einer Wanderung wird plötzlich das Wetter schlecht. Die Talfahrt mit der Seilbahn ist nicht möglich. Die einzige Rettung ist die Hütte auf dem Gipfel. Aber um die zu finden, braucht es Karte und Kompass. Die sagenumwobenen Venedigermännchen am Aggenstein haben Hinweise und einen Schatz hinterlassen. Die Wanderer müssen Rätsel lösen, um den richtigen Weg zu finden. Dabei müssen sie achtsam sein, die Umgebung um sich herum wahrnehmen. Den Blick mal in die Ferne und mal aufs Detail richten. Dass währenddessen noch einiges an Wegstrecke zurückgelegt wird, tritt fast in den Hintergrund. Unterwegs erzählen die Bergführer Geschichten aus ihrem Leben und erklären Landschaft und Natur. Auch deshalb verfliegt die Zeit so schnell.
Dass ein Kompass immer nach Norden zeigt, wissen die meisten. Wie man damit aber konkret die Richtung bestimmen kann, wissen die wenigsten. Für Bergführer Grotz gehört der Kompass und eine Karte immer zum Wandergepäck. Die analogen Geräte haben sich bewährt, vor allem, wenn die Mobilfunkverbindung die Wanderer mal im Stich lässt.
Doch wie richtet man den Kompass nun aber richtig aus? Um den Weg zu finden, müssen die Teilnehmer der Rallye das Gerät ganz genau benutzen. Damit lässt sich ein Punkt in der Ferne anvisieren. Ein Spiegel hilft dabei, die Marschzahl einzustellen. Diese gibt an, wie weit die Abweichung von Norden ist. Erst, wenn der gesuchte Punkt – zum Beispiel ein Berg – in der richtigen Richtung liegt, ist eine Etappe geschafft. So lange wird marschiert. Die einzelnen Rätsel bringen die Wanderer immer näher an das Ziel. Schwierig sind sie nicht, auch Kinder können sie lösen. Aber es gilt, gut zuzuhören. Denn in so mancher Formulierung der Rätsel liegt der Schlüssel zur Antwort. Manchmal ist schon das Bergvokabular eine Hürde. Was ist noch mal eine Scharte, ein Kar oder eine Senke? Glücklicherweise stehen die Bergführer bereit, um Verwirrungen zu vermeiden. Wie bei einem Escape-Room-Spiel geben sie Tipps.
Es ist Teamgeist gefragt. Schnell verfällt die Gruppe ins Diskutieren. Welcher Weg auf der Karte ist jetzt eigentlich der, dem wir folgen? Warum gibt es hier eine Weggabelung, die aber gar nicht auf der Karte eingezeichnet ist? Und wie richtet man die Karte noch mal nach Norden aus? Am Ende kommen doch alle irgendwie ans Ziel, noch musste keiner am Berg bleiben.
Der Bergführer hört sich die Diskussionen mit einem Schmunzeln an, verrät aber nichts. Grotz und seine Kollegen kennen jeden Stein und können zu jedem Hang und jeder Felswand eine Geschichte erzählen. „Wir schauen den Berg an und sehen jedes Mal etwas Neues“, sagt Reiner Blöchl, der im Pfrontener Waldseilgarten arbeitet und ebenfalls ein weit gereister Bergführer ist.
Ein wenig erinnert die Rallye an Geocaching. Bei der digitalen Schnitzeljagd wird mit GPS-Gerät nach Hinweisen gesucht. Den Schatz der Venedigermännchen suchen die Schatzsucher bei der Outdoor-Rallye in Pfronten mithilfe eines Lawinensuchgeräts und lernen von den Bergführern, wie man damit im Ernstfall umgeht. Je näher man dem Verschütteten – oder in diesem Fall dem Schatz – kommt, desto aufgeregter piepst es. Für Lawinenretter ein essenzielles Gerät, bei dessen Einsatz jede Minute zählt. Bei der Schatzsuche spornt das Piepsen ähnlich an – wie schnell sind wir am Ziel?
Wandern mit Karte und Kompass mag für manche schon genug Abenteuer sein. Frühere Teilnehmer hatten aber kritisiert, dass sie sich unter „Escape“etwas mehr ausgemalt hatten. Deshalb haben sich die Bergführer noch einen krönenden Abschluss ausgedacht. Vom Fels knapp unterhalb der Ostlerhütte seilen sie die Teilnehmer ab. Die Überwindung, sich über den Felsrand und den Abhang hinuntergewagt zu haben, hinterlässt ein Glücksgefühl zum Ende der Rallye und ist eigentlich der wahre Schatz.
Am rettenden Ziel, der Ostlerhütte wartet dann neben einem Kaiserschmarrn noch das 360-Grad-Panorama. Nur wenige Hütten liegen so ausgesetzt auf dem Gipfel. Von der Ostlerhütte aus ist der Blick frei auf den Aggenstein, die Allgäuer Gipfel bis hin zu Hochvogel und Zugspitze sind in der Ferne zu erahnen. Auch die Königsschlösser, der Hopfensee oder der Forggensee sind zu sehen. Der Blick ins Tal gibt die Sicht frei auf Pfronten.
Die Outdoor-Rallye kostet für eine Gruppe 479 Euro. Die geführte Wandertour ist von Juni bis September buchbar und für Kinder ab zwölf Jahren geeignet.