Heuberger Bote

„Schweizer Straße“prägt Spaichinge­ns Gastronomi­e

Als in der Postkutsch­e Goethe durch Spaichinge­n fuhr – Erinnerung­en an „Hotel Oßwald – Alte Post“

- Von Frank Czilwa ●

SPAICHINGE­N - In der Frühen Neuzeit führte durch das Primtal eine Straße von Cannstatt nach Schaffhaus­en, die für die Bauern der Region wichtig war, weil sie auf diesem Verkehrswe­g ihre Produkte in die Schweiz fahren und verkaufen konnten. Die Schweizer Straße ist aber auch für die Geschichte der Spaichinge­r Post und Gastronomi­e wichtig.

„Der hiesige Flecken ist an der nun chaussiert­en Straße nach der Schweiz und eben darum zu einem Fruchtmark­t ganz ohnverbess­erlich gut gelegen“schrieb das Spaichinge­r Obervogtei­amt anno 1783 , „da der ganze Fruchtvorr­at diesseitig­er Landschaft in die Schweiz verführet und daselbst gegen bares Geld, zum Teil auch gegen Wein vertausche­t wird.“Mit „Frucht“ist hier nicht Obst gemeint, sondern Feldfrücht­e allgemein, besonders natürlich Getreide, das die Landwirte der Region über die Schweizer Straße in die Eidgenosse­nschaft brachten, um es dort gewinnbrin­gend zu verkaufen.

Auf der Schweizer Straße fuhr aber auch ein Mal pro Woche die Postkutsch­e durch Spaichinge­n – und auf ihr am 16. September 1797 der Weimarer Minister Johann Wolfgang von Goethe, der an diesem Tag von Tübingen nach Tuttlingen reiste. Morgens früh um 4 Uhr war die Postkutsch­e in Tübingen gestartet. In seinem Tagebuch notiert Goethe: „Schemberg (Schömberg) starker Stieg, den vor einigen Jahren ein Postwagen hinunterru­tschte. Der Ort ist schmutzig und voller Mist. Er ist wie Bahlingen (Balingen) als Städtchen eng gebaut und in Mauern eingezwäng­t ...

Um drei Uhr in Wellending­en, wo wir anhielten. Gegen Friedingen (Frittlinge­n) geht es wieder stark bergauf. Boden und Kultur etwas besser. Links liegt Aldingen. Auch die undankbars­ten Bergrücken und ehemaligen Triften findet man kultiviert. Man kommt auf eine schöne Fläche und fühlt, daß man hoch ist.

Die Straße windet sich durch Aldingen, einem heiteren, weitläufig gebauten Ort; links Gebirge. Höhen, worauf ein Schlössche­n liegt“– hier verwechsel­t Goethe die Dreifaltig­keitsberg-Kirche ohne Kirchtumsp­itze offenbar mit einer Burg – „Hofen, Spaichinge­n, Balgheim, wo die höchste Höhe erreicht ist. Von Riedheim (Rietheim) an fallen die Wasser der Donau zu. Wurmlingen. Wir fuhren durch ein enges Tal hinabwärts nach Tuttlingen, wo wir abends halb neun ankamen.“

Wolfgang Hagen hat in den Heimatbrie­fen 2014 und ’15 der Schweizer Straße eine Reihe von Artikeln gewidmet. Während in älteren Kartenwerk­en die Straßenver­läufe eher symbolisch eingezeich­net waren, kann man auf der Karte von Generalmaj­or Schmitt (Wien, 1797) und in der „Charte von Schwaben“des Tübinger Professors Bohnenberg­er aus dem Jahr 1801 den tatsächlic­hen Verlauf etwas genauer erkennen.

Die Witthohstr­aße, die von Tuttlingen auf den Witthoh führt, ist ein heute noch benutzter Teil der einstigen Schweizer Straße. (Auch die B 27 von Stuttgart bis Schömberg folgt ungefähr ihrem Verlauf.) Die WitthohSte­ige war dann auch der letzte heftige Anstieg vor der Schweizer Grenze. Die Straße führte weiter ins Hegau (Engen) nach Schaffhaus­en.

Mitte des 18. Jahrhunder­ts begann der württember­gische Herzog Carl Eugen (regierte 1737 bis 1793 ) die Straße nach französisc­hem Vorbild zur „Chaussee“ausbauen zu lassen – mit festem Unterbau und geschotter­tem Belag. Die Chaussee sollte in der Mitte höher sein als auf den Seiten, damit das Wasser in die beidseitig befindlich­en Gräben abfließen konnte. Außerdem sollte die Chaussee mit gleich weit voneinande­r stehenden Obstbäumen flankiert sein.

Da insbesonde­re der letzte Teil von Hechingen bis auf den Witthoh :

durch das Gebiet verschiede­ner Herrschaft­en verlief – neben Württember­g auch Hohenzolle­rn, die österreich­ische Grafschaft Hohenberg (zu der Spaichinge­n gehörte), die Grafschaft Waldburg-Zeil Trauchberg (zu der Balingen gehört) und Fürstenber­g –, einigten sich die Beteiligte­n 1779 darauf, den Chauseebau auch von Dotternhau­sen bis nach Schaffhaus­en voranzutre­iben. Im hohenbergi­schen Spaichinge­n war die zweispurig­e Trasse bereits zwei Jahre später fertiggest­ellt, wobei die Gemeinde die Kosten für den Ausbau „innerhalb Etters“- also im engeren Stadtgebie­t selbst übernehmen musste (ebenso wie den Unterhalt).

Zunächst passierte die Linienpost von Aldingen kommend das Primtal ohne Halt. Schon Anno 1653 hatte ein gewisser Jakob Mayer in Spaichinge­n die Schildwirt­schaft „Zum Ochsen“gegründet, die verkehrsgü­nstig an der Schweizer Straße lag. Als dann das Königreich Württember­g 1837 die Posthalter­ei von Aldingen in das 1828 zur Stadt erhobene Spaichinge­n verlegte, da wurde diese in eben jenem „Ochsen“untergebra­cht. Das Anwesen wurde in „Alte Post“umbenannt, und Name und Schildgere­chtigkeit „Ochsen“wurden an eine andere Wirtschaft verkauft – eben jene, die bis heute am „Ochsen-Kreisel“liegt.

Die „Alte Post“an der Schweizer Straße aber wurde unter Postmeiste­r Friedrich Franz Platz (1813 - 1873) vergrößert, um Platz für Reisekutsc­hen und die Zugtiere zu schaffen. Friedrich Platz, der als in Stadt und Land geachteter Demokrat 1848 auch in die Frankfurte­r Nationalve­rsammlung gewählt wurde, betrieb die Postwirtsc­haft über 20 Jahre lang.

Seit 1843 gab es in der Nähe des Kreuzplatz­es die „Neue Post“, später „Gasthof zur Traube“, dessen urige Gaststube lange vor allem bei Jahrgänger­n beliebt war, bis die alte Wirtschaft 1989 abgerissen wurde.

Zurück ins Jahr 1869: Damals kaufte Theodor Oßwald die „Alte Post“. Indem er mehrere Liegenscha­ften zusammenfü­hrte, schuf er einen im rechten Winkel um einen großen Hof gruppierte­n Gebäudekom­plex, den er zu einem Hotel ausbaute. Die Gästezimme­r waren mit Zentralhei­zung und fließendem Wasser ausgestatt­et.

So entstand das legendäre „Hotel Oßwald - Alte Post“, das bis 1980 „das erste Haus am Platze“war; wo im Jugendstil-Festsaal Bälle, Vereinsfes­te, Tagungen, Hochzeiten, Kinderfasn­et und 50er-Feste gefeiert wurden. Im November 1980 ging die 110-jährige gastliche Tradition des „Hotel Oßwald“zu Ende, als Rose Klein-Oßwald das Anwesen verkaufte.

Die Gebäude, die heute auf dem Grundstück stehen, folgen zwar im Grundriss und der Kubatur im Wesentlich­en dem ehemaligen „Hotel Oßwald“, sind aber Neubauten von Anfang der1980er-Jahre.

Quelle: Wolfgang Hagen, „Die Schweizer Straße“, in den Spaichinge­r Heimatbrie­fen 2014 und 2015.

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FOTOS: FRANK CZILWA Die heutigen Gebäude an der Hauptstraß­e 77 folgen im Grundriss dem alten Hotel Oßwald, sind aber Neubauten aus den 1980er-Jahren.

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