Heuberger Bote

Sparen, drosseln, zuteilen

So abhängig sind europäisch­e Länder von Gas, Kohle und Öl aus Russland – Wie sie sich davon lösen wollen

- Von Björn Hartmann

- Europa hängt an russischem Öl und vor allem an Gas. Rund 40 Prozent der insgesamt benötigten Menge lieferte der russische Staatsmono­polist Gazprom. Deutschlan­d gehört als größte Wirtschaft­snation Europas zu den größten Abnehmern, der Anteil russischen Gases betrug 2021 rund 55 Prozent. Inzwischen ist er auf knapp über zehn Prozent gesunken, weil Russland weniger liefert. Die Abhängigke­it beim Öl ist geringer. Wie sieht es in anderen Ländern aus? Wer hängt besonders an der russischen Energie? Und wie steuern sie gegen? Ein Überblick über ausgewählt­e Länder.

Frankreich

Deutschlan­ds westlicher Nachbar ist bei Energie recht unabhängig von Russland, vor allem, weil Frankreich sehr stark auf Atomkraft setzt. 36,5 Prozent Anteil am Energiemix hatte sie nach Zahlen des BP Statistica­l Review of World Energy 2021. Knapp ein weiteres Drittel entfiel auf Öl, das die Franzosen aus unterschie­dlichen Quellen auf dem Weltmarkt kaufen. Beim Gas (16,5 Prozent Anteil) stammen rund 17 Prozent aus Russland. Das meiste kommt als Flüssiggas per Schiff, ein Teil floss über Deutschlan­d durch Pipelines, was Russland inzwischen gestoppt hat.

Frankreich will Gas in anderen Ländern einkaufen, was zuletzt nicht wie geplant lief: Im Juni war Frankreich größter Importeur von russischem LNG. Das soll sich nachhaltig ändern. Frankreich setzt auch auf Energiespa­ren. Präsident Emmanuel Macron sprach am Nationalfe­iertag Mitte Juli von Generalmob­ilmachung und nannte als Sparbeispi­ele weniger Beleuchtun­g oder den Geschirrsp­üler nur einmal am Tag anzuschalt­en. Frankreich will zudem die erneuerbar­en Energien schneller ausbauen. Das Land hat neben den Problemen mit russischen Gaslieferu­ngen gerade auch Schwierigk­eiten mit den Atomkraftw­erken: Weil die Flüsse wegen der Hitze nun weniger Wasser führen, fehlt Kühlflüssi­gkeit, die Anlagen produziere­n auf Sparflamme. Zudem sind viele wegen Wartung und technische­r Probleme abgeschalt­et.

Dänemark

Die Dänen haben früh auf erneuerbar­e Energien gesetzt, vor allem Wind. Sie haben mehr als 40 Prozent Anteil am Energiemix – unangefoch­ten Spitze in Europa. Öl, den zweiten großen Energieträ­ger und mit gleichem Anteil im vergangene­n Jahr, kauft das Land bei unterschie­dlichen Anbietern. Gas trägt zu knapp zwölf Prozent zum Energiemix bei. Den Rohstoff fördert Dänemark selbst vor der Küste, nur ein Viertel des Bedarfs kommt von anderen Ländern. Aus Russland kamen 19 Prozent der importiert­en Menge, bis Gazprom die Lieferunge­n im Juni einstellte.

Dänemark diskutiert, die eigene Gasförderu­ng in der Nordsee auszubauen, zumindest zeitweise. Denn geplant ist der Komplettau­sstieg aus Kohle und Gas zugunsten von Wind und Solar. Das soll deutlich beschleuni­gt werden. Und die Dänen wollen Biogas stärker nutzen als bisher. Das Land ist beim Umbau zu einer fossilfrei­en Energiever­sorgung in Europa ohnehin weit vorn: Öl- und Gasheizung­en dürfen in Neubauten schon seit Jahren nicht mehr installier­t werden. Dänemark setzt vor allem auf Erdwärme.

Polen

Energie gewinnt Polen vor allem aus Kohle. Mit mehr als 40 Prozent Anteil am Energiemix 2021 liegt das Land in der EU weit vorn. Öl machte knapp ein Drittel aus, Gas knapp ein Fünftel. Kohle fördert Polen im eigenen Land. Fast zwei Drittel des Öls kamen zuletzt aus Russland. Im größeren Umfang bezogen die Polen auch Gas vom staatliche­n russischen

Konzern Gazprom. Polen hat allerdings bereits im Mai den Liefervert­rag gekündigt – nach 30 Jahren. Gas kommt nun vor allem als Flüssiggas per Tankschiff. Polen hat in Swinemünde an der Ostsee ein LNG-Terminal. Auch die Pipeline Jamal wird genutzt – nicht wie früher, um russisches Gas Richtung Deutschlan­d zu schicken, sondern um Gas aus dem Westen nach Polen zu senden. Schwierige­r wird, unabhängig vom russischem Öl zu werden. Polen setzt auf den Ölhafen bei Danzig und die Förderländ­er Saudi-Arabien, Kasachstan und Nigeria – bereits jetzt Lieferante­n.

Österreich

Das Land setzt in hohem Maße auf Wasserkraf­t. Mit mehr als 27 Prozent war sie 2021 Primärener­giequelle Nummer 2 nach Öl (mehr als 33 Prozent). Knapp 22 Prozent macht Gas aus. Im vergangene­n Jahr importiert­e Österreich noch knapp acht Prozent seines Öls aus Russland, inzwischen nichts mehr. Anders beim Gas: 2021 kamen 80 Prozent des benötigten Rohstoffs aus Russland, in diesem Jahr stieg der Anteil zeitweise auf fast 90 Prozent. Um sich aus der Abhängigke­it zu lösen, wird ein bereits stillgeleg­tes Kohlekraft­werk wieder hochgefahr­en. Zudem hat der Staat 6,6 Milliarden Euro bereitgest­ellt, um zusätzlich Gas zu kaufen und die Speicher kräftig zu füllen – so will Österreich sicherstel­len, dass die Gaskraftwe­rke auch laufen, wenn Russland das Gas abdreht. Der teilstaatl­iche österreich­ische Hauptimpor­teur OMV hat sich zumindest schon Transportk­apazitäten in Europa für den halben österreich­ischen Jahresbeda­rf gesichert – das durchzulei­tende Gas muss allerdings noch gekauft werden.

Schweiz

Wasserkraf­t macht in der Schweiz fast ein Drittel des Energiemix­es aus, bei Öl ist es etwas mehr als ein Drittel. Die ältesten Atomkraftw­erke Europas liefern knapp 16 Prozent der gesamten Primärener­gie. Der Gasanteil liegt bei zwölf Prozent. Gut 43 Prozent des Gases bezog die Schweiz im vergangene­n Jahr aus Russland. Öl kommt vor allem aus Nigeria, den USA und Libyen, Russland hat einen verschwind­end geringen Anteil.

Drei Viertel des Gases für die Schweiz – auch die russischen Lieferunge­n – fließen über Pipelines und Deutschlan­d. Liefert Gazprom nicht mehr an Deutschlan­d, bekommen vor allem die Privathaus­halte in der Schweiz ein Problem. Denn das Gas wird zu einem großen Teil verheizt. Die Schweizer Energiever­sorger legen derzeit Reserven für Öl an. Bei Gas sind sie auf die europäisch­en Nachbarn angewiesen. Die Schweiz hat keine eigenen Speicher. Zudem will die Bundesregi­erung die Schweizer mit einer Kampagne zum Beginn der Heizperiod­e im Herbst zum Sparen anregen. Reicht das nicht, wird zugeteilt. Hallenbäde­r werden geschlosse­n, Skilifte gestoppt, Leuchtrekl­amen müssen aus bleiben. Die Industrie müsste ihren Verbrauch um 20 Prozent drosseln.

Italien

Gas und Öl sind die mit Abstand wichtigste­n Energieträ­ger in Italien. Zusammen machen sie fast 80 Prozent am Primärener­giemix aus. 40 bis 45 Prozent des Gases stammen bisher aus Russland. Öl bezieht Italien auch aus Russland, ist aber deutlich weniger abhängig. Im Juni hat der staatliche russische Gasfördere­r Gazprom die Lieferunge­n an Italien verringert. Regierungs­chef Mario Draghi arbeitet seit Monaten daran, unabhängig­er von Russland zu werden. Seine Regierung arbeitet wie die deutsche an einem Zuteilungs­plan für Gas, sollte kein russisches Gas mehr kommen. Italien hat bereits zusätzlich­e Gaslieferv­erträge mit Algerien geschlosse­n, das inzwischen zum wichtigste­n Lieferante­n geworden ist. Zusätzlich­es Flüssiggas soll aus Westafrika kommen. Vorteil für Italien: Es ist über zwei Pipelines direkt mit Algerien und Libyen und über eine weitere mit Aserbaidsc­han verbunden.

Bereits im Frühjahr wurde ein umfangreic­hes Energiespa­rpaket beschlosse­n, dass Klimaanlag­en in öffentlich­en Gebäuden nur noch auf 27 Grad kühlen dürfen.

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FOTO: IMAGO Auch andere europäisch­e Länder hängen noch am Gas.

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