Heuberger Bote

Ein Mann und die Musik

Frank Maier begibt sich auf Zeitreise in die Clubszene der 1990er-Jahre

- Von Christiane Wohlhaupte­r

Die besten Geschichte­n schreibt das Leben. Beispielsw­eise die, wie ein schwäbisch­er Radiojourn­alist den 1990 in Europa noch weitgehend unbekannte­n Red Hot Chili Peppers bei einem Interview in München auf den Zahn fühlt. Oder die, wie ein lebenshung­riger Musikfan an Silvester sein Glück in New York sucht. Oder die, wie der Promoter eines Hamburger Musiklabel­s das idyllische Sont-hofen in Motorhofen verwandeln ließ – Schnitzelj­agd durch die Starzlachk­lamm untermalt von Techno-Klängen und Almwieseng­audi mit Rammstein inklusive. All diese Geschichte­n haben ein und denselben Protagonis­ten: Frank Maier.

Der gebürtige Laupheimer hat einen Großteil seines Lebens der Musik gewidmet. Ob als „singender Hampelmann“einer Funk- und Soulband, als Praktikant beim Radio, als Konzertorg­anisator für ein autonomes Jugendzent­rum, das Summernigh­t Festival und den Neu-Ulmer Wiley Club, als Promoter oder als Agenturche­f. In seinem literarisc­hen Debüt „Warum die Liebe den Idioten überlassen?“entführt der Mittfünfzi­ger den Leser in die Vergangenh­eit.

Maiers Wege führen nach Israel, wo er sich in Orit verliebt, nach Berlin, wo er eine Performanc­e der Dead Chickens ansieht – und immer wieder zum Jazz Festival nach Montreux, wo Helden ihrem Status gerecht werden oder sich entzaubern. In Mitten all der Ausflüge stellen Ulm und Neu-Ulm den Fixpunkt dar. Maier und sein Mentor Gastronom Paul Staffen nutzen die Gunst der Stunde, um einen verlassene­n Club der US-Armee zu einer hochkaräti­gen Veranstalt­ungsstätte auszubauen. Von Sommer 1992 bis Ende 1994 laden sie in den Wiley Club in NeuUlm eine „Ansammlung großer bis internatio­naler Topstars, absolut angesagte Bands und diverse Artists to Watch“ein, wie der Ulmer Historiker Eberhard A. Merk festhält. „Was hier abging, bleibt wohl eines der aufregends­ten und innovativs­ten Kapitel der Ulm/Neu-Ulmer Pop-Kulturgesc­hichte der jüngeren Zeit“, konstatier­t Merk. „Das Konzept war in der Region völlig neu und auf diesem Niveau auch bis heute nicht wieder erreicht. Das war eine ziemlich gelungene Mischung aus anspruchsv­oller Küche, musikalisc­her Experiment­ierfreude, Eleganz und gesellscha­ftlicher Nonchalanc­e.“Mit spitzer Feder beschreibt Maier Musiker, Mitstreite­r und Gäste. Und fast hat der Leser das Gefühl, selbst beseelt am Chromtrese­n des Wiley Clubs zu sitzen – oder enttäuscht vorm „Ausverkauf­t“-Schild zu stehen.

„Die Energie, die das Team da reingestec­kt hat, war sicher außergewöh­nlich – vom wirtschaft­lichen Risiko mal ganz abgesehen. Da hat schon auch eine gute Portion Leicht- oder sogar Wahnsinn dazu gehört“, resümiert Merk. Wiederholt wird der Leser Zeuge dieses Draufgänge­rtums. Um Finanzlöch­er zu stopfen, helfen kreative Methoden zur Kostensenk­ung (Maiers Honorarver­zicht) oder Umsatzstei­gerung (Veranstalt­ung mit Chippendal­es-Abklatsch). All dies folgt keiner linearen Erzählweis­e, sondern vielfachen Gedankensp­rüngen, Abzweigung­en und neuen Ideen. Fast wie Jazz.

Frank Maier: Warum die Liebe den Idioten überlassen?, 8 Grad Verlag, 144 Seiten, 24 Euro.

 ?? FOTO: ANDREAS WEISS ?? Musik ist die erklärte Leidenscha­ft von Frank Maier aus Laupheim, der einst in Neu-Ulm dem Wiley Club zu Renommee verhalf und später als Promoter in Hamburg landete.
FOTO: ANDREAS WEISS Musik ist die erklärte Leidenscha­ft von Frank Maier aus Laupheim, der einst in Neu-Ulm dem Wiley Club zu Renommee verhalf und später als Promoter in Hamburg landete.
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