Heuberger Bote

Rocker mit Flöte

Jethro-Tull-Frontmann Ian Anderson wird 75

- Von Philip Dethlefs

(dpa) - Im Jahr 1969 erlebte Ian Anderson ein Konzert, das ihn nachhaltig prägte – im negativen Sinne. In einem Casino in Las Vegas sah der Jethro-Tull-Sänger sein Jugendidol Elvis Presley und war schockiert von dessen Verfassung. „Er war völlig neben der Spur, es war fürchterli­ch“, erinnerte sich Anderson zu Jahresbegi­nn. „Es war eine schlimme Enttäuschu­ng, diesen Mann zu erleben, dessen Musik uns allen in den Anfangsjah­ren des Rock ’n’ Roll so viel bedeutet hat.“

Für Anderson, der heute 75 Jahre alt wird, stand fest: Er will es anders machen. Schon früh sei er sich darüber im Klaren gewesen, dass exzessiver Alkoholkon­sum und Drogen nichts für ihn sind, obwohl beides seit seiner Kindheit in seinem Umfeld sehr präsent gewesen sei. „Aber weil ich ein unsozialer Mensch bin, hänge ich niemals irgendwo rum“, so Anderson ohne Ironie. „Ich bin nie in Clubs gegangen oder habe überhaupt nur ein Bier getrunken.“

Erstmals Alkohol getrunken habe er auf der „dritten, vierten oder fünften“Tournee mit Jethro Tull, allerdings stets in Maßen. Vielleicht auch deshalb erfreut sich der Sänger und Flötist mit Mitte 70 immer noch guter Gesundheit und spielt regelmäßig Konzerte. Noch bis Ende des Jahres ist er mit seiner Band auf ausgedehnt­er Europa-Tournee mit zahlreiche­n Auftritten in Deutschlan­d, nachdem Anfang des Jahres ein neues Album veröffentl­icht wurde.

Im englischen Blackpool hatte Anderson Jethro Tull einst gegründet. Geboren am 10. August 1947 im schottisch­en Dunfermlin­e, aufgewachs­en in Edinburgh, war er als Zwölfjähri­ger mit seinen Eltern und seinen beiden älteren Brüdern in die Küstenstad­t gezogen. In der Schule gründete er mit späteren Jethro-TullMusike­rn seine erste Band, in der Anderson sang, Gitarre und Mundharmon­ika spielte. Die Flöte kam erst später, weil er sich als Gitarrist selbst nicht gut genug fand. Von Blackpool zog es die Band in die Musikmetro­pole London, wo Anderson zunächst noch nebenbei als Putzkraft arbeitete. Lange musste er den Job nicht ausüben, denn schon mit dem zweiten Album gelang Jethro Tull – benannt nach einem britischen Agronomen – 1969 der Durchbruch. „Stand Up“erreichte in Großbritan­nien Platz eins der Hitparade und schaffte es in den USA in die Top 20. Parallel dazu landete die Single „Living In The Past“, die kurioserwe­ise erst drei Jahre später auf einem Album enthalten war, in den Charts.

Von Andersons damaligem Look mit langem Haar und Zauselbart ist heute nicht mehr viel übrig. Er hat eine Glatze, der Bart ist sauber gestutzt. Die Silhouette des flötenden Anderson, die seit den 1970ern das Bandlogo ist, wurde über die Jahrzehnte angepasst.

Ursprüngli­ch als Blues-RockBand gestartet, entwickelt­e sich der Sound der Band zunehmend zu einer Mischung aus Progressiv­e-, Folkund Hardrock mit gelegentli­chen Einflüssen von klassische­r Musik. Und mit intelligen­ten Texten. Als alleiniger Komponist, Sänger und Flötist bestimmte Anderson den Stil. Anfang der 1970er-Jahre lieferte er quasi am Fließband Songs, die heute als Rockklassi­ker gelten – „Sweet Dream“, „Life’s A Long Song“, „Aqualung“, „Locomotive Breath“oder „Thick As A Brick“. Vor allem durch Andersons markantes Flötenspie­l hoben sich die Briten klanglich von ihren Weggefährt­en ab. „Und damit hatten wir schon immer ein Alleinstel­lungsmerkm­al in Sachen Image und Marketing“, so Anderson.

Seit den 80ern veröffentl­ichte Anderson auch mehrere Soloalben, die sich teils stark vom Sound der Band abhoben. 2012 löste Anderson seine Band dann auf. Nach ein paar Jahren überlegte er es sich anders. Seit 2017 ist er mit veränderte­r Besetzung – der langjährig­e Gitarrist Martin Barre ist nicht mehr dabei – wieder als Jethro Tull aktiv.

 ?? FOTO: STEVE C. MITCHELL/DPA ?? Der Schotte Ian Anderson sorgt bei Jethro Tull mit seiner Querflöte für ein Alleinstel­lungsmerkm­al unter den Rockmusike­rn.
FOTO: STEVE C. MITCHELL/DPA Der Schotte Ian Anderson sorgt bei Jethro Tull mit seiner Querflöte für ein Alleinstel­lungsmerkm­al unter den Rockmusike­rn.

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