Mai-Krawalle: 13 Betroffene gehen in Berufung
23 weitere haben Urteile akzeptiert, vier Verfahren stehen am Amtsgericht noch aus
- Landfriedensbruch und schwerer Landfriedensbruch, Widerstand gegen Polizeibeamte, Körperverletzung: 40 Verfahren rund um die Nacht des 1. Mai 2021 haben das Amtsgericht Tuttlingen in den vergangenen Monaten beschäftigt. Etliche konnte es auch zu Ende bringen. Doch schon jetzt ist klar, dass der letzte Richterspruch noch nicht gesprochen ist. 13 Betroffene gehen in Berufung.
Diese Zahl gibt das Amtsgericht auf Nachfrage bekannt. Was dahintersteckt, sind vor allem unterschiedliche Auffassungen zum Landfriedensbruch. Vor Gericht gab es bislang nur in Ausnahmefällen Freisprüche, die meisten Angeklagten wurden wegen Landfriedensbruchs zu Geldstrafen verurteilt. Doch waren sie auch wirklich am Landfriedensbruch beteiligt?
Zur Erinnerung: Am Abend des 1. Mai 2021 verabredeten sich etwa 50 Menschen zu einem „freiheitlichen Gesinnungszug“auf dem Honberg. Einer Telegramgruppe war im Vorfeld zu entnehmen, dass sie, schwarz gekleidet und geschminkt, mit Fackeln und Fahnen, durch die Innenstadt bis ins Umläufle ziehen wollten. Die Polizei bekam durch einen Informanten Wind davon und versuchte den Zug zu stoppen. Das gelang – zuvor jedoch gerieten Teilnehmer und Polizei aneinander.
Und dabei sei seine Mandantin zwar Teilnehmerin, aber wahrlich passiv gewesen, hatte Rechtsanwalt Sylvester Kraemer vor wenigen Wochen vor dem Amtsgericht Tuttlingen argumentiert. Den Landfriedensbruch, die aktive Beteiligung daran – „das sehen wir nicht“, bestärkt auch sein Kollege Jürgen Derdus auf Nachfrage. Die beiden Rechtsanwälte verteidigten Mutter und Sohn, beide aus dem Landkreis Konstanz, die an jenem Abend dabei waren. In beiden Fällen gehen sie in Berufung. Beim Sohn geht es auch um eine Kiste mit Fackeln, die er mitgebracht und auf den Honberg getragen haben soll.
Der Möhringer Anwalt Joachim Bloch hat vier Mandanten in Zusammenhang mit den Ereignissen rund um den 1. Mai verteidigt. Zwei Fälle sind abgehakt, in den zwei anderen Fällen hat er Berufung eingereicht. Das Gericht habe zu wenig individuell unterschieden, meint er: „Man muss aber unterscheiden: Wer wollte wirklich Krawall, wer war Spinner und wer war nur dabei?“In einem seiner Fälle geht es um eine Freiheitsstrafe auf Bewährung. „Mein Mandant wäre dann vorbestraft, das ist schon eine bittere Pille“, meint Bloch. „Da bleibt kaum etwas anderes als Berufung.“
Die nächst höhere Instanz ist das Landgericht Rottweil. Dort prüft das Berufungsgericht zunächst, ob die Berufung zulässig ist, dabei geht es vor allem um Formen und Fristen. Dann kommt es in der Regel zur Berufungsverhandlung, in der auch neue Beweise vorgebracht werden können. Bis dahin bleibt die Strafe ausgesetzt, das Geld muss also noch nicht bezahlt werden, die Bewährungsfrist beginnt noch nicht.
Doch wann die Fälle um den 1. Mai verhandelt werden, ist derzeit noch völlig unklar. Beide Richter, die für Berufungssachen zuständig sind, seien momentan mit dem Mordverfahren von Horb beschäftigt, sagt Staatsanwalt Frank Grundke. Darin geht es um den brutalen Tod eines Geschäftsmannes, der Fall muss im Revisionsverfahren komplett neu aufgerollt werden. Was andere Fälle angeht: „Da passiert im Moment nur das Nötigste“, sagt Grundke. Haftsachen, Führerscheinfälle
– Mai-Krawalle eher nicht. Indes hat auch das Amtsgericht Tuttlingen noch keinen endgültigen Haken hinter die Ereignisse setzen können. Vier der 40 Verfahren stehen noch aus, zum Teil, weil die Angeklagten nicht erschienen sind. Die 40 Fälle im Überblick:
Vier Anklagen bei der Jugendrichterin: Drei Verfahren wurden gegen eine Zahlungsauflage eingestellt, in einem Verfahren war die Jugendliche mit der Verfahrenseinstellung gegen eine Zahlungs- oder Arbeitsauflage nicht einverstanden. Es wurde ein neuer Verhandlungstermin bestimmt, zu dem mehrere Zeugen geladen wurden. Das Verfahren wird nach dem Jugendgerichtsgesetz und damit nichtöffentlich geführt. Es ist noch nicht abgeschlossen.
Sieben Anklagen beim Strafrichter: In fünf Fällen erging ein Urteil, alle gingen in Berufung. In zwei Verfahren ist der bzw. die Angeklagte ohne ausreichende Entschuldigung nicht zur Hauptverhandlung erschienen. Daraufhin erging ein Haftbefehl, doch der konnte in beiden Fällen bislang nicht vollstreckt werden. Die Betroffenen sind zwar gemeldet, an ihrer Anschrift aber nicht anzutreffen, die Polizei fahndet nach ihnen. Diese Verhandlungen finden statt, sobald eine Festnahme der Angeklagten erfolgt ist.
29 Strafbefehlsverfahren: Zwölf Verfahren sind abgeschlossen, weil der Strafbefehl akzeptiert wurde oder zu spät Einspruch eingelegt wurde.
In 16 Verfahren gab es Einspruch und danach eine Beweisaufnahme vor Gericht. Gegen ihre Urteile haben acht Angeklagte Berufung eingelegt.
Ein weiteres Verfahren ist noch offen, weil der Angeklagte kurzfristig erkrankt war. Neuer Verhandlungstermin ist der 10. Oktober.